Debatte Bildungsgipfel : Mehr Zeit zum Nachdenken

Die Studierenden sind schlecht auf den Bildungsgipfel vorbereitet. Sie sollten ihren Streik im Mai fort setzen, um Druck auf die Politik zu machen.

Zwar sind die besetzten Hörsäle geräumt, doch die Stille täuscht. Kultusministerkonferenz (KMK) sowie Hochschulrektorenkonferenz (HRK) haben Papiere vorgelegt, die die protestierenden Studierenden beruhigen sollen, und einige Bildungsgipfel angesetzt. Aber richtige Verhandlungen zwischen Studierenden, SchülerInnen und der Politik kommen nicht in Gang. Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, haben Schüler und Studierende deshalb für das Sommersemester 2010 einen dritten Bildungsstreik beschlossen. Es sieht nicht so aus, als ob er für die Politik handzahmer werden wird als die zwei Vorläufer.

Für einen Bildungsgipfel, der für den 17. Mai angesetzt ist, trafen Bildungsministerin Schavan und die Kultusminister der Länder die Studierenden in diesen Tagen zu vorbereitenden Gesprächen. Das Kalkül der Politiker war eindeutig. Mit eher kosmetischen Korrekturen beim Bachelor und beim Master, mit Bafög-Erhöhungen, einem leistungsbezogenen Stipendienprogramm und ein paar tausend neuen Stellen will die Politik die SchülerInnen und Studierenden auf ihre Seite ziehen. Doch diese Strategie wird scheitern. Denn für echte Reformen hat die Politik kein Konzept.

war von 1979 bis 2007 Professor für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut (OSI) der Freien Universität Berlin. Seinen Beitrag hat er gemeinsam mit den Studenten Jörg Rostek (Universität Münster) und Michael Kolain (Universität Heidelberg) verfasst.

Vor allem die Studierenden haben allen Grund, misstrauisch zu sein. Wer zehn Milliarden Euro für Bildungs-Konjunkturprogramme in die Hand nimmt, aber damit mehr die Handwerkerverdienste fördert als die konkreten Lehr-Lern-Verhältnisse verbessert, hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Und wer jetzt unausgegorene Stipendienprogramme, zweifelhafte Bildungsgutscheine für Kinder und vage verkürzten Modulstress vorschlägt, aber sonst nichts tun will, erntet nur noch mehr Wut. Kurz: Die Politik muss endlich etwas anbieten, das den Namen Reform verdient.

Der angesetzte Bildungsgipfel könnte aber auch an den Studierenden und SchülerInnen scheitern. Die SchülerInnen haben bislang nur einen mageren Katalog mit wenig konkreten Forderungen vorgelegt. Und die Studierenden können ihre Kritik am Bologna-Prozess, dem Bachelor- und Master-System und der sozialen Selektion an den Hochschulen zwar gut formulieren, aber nur in Ansätzen Alternativen aufzeigen. Studierende und SchülerInnen sollten sich deshalb gut auf den Bildungsgipfel vorbereiten, um dort auf Augenhöhe zu verhandeln.

So sehr der Bildungsstreik auch nach einem guten Ende schreit, so sind die bestehenden Probleme doch nicht einfach wegzugipfeln - schon gar nicht, wenn beide Seiten offenkundig so schlecht vorbereitet sind wie jetzt. Studierende und SchülerInnen sollten ihre Forderungen erst einmal auf zwei bis drei bundesweiten Treffen konkretisieren, um sie zu Beginn des Sommersemesters zur Fortsetzung des Bildungsstreiks präsentieren zu können. Sie brauchen auch noch Zeit, um die studentischen Verbände in eine längerfristige Strategie einzubinden und das Spektrum ihrer Unterstützer - aus Gewerkschaften, Elternverbänden und sozialen Bewegungen - systematisch zu erweitern. Sie sollen sich nur auf den Bildungsgipfel einlassen, wenn der Protest auf den Straßen wieder sichtbar wird. Sie sollten ihren für Juni geplanten Streik daher auf Mai vorziehen.

Beide Seiten sollten die Zeit bis zum Gipfel für eine vertrauensbildende Vorbereitung nutzen. Es gibt schließlich viel zu verhandeln. Über ein fünfjähriges Studium neuen Typs zum Beispiel. Über Lehr-Lern-Prozesse, die diesen Namen verdienen. Über massive Personalverstärkungen bei den Tutorien. Über bessere Bezahlung für Lehrbeauftragte, mehr wissenschaftliche Mitarbeiter und Teilzeitprofessuren für 2.000 Privatdozenten. Über die Neueinstellung von 8.000 bis 10.000 Hochschullehrer. Oder über Stipendien, die keine FDP-Pinkwart-Luftschlösser sind, sondern den Studierenden wirklich helfen.

Da kann es schnell um Summen von 30 bis 40 Milliarden Euro gehen, die es trotz Finanz- und Haushaltskrise aufzubringen gilt. Deshalb müssen die Finanzminister im Mai mit am Tisch des Bildungsgipfels sitzen. Es muss aber auch um die scheinbar festgezurrten Bildungsdogmen gehen - etwa um die verfehlte Vorstellung vom kurzen, raschen Studieren oder die falsche Fixierung auf Praxisorientierung und Arbeitsmarkt, die nicht die intellektuelle Brenndauer einer guter Bildung berücksichtigt.

Keine Angst vor Tomaten

Es muss auch um die grundsätzliche Selbstbestimmung im Studium gehen, um das forschende Lernen in Theorie und Praxis und das, was in eigenen Projekttutorien ausprobiert werden kann. Aber auch die Schulprobleme, bisher beharrlich ignoriert, gehören auf die Tagesordnung des Bildungsgipfels. Das Themenfeld der Verhandlungen in diesem Sinne zu erweitern sollte bis April 2010 möglich sein. Der Bildungsgipfel ist eine Chance zur Mobilisierung. Mehr nicht.

Wichtig ist auch, dass ein solcher Gipfel eine besondere Transparenz benötigt. Das klassische Verfahren, nachdem eine kleine Delegation von SchülerInnen und Studierenden hinter verschlossenen Türen mit den Ministern verhandelt, taugt dazu nicht. Beide Seiten sollten sich einer sehr interessierten Öffentlichkeit stellen: Warum nicht vor großem Publikum verhandeln, möglicherweise in einer gut besuchten O2-World und mit einer LiveÜbertragung auf Phoenix? Keine Angst, da würden weder Tomaten noch Stinkbomben fliegen. Eher schon dürfte es ein mäuschenstilles Auditorium geben, das den Verhandlungen aufmerksam folgt und dabei mehr als anderswo über Politik und Demokratie lernt. Das wäre demokratische Transparenz.

Beide Seiten wären gut beraten, sich darauf einzulassen. Denn beide Seiten brauchen einen wirklichen Erfolg. Ein Anlauf für einen vierten Bildungsstreik wird schwierig. Und die Politik muss sich von dem Makel befreien, viel von Bildung zu reden, aber in Wahrheit doch wenig zu tun.

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