Stadt ohne Kanzler

Vielleicht ist es gar nicht so tragisch, dass Hannover den Titel Kanzlerstadt seit heute nicht mehr trägt. Andere haben den Imageverlust auch verkraftet: Ein Blick nach Oggersheim und Immensen

Von Kai Schöneberg

Was waren das für Zeiten, als Harald Schmidt täglich ein Zooviertel-Modell mit Playmobilfiguren bespielte und aus der Sendung im „Frischmarkt Kasper“ anrief, um mit der „absoluten Kracher-Besitzerin von dem geilen Edeka-Laden“ zu sprechen. Die hatte nämlich ihren Anwalt auf den Kanzler gehetzt, weil die Sicherheitsmaßnahmen rund um das schrödersche Reihenendhaus in der Plathnerstraße Parkplätze – und damit Kundschaft – kosteten. Der Rummel um Schröders Heimatstadt dürfte nun nachlassen. Wenn heute Angela Merkel vereidigt wird, ist ab sofort Hohenwalde bei Templin Kanzlerdorf. Kanzlerinnendorf.

„Und was kommt jetzt“, fragte schon im Sommer die fürsorgliche Hannoversche Allgemeine Zeitung. Eine Studie war damals zu dem Schluss gekommen, dass die spröde Leine-Metropole seit der Expo quasi nur in den Medien aufgetaucht war, als Schröder im Jahr 2003 seinen Urlaub nach deutsch-italienischen Verstimmungen statt in der Toscana „nur“ an der Leine verbrachte. Natürlich gibt es bereits T-Shirts mit der Aufschrift „ Servus Kanzlerstadt“. Aber dass jetzt ausgerechnet der Produzent Mousse-T der einzige lebende Werbeträger für Hannover sein soll, ja dass Schröder sogar sein Anwaltsbüro nicht in Hannover, sondern in Berlin eröffnen will, sorgt vor Ort für Sorgenfalten. Vielleicht zu unrecht.

„Wir waren froh, wenn sie da waren. Und froh, wenn sie wieder weg waren“, sagt Albin Fleck, der Ortsvorsteher von Oggersheim. Wenn Helmut Kohl Jelzin, Thatcher oder Vaclac Havel in seinem Pfälzer Heimatort mit Saumagen verköstigte, habe es ja auch „kritische Situationen“ gegeben, betont Fleck und erzählt von dem Tag, als Michael Gorbatschow unbedingt aus dem Bus aussteigen wollte, um ein Bad in der Menge zu nehmen. Für Oggersheim ist der Machtverlust Kohls offenbar kein Beinbruch gewesen. „Der mischt sich ja immer noch aktiv ein“, meint Fleck, der wie „der alte Chef“ seit 50 Jahren in der CDU ist. Am Wochenende kommt der Vortragsreisende Kohl stets von Berlin nach Hause, sagt der Ortsvorsteher. Die Brötchen kauft sein Chauffeur ein, aber die Oggersheimer sehen ihren Kohl noch beim Spazierengehen. „Der erkundigt sich auch, wie wir mit dem neuen Pfarrer zurechtkommen“, sagt Fleck. Gorbatschow besuche Kohl jetzt oft privat. „Die haben ja beide keine Frauen mehr“. Und: Noch heute pilgern Unentwegte nach Oggersheim, um einen Blick auf das Wohnhaus des kohlschen Riesen zu werfen. Ehrenbürger von Ludwigshafen ist er in diesem Jahr auch geworden, eine „Hannelore-Kohl-Allee“ gibt es in Ludwigshafen.

In Hannover dazu noch nichts Konkretes. Plätze oder Straßen würden nur nach verstorbenen Persönlichkeiten benannt, sagt eine Sprecherin der Stadt. Und die letzte Ehrenbürgerwürde wurde vor fünf Jahren Niki de Saint Phalle verliehen. Die ist auch schon tot.

Am besten haben offenbar die 2.500 Immensener den Kontakt mit der Macht vertragen. In dem Dorf im Osten Hannovers hatte Schröder bis 1996 gewohnt, als er sich mit seiner damaligen Ehefrau Hillu wegen Currywürsten und anderem verkrachte. Der damalige Ministerpräsident half bei der Ernte, fegte die Straße und ging am Wochenende ohne Aufpasser im Dorf einkaufen. „Das war schön fürs Dorf“, erzählt Ortsvorsteherin Heidrun Bleckwenn. Noch im Sommer habe der SPD-Ortsverein eine Spontanaudienz samt Foto-Shooting im Kanzleramt erhalten. „Hier ist ab und zu ein Hubschrauber gelandet“, meint Bleckwenn. „Und heute noch ist jeder ganz stolz, wenn er erzählt: ‚Hier hat der Bundeskanzler gewohnt‘.“