„Das gleiche Geschehen“

VORTRAG & AUSSTELLUNG Polizeidirektor Harry Götze berichtet über Menschenhandel in Bremerhaven

■ ist Direktor der Bremerhavener Ortspolizeibehörde.

taz: Herr Götze, das Auswanderer-Haus zeigt unter dem Titel „Der gelbe Schein“ eine Ausstellung über Mädchenhandel von 1860 bis 1930. Wie viele Zwangsprostitutierte gibt es heute noch in Bremerhaven?

Harry Götze: Das ist nur sehr schwer festzustellen. Wir wissen von insgesamt 170 in Bremerhaven arbeitenden Prostituierten, plus Dunkelziffer werden das gut 200 Personen sein. Wenn wir durch unsere Beamte vor Ort oder durch Mitarbeiter des Gesundheitsamtes Anhaltspunkte bekommen, dass jemand in einer Zwangssituation ist, erweist es sich meistens als leider sehr schwierig, belastbare Zeugenaussagen zu bekommen. Viele der Betroffenen können nicht lesen, sprechen nicht Deutsch und überhaupt nur einen speziellen Dialekt ihres Heimatlandes. Vor allem aber haben sie Angst vor Rache, auch an ihren im Heimatland lebenden Kindern. Und von dort wiederum haben sie zu allermeist nicht die Erfahrung mitgebracht, dass sie den Behörden uneingeschränkt vertrauen können. Wir müssen also zu allererst um Vertrauen bei den Betroffenen werben, wobei wir auch eng mit Vereinen wie Nitribitt zusammenarbeiten.

Wie viele Fälle können Sie pro Jahr zur Anzeige bringen?

Vergangenes Jahr waren es acht, davor sieben Fälle.

Woher kommen die Frauen überwiegend?

Die meisten aus Ungarn, gefolgt von Bulgarien, Thailand und Rumänien. In Bremerhaven sind 80 Prozent der Prostituierten Ausländerinnen, bundesweit ist es nur die Hälfte.

Liegt das am Hafen?

Ja. Ausgehend von der Hafentradition hat sich die Prostitution in Bremerhaven intensiv etabliert. Mir ist keine andere deutsche Stadt unserer Größenordnung bekannt, in der das Rotlichtmilieu derart präsent ist. Daran hat weder die drastische Verkürzung der Schiffs-Liegezeiten etwas ändern können noch der Abzug der US-Streitkräfte. Nach Bremerhaven kommen die Kunden aus dem gesamten Einzugsgebiet vom Ems- bis zum Elbe-Weserraum.

Wie versucht die Polizei, den Prostituierten zu helfen?

Wir sagen Ihnen: Ihr seid hier nicht illegal. Ihr dürft hier als Prostituierte arbeiten, und dabei habt ihr Rechte. Aber es ist eben schwierig, mit dieser Botschaft zu den Betroffenen durchzudringen.

Ist die Situation denn mittlerweile besser, verglichen mit den Zuständen, die in der Ausstellung gezeigt werden?

Durch das Prostitutionsgesetz von 2002 hat sich die Situation der Sexarbeiterinnen durchaus verbessert, etwa, weil sie sich nun versichern können. Auch die hygienischen Verhältnisse sind anders als vor 100 Jahren. Die Methoden und Geschehnisse im Menschenhandel hingegen sind die gleichen wie früher, da hat sich nur Unwesentliches verändert. Insofern hat mich die Ausstellung auch persönlich betroffen gemacht. INTERVIEW: HENNING BLEYL

10.30 Uhr, Auswanderer-Haus Bremerhaven