Jazzmusiker Nils Wülker: Der Idealtypus

Dem Jazz kommt das Publikum abhanden. Einer, dem es nicht an Aufmerksamkeit mangelt, ist der Hamburger Jazztrompeter Nils Wülker. Sind Typen wie er die Zukunft?

Der Jazzmusiker Nils Wülker. Bild: Werner Pawlok

An die großen Labels hat Nils Wülker seine Demo-Aufnahme nur verschickt, weil es darauf auch nicht mehr ankam. "Die drei Mark Porto sind dann auch egal, habe ich gedacht - dann haben die wenigstens deinen Namen schon mal gelesen", sagt Wülker. Ein paar Wochen später klingelte das Telefon, Sony Records bot Wülker einen Vertrag an - als erstem deutschen Jazz-Musiker.

Seit diesem Tag im Jahr 2001 hat Wülker, 32, eine Menge anders gemacht als viele seiner Kollegen. Sehr viel davon war karrieremäßig richtig. Zum Beispiel vier Jahre später dem Label den Rücken zu kehren. "Ich habe mir überlegt: Was will ich eigentlich von einem Label?", sagt Wülker. "Vertrieb und Promotion sind die Knackpunkte - den Rest kann ich auch selbst machen." Ein eigenes Label bedeutet volle Freiheit. Und volles Risiko. Das Wichtigste, sein Produkt, hatte er da aber längst gefunden: sich selbst.

Von seinem Studio im Hamburger Karostar-Gebäude gegenüber dem Eingang zum Millerntor-Stadion kann Wülker den Feldstraßenbunker sehen. "Tolle Lage", sagt er. "Und tolles Gebäude hier. Ich habe Ruhe, bin aber mittendrin - ich brauche nur die Tür zu öffnen und sehe Menschen. Und: Ich habe Tageslicht. In einem Studio ist das ja normalerweise nicht so." Die Einrichtung ist spartanisch, weiße Wände, rote Schalldämmung, dazwischen ein Bild - "ein abgemalter Matisse, von meiner Freundin". Auf dem grauen Teppichboden stehen Wülkers Trompete und zwei Flügelhörner. Aufgeräumt ist es hier nicht, es sieht aus, als werde es gar nicht erst unordentlich. Nils Wülker ist ein Freund von klaren Verhältnissen.

Zu den Dingen, die Wülker anders hält als seine Kollegen, gehört seine Bereitschaft, musikalisch über den Tellerrand zu schauen. "Entscheidend ist, ob ich etwas spannend finde. Ich denke nicht in Schubladen."

Bevor er mit 16 den Jazz für sich entdeckte, spielte Wülker klassische Trompete, ehrgeizig, bis hin zum Es-Dur-Trompetenkonzert von Haydn. "Das zu machen ist schon sinnvoll", sagt er. Keine Spur vom Habitus vieler Kollegen, die sich gebärden, als seien sie schon vom dritten Schwangerschaftsmonat an von Miles Davis "Birth of the Cool" beschallt worden, und die auf die Klassik-Kollegen herabsehen, weil die nicht improvisieren können. Für Nils Wülker gab es ein Leben vor dem Jazz. Bis er, 1994, den "Us3"-Hit "Cantaloop" entdeckte, ein Remix des Jazz-Gassenhauers "Cantaloupe Island" von Herbie Hancock, der schon als Untermalung von TV-Spots für Halbfettmargarine, Kleinwagen, Eis und Instantkaffee herhalten musste. Die Melodie kann jedes Kind nachpfeifen. Elitär geht anders - wirklich aufregend aber auch.

Nils Wülker, 32, stammt gebürtig aus Bonn und lebt in Hamburg.

Den Jazz entdeckte er mit 17 in den USA. Erste Anknüpfungspunkte: Miles Davis und Acid Jazz.

Mit 21 begann Wülker ein Studium an der Musikhochschule Hanns Eisler in Berlin.

Seine erste CD veröffentlichte er mit 25 Jahren bei Sony Music.

Seine aktuelle CD heißt "6" und kombiniert eingängigen Pop mit Jazz. Im März ist er damit auf Tour.

Wülkers Marketing-Qualitäten sind umfassend. Blaue Augen, ein paar blonde Bartstoppeln, Turnschuhe, breite Schultern. In seiner Freizeit geht er klettern, in Hallen und an Felswänden, und hält damit nicht hinter dem Berg. Einmal, zum Erscheinungstag des Albums "Turning the page", hat Wülker die Trompete mitgenommen und oben, auf einem vereisen Abhang, trocken in eine Kamera gesagt, seine Plattenfirma habe ihn jetzt vor der Tour zu einem speziellen Höhentraining verdonnert - moderne Trainingsmethoden hätten eben auch im Jazz Einzug gehalten. Dann trompetete er, mit Steigeisen an den Füßen.

Würde eine Plattenfirma ihre Pop-Abteilung beauftragen, einen idealen Jazz-Musiker zusammenzubauen: es wäre ein Wülker. Gutaussehend, nicht zu glatt und nicht zu kantig, geeignet für jüngere Zielgruppen.

Sechs Jahre lang lebte Wülker in Berlin, seit sechs Jahren ist er jetzt in Hamburg - der Liebe wegen. "Hätte ich aber nicht gemacht, wenn ich nicht auch die Stadt richtig cool gefunden hätte. Hier passiert viel." Vor einem Jahr hat Wülker einen Song für Samy Deluxe eingespielt, aber was die Zusammenarbeit mit Hamburger Lokalgrößen betrifft, tut sich bei Wülker sonst nicht viel. "Das heißt nicht, dass ich die Leute nicht schätze", sagt er, "aber es ist eben mein erstes Anliegen, meine eigene Musik zu machen - und das ist ein Fulltime-Job. Und wenn sich etwas ergibt, dann ist nicht entscheidend, ob es einen Lokalbezug gibt." Sondern ob etwas spannendes daraus entstehen kann.

Konkret sind sechs Alben auf diese Weise entstanden, das aktuelle, "6", erschien Ende Januar. Außer den ersten beiden hat Wülker alle Produktionen selbst bezahlt, auf jedem einzelnen lastet dadurch gehöriger Druck. Als es losging mit dem eigenen Label, war für das dritte Album das Studio schon gebucht.

Am Ende, sagt Wülker, zähle ohnehin nur die Musik. "Die Marke kann einmal den Unterschied machen, aber nicht auf Dauer. Am Ende des Tages muss eben auch noch jemand in die Konzerte kommen. Ich glaube, Leute kann man mit Marketing einmal ins Konzert kriegen, aber spätestens dann bilden sie sich ihre eigene Meinung."

Es mag im Jazz Kollegen geben, die nie über Marketing nachdenken. Sie scheinen weniger zu werden.

Tourdaten im Norden: 11. 3. Kiel, Kulturforum; 12. 3. Worpswede, Music Hall; 13. 3. Hameln, Lalu Traumfabrik; 24. 3. Hamburg, Fabrik; 26. 3. Osnabrück, Lagerhalle

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