Montagsinterview mit Matthias Stütz: "Wir sind die O2 Arena von Friedrichshagen"

Matthias Stütz ist der Kinokönig von Köpenick. 2003 übernahm er das leer stehende Union-Kino und machte daraus ein gut laufendes Mehrzweckveranstaltungshaus. Im Rahmen der Reihe "Berlinale goes Kiez" kommt das Filmfest am 21. Februar für einen Tag nach Friedrichshagen.

Herr im Volkshaus: Matthias Stütz Bild: JULIA BAIER

taz: Herr Stütz, die Berlinale hält bald Einzug in Ihrem Kino in Friedrichshagen. Haben Sie den Smoking schon gebügelt?

Matthias Stütz: Ich besitze keinen Smoking.

Aber Sie besorgen sich noch einen?

Einen Smoking wohl eher nicht. Aber ich werde zumindest meine Alltagsklamotten ausziehen.

Und was, wenn Berlinale-Chef Dieter Kosslick, Klaus Wowereit samt ein paar Filmstars vorfahren?

1971 wurde er in der Hansestadt Stendal in Sachsen-Anhalt geboren. Er wuchs in einer Lehrerfamilie mit zwei Schwestern und einem Bruder auf. Nach dem Zivildienst in Magdeburg zog Stütz als 20-Jähriger ins frisch vereinte Berlin. Er studierte 17 Semester Architektur an der TU und erhielt 1999 sein Diplom. Bis er 2003 das Kino Union in Friedrichshagen übernahm, veranstaltete Stütz Partys und Festivals. Bis heute wirkt er beim alternativen Elekro-Open-Air "Fusion" mit.

1870 errichtet, wurde das Gebäude des Union Kinos zunächst als Bürgerhaus genutzt. Aufgrund eines Tanzverbots während des Ersten Weltkriegs wurde der Saal 1914 zum Kino umgebaut. 1994 verkaufte die Treuhand das Kino an den Entertainer Wolfgang Lippert. Der verkaufte das Kino an einen Bauunternehmer, der ein Multiplexkino errichten wollte. Auch diese Pläne scheiterten. Dann kam Michael Stütz. Sein Konzept lockt rund 50.000 Besucher pro Jahr ins Union.

"Berlinale goes Kiez" ist von den Festivalmachern als Hommage an das Programmkino gedacht und findet anlässlich des 60. Jubiläums dieses Jahr erstmals statt. Zwischen dem 12. und 21. Februar werden in zehn kleineren Kinos jeweils zwei Filme gezeigt. Infos bei: www.berlinale.de

Mal schauen. Klar ist nur, die Berlinale-Crew wird am Eingang etwas aufbauen: Lichter zum Beispiel und natürlich den roten Teppich. Limousinen sollen an dem Tag auch vorfahren. Ob tatsächlich Wowereit aussteigt, wird man sehen.

Aber echte Berlinale-Filme werden gezeigt?

Das schon. Am 21. Februar laufen zwei Filme aus dem Berlinale-Programm im Kino Union.

Kennen Sie die wenigstens?

Bis Anfang Februar wusste ich noch nicht, was laufen soll. Jetzt steht fest: Erst zeigen wir "Boxhagener Platz" von Matti Geschonneck, in dem Jürgen Vogel und Meret Becker mitspielen. In der späteren Vorstellung läuft dann "Der Räuber" von Benjamin Heisenberg, ein Wettbewerbsfilm der Berlinale.

Sind Sie glücklich mit den Filmen?

Mehr als das. Beide Filme passen wie die Faust aufs Auge zum Geschmack des Friedrichshagener Publikums.

Wen haben Sie bestechen müssen, damit das Union Filmtheater für die Reihe "Berlinale goes Kiez" ausgewählt wurde?

Niemanden. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wer die Auswahl getroffen hat.

Aber was um Himmels willen hat das Filmfestival hier draußen, ganz weit im Osten, verloren?

