KINDESWOHL: Obduktion als Abschreckung

Durch eine Obduktionspflicht will Bremens Gesundheitsbehörde Todesfälle durch unerkannte Kindesmisshandlungen aufklären. Das kritisiert der Kinderschutzbund

Letzte Ruhe für Kevin, nicht aber für die traumatisierte Stadt. Bild: dpa

Heftige Kritik gibt es an den Plänen des Bremer Gesundheitsressorts, eine Obduktionspflicht bei Kleinkindern einzuführen. Obduziert werden sollen alle Kinder bis sechs Jahre, die ohne Vorerkrankungen oder äußere Zeichen von Verletzungen tot aufgefunden werden. "Unter Generalverdacht" würden Angehörige dadurch gestellt, sagt Andreas Bröcher, Geschäftsführer des Bremer Landesverbands des Deutschen Kinderschutzbundes. "Das ist eine Aushebelung des Einverständnisses der Eltern."

Bisher sind sie diejenigen, die eine Obduktion veranlassen können - wenn sie mehr über die Todesursache ihres Kindes erfahren wollen. "Eine Obduktionspflicht" aber sei "in einer solchen oft traumatischen Situation nicht zu vertreten", so Bröcher. Ähnlich äußert sich der Bremer Trauerbegleiter Clemens Müller, der seit 25 Jahren mit Eltern arbeitet, deren Kinder gestorben sind. "Eine Katastrophe" sei es aus Eltern-Sicht, "wenn der Staat entscheidet, was mit dem Körper des Kindes geschieht". Wichtig bei der Verarbeitung des Verlustes sei der "direkte Bezug zur Körperlichkeit". Etwa, dass Eltern ihr totes Kind noch einmal sehen können. "Wenn Eltern wollen, dass der Körper des Kindes unangetastet bleibt, sollte man das respektieren."

"Über diese Einwände mussten wir weggehen", erklärt Jürgen Nuschke, Rechtsreferent beim Gesundheitsressort. Das öffentliche Interesse wiege schwerer als das der Eltern: Eine "Maßnahme zur Sicherung des Kindeswohl" soll die Obduktionspflicht sein. "Wir versprechen uns vor allem eine abschreckende Wirkung", sagt Nuschke. Die erforderliche Änderung des "Gesetzes zum Leichenwesen" haben Fachleute des Ressorts entwickelt. "Ausgangspunkt war letztlich der Tod des Kindes Kevin", sagt Nuschke. Und verweist auf eine hohe Dunkelziffer bei Kindstötungen. Studien zum plötzlichen Kindstod etwa bei drei Prozent der Todesfälle hätten Tötungsdelikte nachgewiesen, ohne dass es vorher einen Verdacht gegeben hatte. "Die Täter kommen dabei meist aus dem engen familiären Umfeld", sagt Nuschke.

37 Todesfälle von Kindern unter sechs Jahren hat das Statistische Landesamt 2008 bremenweit erfasst. Vier von ihnen starben am plötzlichen Kindstod oder einer nicht näher benannten Todesursache - bei ihnen hätte die geplante Obduktionspflicht gegriffen. Die Gesundheitsdeputation hat die Gesetzesänderung bereits beschlossen, nun wird sich das Parlament mit ihr befassen. Bremen wäre das erste Bundesland, das die Obduktionen vorschreibt.

Auch Stefan Trapp, Vorsitzender des Bremer Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, sieht die Obduktionspflicht als Schutzmaßnahme. "Vielleicht gibt es in der Familie weitere Kinder, die gefährdet sind", sagt er. Tötungen durch Schütteltraumata oder Ersticken blieben ohne Obduktion häufig unentdeckt. Vor der Frage, ob Rechtsmedizin und Staatsanwaltschaft einzuschalten seien, ständen bislang die ÄrztInnen, die den Totenschein ausstellen. "Das ist eine Grauzone", sagt Trapp, "vielleicht kennt der Arzt die Familie und denkt, da wird schon nichts gewesen sein." Eine Obduktionspflicht könne da entschärfen: "Es ist leichter, zu sagen, wir obduzieren wegen des Gesetzes und nicht, weil wir einen Verdacht haben", glaubt Trapp.

Bröcher vom Kinderschutzbund verweist indes auf andere - präventive - Maßnahmen, zum Schutz von Kindern: Aufklärung, etwa zum Zusammenhang von plötzlichem Kindstod und Rauchen. Oder aber regelmäßige Arztbesuche. "Dabei erlebt der Kinderarzt den Sorgeberechtigten", so Bröcher, "und bekommt schnell mit, ob er in Sachen gesundheitlicher Aufklärung beratend tätig werden muss."

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