Wladimir Kaminer beim Charity-Screening: Das Schweigen der Ziegen

Es scheint ein Trend zu sein, einfache Anlässe mit bedeutungsschweren Namen zu versehen. So wurde aus der Vorpremiere des Films "Männer, die auf Ziegen starren" ein "Charity-Screening".

Dies ist nicht die blonde Julia, sondern die Moderatorin Miriam Pielhau mit einer Benefiz-Ziege auf dem Arm. Bild: dpa

Ich habe die Einladung zu einem sogenannten Charity-Screening bekommen. Ich wusste nicht genau, was Charity-Screening bedeutet. Wie sich dann herausstellte, handelte es sich dabei um eine Vorpremiere des Films "Männer, die auf Ziegen starren" in der Kulturbrauerei.

Es scheint ein Trend zu sein, einfache Anlässe mit bedeutungsschweren Namen zu versehen. Die Hilfsorganisation "CARE Deutschland Luxemburg e.V" wollte diese Premiere der amerikanischen Komödie, in der Ziegen eine vorrangige Rolle spielen, nutzen, um Spenden für das westafrikanische Land Niger zu sammeln.

In der Ankündigung stand, man könne schon für 30 Euro eine Ziege kaufen und sie einer Familie in Niger schenken. Man konnte auch eine halbe Ziege für 15,- oder ein Drittel Ziege für zehn Euro erwerben. Ich hatte diesen Film bereits vor einem Jahr auf Russisch im Kaukasus bei meiner Schwiegermutter gesehen. Man kann in Russland viele Hollywoodfilme sehen, die in Europa noch nicht in die Kinos gekommen sind.

Um ganz ehrlich zu sein, man kann in Russland sogar Hollywoodfilme sehen, die in Hollywood noch nicht einmal zu Ende gedreht sind. Sie liegen im Kaukasus schon auf dem Flohmarkt, zehn Stück kosten einen Euro. Aber sie sind in der Regel schlecht übersetzt, d.h. alle Schauspieler reden mit derselben Stimme, als ob sie eine Wäscheklammer auf der Nase haben und manchmal sieht man die Hinterköpfe von Zuschauern.

Die Filme haben im russischen oft einen ganz anderen Titel. Dieser Film hieß auf Russisch "Das Schweigen der Ziegen" und war ein guter pazifistischer Film, wie man ihn sich schon lange von Amerika gewünscht hatte. Deswegen war ich freudig entschlossen, mit der ganzen Familie zu diesem Charity-Screening zu gehen. Ich wollte mir nicht nur den Film noch einmal ankucken, sondern auch eine Ziege kaufen, sie aber nicht in den Niger schicken, sondern bei uns auf dem Kinderbauerhof, im Rahmen eines nachbarschaftlich geführten Biotops, einquartieren.

Wir gingen hin, obwohl meine Familie aus lauten Cineasten besteht, die alle ohne Ausnahme sehr hohe Ansprüche an Filme stellen. Mein zehnjähriger Sohn Sebastian kennt alle Folgen von den Simpsons, dem müßte allein schon deswegen dieser Film gefallen, dachte ich. Meine dreizehnjährige Tochter mag Tiere und ist von Natur aus eine beherzte Tierschützerin, also müßte eigentlich auch bei ihr dieser Film gut ankommen. Und meine Frau mag insbesondere "Big Lebowski" - ihr würde dieser Film bestimmt auch gefallen.

Vor dem Eingang zur Kulturbrauerei hatte man einen roten Teppich ausgerollt, auf der einen Seite saßen lauter arme Ziegen, bewacht von den Mitarbeitern der Hilfsorganisation, die gleichzeitig Möhren an die Gäste verteilten, damit diese sie medienwirksam an die Ziegen verfütterten. Auf der anderen Seite standen zwei Dutzend Fotografen, die knipsen wollten, wie die Gäste die Möhren an die Ziegen verfüttern. Es war ein perfekter Plan, nur dass die zickigen Ziegen die Möhren nicht essen wollten. Die Fotografen konzentrierten sich deswegen auf eine Julia, die wir nicht kannten - ein blondes Mädchen, das mit den Ziegen im Hintergrund posierte. Die Fotografen riefen ihr zu "Julia hier! Julia lach mal!" Wer zum Geier ist Julia? fragte meine Tochter, die eigentlich alle Stars und Sternchen aus der Glotze kennt. Die Blitzlichter blendeten die Besucher, die Julia lächelte mit vollem Körpereinsatz, die Ziegen schwiegen.

In der Lobby standen überall kleine und große Ziegen aus Plastik und Blechbüchsen zum Spendengeld reinstecken. Es gab außerdem Ziegen-Bio-Camembert zum Probieren, Ziegenfrischkäse und Bio-Ziegenschokomilch, die in einer brandenburgischen Molkerei von Menschen mit Behinderungen hergestellt wurde. So etwas essen die Deutschen gerne. Die Firma "Kinowelt" hatte üppig Karten verteilt, es kamen mehr Gäste als Plätze vorhanden waren. Die Kinobetreiber mussten einen zweiten und später sogar einen dritten Raum für die Vorführung öffnen. Der Film war gut, fast genau so gut wie auf Russisch, meine Kinder, meine Frau, ich glaube alle waren begeistert.

Nach dem Film kam eine Vertreterin der Hilfsorganisation auf die Bühne und erzählte, wie die Organisation CARE e.V entstand. Es waren wohl die Care-Pakete, die früher nach Westberlin geschickt wurden, damit die Bevölkerung nach dem Krieg nicht verhungerte. Jetzt hat Berlin eher ein Problem mit Übergewicht, deswegen konzentriert sich diese Organisation auf den Niger, genauer gesagt auf die Tuareg, ein Nomadenvolk, das nach mehreren Dürrekatastrophen in den Siebziger- und Achtzigerjahren seine Lebensgrundlage verlor. Die Tuareg ziehen von einer Weide zur nächsten in den kargen Landschaften am Rande der Sahara. Sie sollten die Ziegen bekommen. Auf die beharrliche Frage meiner Tochter, ob die Tuaregs die Ziegen nur melken oder auch essen, konnten wir von der Hilfsorganisation keine eindeutige Antwort bekommen.

Wir hatten uns am Eingang ein lustiges kleines Zieglein an die Brust genommen und wollten natürlich nicht, dass die Tuaregs es essen. Nein, die Tuaregs bekommen die Ziegen auch nicht ganz in ihren Besitz, sie werden ihnen als Darlehen gegeben, meinte die Sprecherin. Die Ziegen werden sie dann in schlechten Zeiten verkaufen und in guten zurückkaufen können. Wir verstanden diese ausgeklügelte Marktstrategie nicht ganz. Es wurden an dem Abend hundert Ziegen für die Tuareg erworben.

Nach dem Auftritt der Hilfsorganisation kam ein Clown mit einem Kartentrick auf die Bühne. Er suchte einen Freiwilligen im Saal, der eine Karte ziehen sollte, und der Clown wusste sofort, es war die "Piek 8". Der Clown freute sich wie ein Kind darauf. "Es ist schon halb elf und morgen müssen wir wieder in die Schule, das ist unfair!" quengelten die Kinder. Der Clown war aber noch nicht fertig mit uns. Er machte einen sehr lebendigen Eindruck. Man konnte denken, sein Zirkus wäre längst abgefahren, er aber geblieben. Es ist immer so, die Clowns bleiben immer sitzen, wenn ihre Zirkusse wegfahren, bestätigte meine Frau. Und welche Karte kommt jetzt? fragte der Clown. Die Zuschauer verließen langsam den Saal. Die Ziegen schwiegen.

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