Das spezielle Berlinale-Publikum, das extra nach Berlin zum Festival anreist, wird sicher nicht an die Peripherie fahren. Für die ist das hier kurz vor Polen. Die bleiben dort, wo alles zentral ist. Für Friedrichshagen ist es natürlich super, dass der rote Teppich ausgerollt wird, und es ehrt uns natürlich, dass wir zu den zehn ausgewählten Kiezkinos gehören. Man geht mit dieser Initiative auf die Leute zu. Wer aus der Umgebung mal bei der Berlinale dabei sein will, muss jetzt nicht mehr, Tage bevor der Film läuft, extra in die Stadt fahren und für ein Ticket anstehen.

Umgekehrt könnte man sagen, jetzt kriegen die Köpenicker noch weniger vom großen Filmfestival mit?

Man kann das so oder so interpretieren. Für die einen ist die Berlinale wichtig und untrennbar mit der Stadt verbunden. Für die anderen ist das Image allerdings nicht so gut. Viele Leute sagen: Es ist immer voll, man kriegt keine Karten. Darum ist eine "kleine Berlinale" im Union ein Schritt zum Publikum.

Ist die Kiez-Berlinale nicht auch ein Feigenblatt, um dem zentralen Potsdamer Platz als Spielstätte etwas Dezentralität entgegenzusetzen? Wenn man bedenkt, dass bei der Berlinale früher ganz selbstverständlich Kiezkinos beteiligt waren, sind die je zwei Vorführungen, die in diesem Jahr in zehn kleineren Kinos gezeigt werden, nicht gerade die Welt. Warum fordern Sie und Ihre Kollegen nicht gleich mehr?

Das würde ich erst mal nicht versuchen. Wenn das jetzt alles gut läuft und man sieht, dass das Potenzial da ist, kann das Engagement der Berlinale in den nächsten Jahren ja sukzessive ausgebaut werden. Man könnte dann mehrere Tage draus machen. Aber ein volles Festivalprogramm mit je fünf Filmen an mehreren Tagen würden wir aus jetziger Sicht wahrscheinlich gar nicht voll bekommen.

Besuchen Sie eigentlich den Wettbewerb oder die Filmreihen der Berlinale?

Für dieses Jahr habe ich eine Akkreditierung. Ansonsten hat das meistens nicht so gut funktioniert. Man muss die Tickets ja oft schon am Morgen abholen. Und ich bin eher ein Langschläfer.

Sie haben nach dem Mauerfall an der Technischen Universität Architektur studiert. Was hat Sie gereizt, nach Friedrichshagen zu ziehen und Kino zu machen?

Mein Zuzug hierher hat mit meiner Wohnung zu tun. Ich war an der Uni der erste Student, der sein Architektendiplom regelrecht gebaut und nicht gezeichnet hat. Die Wohnung, die ich mir dafür ausgesucht hatte, lag in Friedrichshagen. Und in der Diplomarbeit wohne ich jetzt auch. Es ist ein sehr angenehmes Dachgeschoss. Irgendjemand hat mir damals den Tipp gegeben, dass das Kino hier leer steht und dass ein Nutzer dafür gesucht wird. Ich bin daraufhin mit der Taschenlampe durchs Klofenster gestiegen und hab mich umgesehen.

Ihre Kinokarriere begann mit einem Einbruch?

Na ja, das würde ich so nicht bezeichnen. Einbruch ist ja irgendwie auch Klauen. Ich bin ja nur zum Angucken rein.

War es Liebe auf den ersten Blick?

In den Kinosaal war ich sofort verliebt. Dass so etwas in dieser Gegend leer steht, dass man sogar über einen Abriss nachdachte, habe ich nicht verstanden. Mir war von Anfang an klar, dass das irgendwie als Kino funktionieren kann. Dass es nun so gut funktioniert, hätte ich aber auch nicht gedacht.

Sie haben nie an Ihrem Erfolg gezweifelt? Immerhin hatte sich Ihr direkter Vorgänger, der Entertainer Wolfgang "Lippi" Lippert, die Finger am Union Kino verbrannt. Er musste es 1998 verkaufen, nachdem er ein halbe Million Mark investiert hatte, aber fünf Jahre lang die Besucher ausblieben. Danach stand es lang leer.

