Apotheke statt Notfallpraxis

FAMILIENPLANUNG In 28 europäischen Ländern gibt es die „Pille danach“ rezeptfrei. Das will Pro Familia auch für Deutschland und hat in Hamburg zur Diskussion geladen

■ Zwei Präparate gibt es derzeit auf dem deutschen Markt: Pidana und Ella One – beide sind verschreibungspflichtig.

■ Beide Präparate enthalten das Hormon Levonorgestrel und verhindern den Eisprung, wenn sie innerhalb von 72 Stunden nach dem Sex eingenommen werden.

■ Fälschlicherweise werde Ella One nachgesagt, man könne sie fünf Tage nach dem Geschlechtsverkehr einnehmen – bei gleicher Wirkung. Ein viel zu großzügig bemessener Zeitraum. „Wenn das Ei gesprungen ist, ist es gesprungen, dann ist die Notfallverhütung mit der ‚Pille danach‘ gelaufen“, sagt Kerstin Falk, Landesgeschäftsführerin von Pro Familia in Hamburg.

■ Trotzdem werden Frauen an Wochenenden oftmals aus Notfallpraxen mit dem Hinweis nach Hause geschickt, sie könnten Ella One noch am Montag einnehmen, da diese Pille länger wirke.  KGI

VON KATHARINA GIPP

Kondom gerissen, Pille vergessen, nicht aufgepasst – Frauen können Fehler bei der Verhütung innerhalb von 72 Stunden mit der „Pille danach“ ausgleichen. Aber bislang ist diese Pille in Deutschland verschreibungspflichtig. Wer sie einnehmen will, muss zum Arzt oder am Wochenende in eine Notfallpraxis gehen. Gerade in ländlichen Gegenden, in denen die nächste medizinische Notfalleinrichtung oft weit weg ist, kann das zum Problem werden.

Die Organisation Pro Familia, die deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung, setzt sich dafür ein, dass es die „Pille danach“ für jede Frau rezeptfrei in der Apotheke gibt und hat darum in der vergangenen Woche in Hamburg eine Diskussionsrunde mit Vertretern aller Fraktionen veranstaltet.

Für Kerstin Falk, die Landesgeschäftsführerin von Pro Familia in Hamburg, ist es völlig unverständlich, warum es in Deutschland die „Pille danach“ bislang nur auf Rezept gibt. In 28 anderen europäischen Ländern gebe es die „Pille danach“ schon seit Jahren frei in der Apotheke. „Selbst in Irland ist die ‚Pille danach‘ seit 2010 rezeptfrei“, sagt Falk. „Und das, obwohl das Land sonst so rigoros ist, was Verhütung angeht, und ein Schwangerschaftsabbruch unter keinen Umständen infrage kommt.“

Auch Vorbehalte, Frauen würden nicht mehr regelmäßig die Pille nehmen, wenn sie rezeptfrei an die „Pille danach“ kämen, ließen sich entkräften. „In Frankreich ist die ‚Pille danach‘ schon seit 1999 frei in der Apotheke erhältlich“, sagt Falk. Am Verhütungsverhalten der Frauen habe sich gar nichts geändert.

Wichtig zu betonen sei außerdem, dass es sich bei der „Pille danach“ nicht um eine Art Abtreibungspille handele. Ein bereits befruchtetes Ei werde nicht gefährdet. Das Hormon Levonorgestrel verzögere lediglich den Eisprung, sagt Falk. So könne es zu keiner Befruchtung der Eizelle kommen. Unerlässlich sei jedoch, dass die „Pille danach“ schnell eingenommen wird. „Wenn Frauen am Wochenende in Notfallpraxen gehen müssen, ist die Schwelle sehr hoch und das Präparat wird eventuell zu spät eingenommen“, sagt Falk.

Damit die Rezeptpflicht aufgehoben werden kann, muss das Bundesgesundheitsministerium eine entsprechende Verordnung erlassen und die Bundesländer müssen eine entsprechende Entscheidung im Bundesrat vorantreiben.

Die Resonanz bei der Diskussionsrunde in Hamburg war weitgehend positiv. „Ich bin für die Rezeptfreiheit des Medikaments Pidana, weil es Frauen hilft, aus einer Notlage schnell und ohne gesundheitliche Probleme herauszukommen“, sagt Kersten Artus von der Hamburger Linksfraktion. Die Grünen-Abgeordnete Heidrun Schmitt stimmt zu: „Es ist wichtig, dass Frauen im Bedarfsfall die ‚Pille danach‘ ohne Zeitverzögerung einnehmen können.“ Auch SPD-Abgeordnete Sabine Steppat wünscht sich eine Abkehr von der derzeitigen Situation. Sie hält nichts von teuren „Zwangsberatungen“.

Die Bundes-SPD hat bereits im Dezember 2012 einen Antrag an den Bundestag gestellt. Auch die Fraktion der Linken hat im Januar die Bundesregierung aufgefordert, die Rezeptpflicht aufzuheben. Außerdem arbeiten SPD und Grüne in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg an einer Initiative zur Vorlage beim Bundesrat. Widerspruch gibt es allerdings seitens der CDU. Hjalmar Stemmann, Fraktionsmitglied der Hamburger CDU, hält zwar die „Pille danach“ für ein gutes Notfallmedikament, doch durch die hohe Hormondosis könnten häufig starke Nebenwirkungen auftreten und auch der nächste Eisprung verzögert werden. „Daher halte ich eine ärztliche Beratung vor der Abgabe der ‚Pille danach‘ für absolut notwendig“, sagt Stemmann. Auch auf bundespolitischer Ebene hat sich die CDU bereits gegen eine Rezeptfreiheit für die „Pille danach“ ausgesprochen.

Die Chancen für eine bundesweite Einführung der Rezeptfreiheit stehen dennoch nicht schlecht. Durch den Fall einer vergewaltigten jungen Frau, die an zwei katholischen Kliniken in Köln abgewiesen wurde, ist das öffentliche Interesse an dem Thema „Pille danach“ derzeit besonders groß. Kerstin Falk von Pro Familia ist optimistisch: „Vielleicht standen die Zeichen noch nie so gut für eine Durchsetzbarkeit der Rezeptfreiheit wie im Moment.“