Debatte Atomstreit Iran: Krieg gegen Teheran?

Beim Atomstreit mit dem Iran ist es wie im Kalten Krieg: Lässt sich die Gegenseite auf Verhandlungen ein, reagieren die USA und Europa kopflos.

Die iranische Führung eignet sich allmählich eine aggressive Flexibilität an, wie sie die UdSSR einst in ihren Beziehungen zum Westen zeigte. War die Sowjetunion bereit, einen westlichen Vorschlag zu erörtern, reagierten die westlichen Hauptstädte in der Regel verwirrt, nicht selten sogar panisch. Und so hat auch der iranische Vorschlag, über eine Urananreicherung im Ausland zu verhandeln, die USA und die stets pflichtbewussten Europäer reflexhaft veranlasst, dem Iran ein Täuschungsmanöver zu unterstellen. Dem Westen fehlt jede Strategie für den Umgang mit dem Iran: Entweder er stellt inakzeptable Forderungen auf - oder er verurteilt. Beides verführt die iranische Regierung dazu, noch unberechenbarer zu handeln.

Den USA stehen in Bezug auf Iran derzeit drei Optionen offen. Erstens könnte man den Unilateralisten folgen, die sich nach der ideologischen Einfachheit von Bush und Cheney zurücksehnen. Gemeinsam mit der israelischen Lobby schlagen sie vor, den Iran mehr oder weniger unverzüglich anzugreifen, nachdem das Land mit aller Schärfe aufgefordert worden ist, seine nuklearen Projekte einzustellen. Diese Israel-Lobby sollten wir inzwischen allerdings besser als Likud-Lobby bezeichnen. Denn viele amerikanische Juden hegen starke Zweifel an der israelischen Regierung.

Dass der Iran Atomwaffen entwickelt, steht für diese Fraktion außer Frage. Immerhin handelt es sich um Leute, die sich nicht dafür entschuldigen, den Krieg gegen den Irak mit gefälschten Beweisen gerechtfertigt zu haben. Für sie ist ein israelischer Erstschlag weder notwendig noch wünschenswert. Die israelische Elite bezweifelt zudem, dass Israel den Iran im Alleingang erfolgreich angreifen könnte, und lässt daher lieber den USA den Vortritt.

Die zweite Option ist diejenige, die Obama momentan verfolgt. Angesichts des Drucks der Likud-Lobby, der Differenzen im gewohnt unkoordinierten militärisch-politischen Apparat, der prekären Wirtschaftslage und der anstehenden Herbstwahlen versucht er, einen Angriff auf unbestimmte Zeit hinauszuzögern und dabei gleichzeitig den Eindruck zu erwecken, über strikte Sanktionen nachzudenken.

Dieses Vorgehen hat folgenden Vorteil: Das amerikanische Militär ist der Ansicht, wir riskierten ein Desaster, wenn wir Iran angreifen, solange unsere Streitkräfte in Afghanistan, Irak und Pakistan im Einsatz sind. Die Androhung von Sanktionen soll die Schwäche unserer militärischen Position kompensieren, über die das Militär wie auch das Weiße Haus lieber nicht sprechen möchte. Während das Militär fürchtet, gefragt zu werden, wofür es eigentlich bezahlt wird, hat das Weiße Haus Angst vor dem Vorwurf mangelnder Willensstärke - egal, wie vernünftig seine Zurückhaltung auch sein mag. Dass bei einem Konflikt im Golf der Ölpreis steigen würde, dürfte ein weiterer Grund für seine Besonnenheit sein.

Das Problem ist nur, dass Sanktionen nicht funktionieren werden. China, das erst kürzlich durch US-Waffenverkäufe an Taiwan vor den Kopf gestoßen wurde, wird nicht mitmachen, und auch Russland zeigt sich widerspenstig. Daher geben sich viele in und außerhalb der Regierung eskapistischen Fantasien hin und fordern, den Iran so sehr unter Druck zu setzen, damit ein "Regimewechsel" möglich wird. Das wäre dann die dritte Option. Wer allerdings so etwas fordert, hat keine Ahnung vom Iran. Denn es stärkt vor allem das Regime, wenn sich die USA allzu laut für die Unterstützung der iranischen Opposition aussprechen. Die ganze Welt wird sich daran erinnern, wie eng die Bindung zwischen dem Schah und den USA war. Oder eben daran denken, wie oft die USA Tyrannei rund um den Globus fördern oder zumindest tolerieren.

Leider muss man nicht einmal so ignorant sein wie die Exgouverneurin Sarah Palin, um auf einen Sturz des Regimes zu drängen. Auch der erfahrene und besonnene Exdiplomat Richard Haas hat soeben eine Kehrtwende vollzogen und optiert für einen iranischen Regierungswechsel. Er gilt als Anwärter auf einen Regierungsposten, und als Präsident des Council on Foreign Relations muss ihm daran gelegen sein, die verprellten proisraelischen Spender zurückzuholen.

Kurioserweise ist die Option, einen Regimewechsel herbeizuführen, für diejenigen, die einen Krieg vermeiden wollen, ebenso praktisch wie die Androhung von Sanktionen. Da beides aller Wahrscheinlichkeit nach keine Wirkung zeigen wird, lassen sich diese Forderungen einfach immer weiter aufstellen - ebenso wie wir immer wieder aufs Neue versprechen können, dass sich am Horizont bereits der Erfolg abzeichnet.

Am klügsten wäre es für die USA, Irans Anspruch als Mittelmacht Rechnung zu tragen, den Erdölverbrauch zu senken, die aufgeblähte Präsenz im Nahen Osten zu verkleinern und das überzogene Militärbudget zu reduzieren. Wir könnten auch die Europäer ermuntern, in dieser Region eigene Wege einzuschlagen, und gemeinsam mit ihnen Israel dazu bringen, endlich seine Allmachtsfantasien aufzugeben.

Doch dazu bräuchte man einen US-Präsidenten, der in der Lage wäre, eine neue Mehrheit zu gewinnen und auch zu halten. Das war Obamas ursprüngliche Vision. Die Westeuropäer sind ihm dabei keine Hilfe. Die deutsche Kanzlerin wie auch der Verteidigungs- und der Außenminister wiederholen unermüdlich die banalsten Klischees aus Washington. Erkennt in Berlin denn keiner, dass Obama seine Madridreise abgesagt hat, weil er die Nase von den europäischen "Freunden" voll hat, die nicht kapieren, wie verzweifelt sein Kampf im Weißen Haus ist?

Wenn es ihm mit welchen Mitteln auch immer gelingt, einen bewaffneten Konflikt mit Iran zu vermeiden, wird er seinem Land, Europa und dem Rest der Welt einen großen Dienst erwiesen haben. Ein erheblicher Teil der Öffentlichkeit in den USA will nicht einsehen, dass wir nicht mehr die einzige Großmacht sind. Es ist für uns noch nicht zu spät für ein bisschen Nachhilfe aus Europa.

Aus dem Amerikanischen von Angelika Schumitz

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