Kommentar Sicherungsverwahrung: Urteil gegen die Resozialisierung

Haftjahre auf ein Ratespiel zu stützen, ist dem Individuum gegenüber unverhältnismäßig hart. Zugleich ist eine solche Regelung aber auch für die Gesellschaft gefährlich.

Mit seinem gestrigen Urteil zum Jugendstrafrecht liegt der Bundesgerichtshof ganz im politischen Trend - und der geht seit Jahren weg vom Gedanken der Resozialisierung und hin zu einer härteren Gangart auch im Umgang mit jugendlichen Straftätern. Der Bruch mit der vermeintlichen Kuschelei früherer Jahre ist dabei fatal kurzsichtig: Wenn Jugendrichter, und zwar auch die hartleibigsten, für das Primat der "Erziehung" eintreten, dann hat dies nichts mit Nachsicht zu tun. Sondern mit bitterer Einsicht. Mit einem Jugendlichen, der prägende Jahre hinter Gittern verbringt, muss die Gesellschaft noch viele Jahre auskommen. Und da ist es klug, sich die Effekte einer Strafe vorher ganz genau zu überlegen.

Als die große Koalition vor zwei Jahren ein Gesetz zur nachträglichen Sicherungsverwahrung Jugendlicher schuf, schlug sie den Protest fast aller Fachleute in den Wind: Fällt ein Jugendlicher in Haft besonders negativ auf, kann er seitdem auch nach verbüßter Strafe weiter im Gefängnis behalten werden. Mit dem Gesetz - der jüngsten Verschärfung eines ohnehin scharfen Instrumentariums - reagierte die Regierung damals auf die unmittelbar bevorstehende Entlassung eines Gewalttäters in Regensburg. Die Psychologen in der Regensburger Haftanstalt hatten vor dessen Gefährlichkeit gewarnt.

Das Gesetz gilt seitdem aber für alle Jugendlichen mit vergleichbarer Strafhöhe. Dass man bei Pubertierenden von ihrem Verhalten im fast völlig fremdbestimmten Gefängnisleben auf das zu erwartende Verhalten in Freiheit schließen könne, ist dabei eine äußerst gewagte Annahme. In vielen Fällen, die weniger eindeutig sind als der Regensburger Fall - aber vielleicht auch in diesem -, bleibt es letztlich bei einer Mutmaßung. Die ist so folgenreich, dass Psychologen sie zu Recht nur sehr ungern abgeben. Ganze Haftjahre auf ein bloßes Ratespiel zu stützen, ist dem Individuum gegenüber unverhältnismäßig hart.

Zugleich ist eine solche Regelung aber auch für die Gesellschaft gefährlich. Denn die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung "erzieht" die Gefangenen vor allem durch Verunsicherung. Ein Gefangener, über dem stets das Damoklesschwert der nachträglichen Sicherungsverwahrung schwebt, ist für offene Therapiegespräche besonders wenig zugänglich, kritisierte die deutliche Mehrheit der Kriminologen bereits bei der Verabschiedung des Gesetzes. Ihre Kritik blieb ungehört. Daher werden die Fachleute sich an die erschwerten Bedingungen gewöhnen müssen. Die Folgen trägt die Gesellschaft.

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