Zweifel, ob ich das alles schaffe, hatte ich natürlich. Es ging aber eher um die organisatorischen Dinge. Ich war noch nie selbstständig und hatte damals 300 Euro auf dem Konto. Mein großes Glück war, dass dem Immobilienunternehmer, der das Haus von Lippert gekauft hatte, klar war, dass er das Kinoprojekt nicht mehr realisieren wird. Der hatte gerade mit anderen finanziellen Problemen zu kämpfen. In diese Rat- und Planlosigkeit bin ich reingeschlittert.

In welchem Zustand haben Sie das Kino übernommen?

Aufgeräumt, leer. Dann halfen mir und meinem damaligen Partner ein paar glückliche Zufälle weiter. Zu der Zeit hatte gerade das alte Kino Hollywood auf dem Kudamm zugemacht. Die hatten noch ihre Bestuhlung und wussten nicht wohin damit. Da hab ich gleich angerufen und bekam einen guten Preis. Mit den Projektoren lief es ähnlich, die sind von der Filmbühne am Steinplatz, die ebenfalls geschlossen hatte.

Abwrack West - Aufbau Ost.

Für viele am Ort war ich der Retter. Bevor das Kino geschlossen wurde, hatten sich die Leute bereits sehr dafür eingesetzt, dass es offen bleibt und nicht abgerissen wird. Es gab Demos und Unterschriftenlisten. Man hatte hier in Friedrichshagen Sorge, dass ein neues Kino kommt. Hier will man das alte Kino. Das Union ist das einzige Kino Berlins, das im Umkreis von rund zehn Kilometern kein Konkurrenzkino hat. Wir können 250.000 Menschen erreichen. Das Kino läuft sieben Tage die Woche.

Was lief am Tag der Wiedereröffnung 2003?

"Casablanca". Die Vorstellung war ausverkauft.

Warum "Casablanca"?

Der Film ist ein Klassiker. Den kennt jeder und hat ihn schon mal gesehen. Das ist ein bisschen wie Shakespeare gucken.

Aber ist es nicht auch so, dass von den 250.000 Köpenickern sich viele die Filme per DVD oder CD angucken und von dort die Konkurrenz für ein Kino - selbst mit Alleinstellung - kommt? Nach Ihrem Modell hätte es kein Kinosterben in der Provinz gegeben?

Aber bei uns gehören Experimente zum Konzept. Wir haben es zum Beispiel mit Seniorenkino versucht. Immer Mittwochfrüh um 10 Uhr. Das ist mittlerweile mit über hundert Besuchern die am besten besuchte Kinovorstellung der Woche. Der Trick dabei ist, dass der Eintritt 3 Euro inklusive Kaffee und Kuchen kostet. Fast unschlagbar.

Haben Sie den Kuchen selbst gebacken?

Anfangs ja. Und das hat sich berlinweit rumgesprochen. Wir haben oft Senioren aus Steglitz und Spandau hier. Was das Programm betrifft, überlege ich im Moment zum Beispiel, ob ich das norwegische Roadmovie "Nord" zeige. Qualitativ ist der Film sicher gut und kein Müll. Aber es ist halt ein kleiner Film, den nicht viele kennen. Da ist es ist immer die Frage, wo man die Grenze zwischen Mainstream und Independent-Filmen wie beispielsweise "Nord" zieht.

Zu den "Experimenten" zählt auch, dass Sie den Kinosaal noch für andere Veranstaltungen nutzen. Ist Ihnen Kino allein zu langweilig?

Der Kinobetrieb ist überhaupt nicht langweilig und zu zwei Dritteln mein tragendes Geschäft. Das Union ist aber nicht nur Kino. Was sehr zu dem Gebäude passt, da es 1870 als Kulturhaus samt Tanzsaal gebaut wurde. Ich würde das Ganze jetzt vielleicht sogar eher Volkshaus nennen, auch wenn es ein sehr ostdeutscher Begriff ist.

Führen Sie das letzte DDR-Kulturhaus en miniature?

