Vom Knecht zum Chef

VERLAGE IM NORDEN (III) Der Wehrhahn-Verlag in Hannover bringt wissenschaftliche Texte des 17. bis 19. Jahrhunderts wieder heraus. Sein Chef ist froh, wenn er ein paar hundert Exemplare verkauft

Neben architektonischen oder musealen Kleinoden finden sich im Norden auch verlegerische Kleinode. Wir stellen in loser Folge einige von ihnen vor.

Das Reich von Matthias Wehrhahn ist ungefähr 100 Quadratmeter groß: Der Verlag, der seinen Namen trägt, residiert in einer Hinterhofwohnung in Hannover-Wülfel. Hier sieht es so aus, wie man es sich in einem Verlag vorstellt: Überall stehen Regale voll mit Büchern, Bildbänden, Postkarten und Flyern, die über das Programm informieren.

Das ist zum Beispiel die Reihe „Meteore“. Sie gilt bedeutenden, aber fast vergessenen Schriftstellern des 17. bis 19. Jahrhunderts. August Wilhelm Iffland, geboren 1759 in Hannover, ist so einer. Er hat Dramen über die Französische Revolution geschrieben, und die laufen nun in Wehrhahns Reihe „Theatertexte“. Ebenfalls im Programm finden sich Bücher über Philosophie, Literaturwissenschaft, Musik, Kunst, Religion.

Gegründet hat Wehrhahn seinen Wissenschaftsverlag, der sich explizit auf Texte aus dem 18. Jahrhundert konzentriert, im Jahr 1996. Jüngst hat er seine 400. Publikation herausgegeben. „Man braucht einen sehr langen Atem“, sagt er, „bis man von seinem Verlag leben kann.“

Ursprünglich hatte der heute 50-Jährige in Hannover Germanistik und Politik studiert und wollte promovieren. „Damals bekam ich gute Manuskripte von Wissenschaftlern zu lesen und sagte mir: Was soll ich mit einem Doktortitel?“, erzählt er. „Viel sinnvoller ist es doch, interessante Texte bekannter zu machen.“

Wehrhahn verwarf also die Dissertation und gründete mit einem Freund einen Verlag. Anfangs ging er morgens noch bei der Post Kisten schleppen und dann erst ins Büro.

2006 dann erhielt Wehrhahn als Anerkennung für das Programm den niedersächsischen Verlagspreis, dotiert mit 10.000 Euro. „Das war die finanzielle Grundlage für die Wandlung vom Knecht zum Chef“, sagt er. „Seitdem kann ich mich ganz dem Verlag widmen.“

Und der ist in Wissenschaftlerkreisen inzwischen recht bekannt: 100 Manuskripte bekommt der Hannoveraner pro Jahr angeboten, Tendenz steigend. Rund 40 davon werden veröffentlicht, mit einer Mindestauflage von 100 Stück. „Die meisten Texte sind sehr speziell für ein sehr spezielles Publikum. Durch den Digitaldruck ist es aber möglich, dass sich auch so kleine Auflagen rechnen. Bei wissenschaftlichen Texten kann man nicht mehr als 300 bis 400 verkaufte Exemplare erwarten.“ Sogar Studierende lesen Wehrhahn zufolge angesichts voller Stundenpläne und ständiger Prüfungen weniger als früher, und Bibliotheken schaffen weniger Bücher an.

Dennoch schaut er optimistisch in die Zukunft: „Der Verlag trägt sich und wächst. Ich bin sehr zufrieden.“  JOACHIM GÖRES