Möglicherweise, ja. Friedrichshagen ist ein bisschen besonders, weil es nicht so zersiedelt ist. Ein großes Einkaufszentrum, das die ganzen kleinen Läden totmacht, gibt es hier nicht. Wir haben nur eine Straße, in der alle Geschäfte sind. Weiter draußen gibt es wenig, es konzentriert sich eigentlich alles auf das Zentrum, und das ist sehr belebt. Das Union liegt in diesem Zentrum, direkt am S-Bahnhof, und deshalb sehe ich schon die historische Aufgabe, das Kino als Bürgerhaus oder Kulturzentrum zu erhalten. Zumal Friedrichshagen einen hohen Altersdurchschnitt hat und wirtschaftlich ganz gut gestellt ist. Manche nennen den Ort ja "Wannsee des Ostens". Mein Programm richtet sich nach den Bedürfnissen dieses Publikums hier am Ort.

Aber was ist das Profil eines Alt-Jung-Kinokulturhauses?

Unser Profil ist eben die Breite: von Dokumentationen und Musikfilmen bis hin zum Mainstream. In unserem Saal finden Kindergartenveranstaltungen und Abiturfeiern ebenso statt wie Geburtstagsfeten und Seniorenkino. Hochzeiten hatten wir auch schon und Rockkonzerte, Klassikkonzerte, Skakonzerte, Kabarett und Theater.

Sie haben vor Ihrem Einstieg in die Kinobranche mehrere Jahre als Organisator von kommerziellen Partys gelebt. Stört sich in Friedrichshagen niemand daran, dass Sie aus dem Kiezkino auch einen Ort gemacht haben, an dem 80er- und Ü-30-Partys gang und gäbe sind? Bei vielen Kulturinteressierten haben solche Veranstaltungen nicht den besten Ruf.

Ich denke wirklich nicht, dass sich da etwas abstößt. Das Kinoprogramm steht ja trotzdem im Mittelpunkt. Wir sind die O2 Arena von Friedrichshagen. Die Arena ist ja ähnlich multifunktional, ohne dass es jemanden stört.

Ein gewagter Vergleich.

Wenn man jetzt mal den Größenunterschied weglässt, kommt das schon hin. Dort wurde eine Eishockeyhalle geschaffen, in der man auch nicht nur Eishockey spielen kann. Der Vorteil ist, genau wie bei mir: Man steht auf mehreren Beinen. Wirtschaftlich ergänzen sich die vielen verschiedenen Veranstaltungen ziemlich gut. Dadurch schafft man es, möglichst wenig Leerlauf zu haben.

Wegen der Wirtschaftskrise fühlen sich Ihre Filmkunsttheaterkollegen gerade wieder einmal bedroht. Hinzu kommt, dass die technische Umstellung von analoger auf digitale Projektion zu hohen Investitionskosten führt. Ist Ihnen da nicht auch bange?

Das sehe ich anders. Kino ist generell antizyklisch. Je tiefer die Krise, desto besser geht es den Kinos und umgekehrt. Ich fange jetzt zum Beispiel an, auf dem Kinogelände einen Erweiterungsbau mit zwei kleineren Sälen zu planen. Leider habe ich noch keine Baugenehmigung.

Okay. Sie sind der Kinoking von Köpenick. Angesichts der fehlenden Konkurrenz können Sie fast alles machen, was Sie wollen. Egal, ob mit oder ohne Experimente.

(lacht) Als König würde ich mich nicht bezeichnen. Ich kann allerdings nicht zum Bäcker gehen, ohne jemanden zu grüßen. Damit muss man schon umgehen können. Wie viele Besucher ein Film zieht, kann mir als Unternehmer allerdings leider nicht egal sein. Da muss ich dann schon finanziell kalkulieren. Es kann auch funktionieren, dass zu "Nord" viele Leute kommen. Man weiß es im Voraus nicht. Das muss man bei jedem Film von Neuem ausprobieren. Aber natürlich ist die Situation angenehm. Zumal sich bei mir persönlich auch eine Menge getan hat. Eine Wandlung vom allein Herumreisenden zum Familienvater. Vom Sozialhilfeempfänger hin zum Selbstständigen. Es fühlt sich auf jeden Fall gut an, sein eigener Chef zu sein. Und im Moment gibt es bei mir keine Zukunftsängste.

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