Experte über Risikomanagement: "Das System ist inzestuös"

Selbstgefälligkeit, geheime Absprachen und Nachlässigkeiten verhindern, dass es in den USA echte Sicherheitsmechanismen gibt, meint Rechtsexperte Zygmunt Plater.

"Selbstgefälligkeit bedeutet, dass es keine echten Sicherheitsmechanismen gibt": Die BP-Bohrinsel Deepwater Horizon. Bild: dpa

taz: Herr Plater, vor 20 Jahren haben Sie nach der Ölkatastrophe mit der "Exxon Valdez" in Alaska die juristische Untersuchungskommission geleitet. Was empfinden Sie, wenn Sie jetzt die neue Ölkatastrophe im Golf betrachten?

Zygmunt Plater: Frustration. Vor allem, weil die Lektionen von "Exxon Valdez", die wir in unsere Empfehlungen gefasst haben, nicht beachtet worden sind.

66, Juraprofessor an der Universität Boston, ist auf Umweltrecht spezialisiert. Nach dem Tankerunglück der "Exxon Valdez" in Alaska leitete er zwei Jahre lang die Legal Task Force, die rechtliche Empfehlungen erarbeitete.

Was hätte getan werden müssen?

Sowohl die Ölkonzerne als auch die Regierung hätten ein Risikomanagement machen müssen. Außerdem hätte die Notfallplanung modernisiert werden müssen, denn ein gewisses Risiko ist unvermeidlich. Beides ist nicht geschehen.

Woher kommen denn die Widerstände?

Wir haben es mit einem zweipoligen System zu tun: mit Konzernen, die die Wirtschaft führen, und mit Behörden, die uns vor Marktversagen schützen sollen. Dieses System ist von Natur aus inzestuös. Die Konzerne heuern Leute an, die aus den Behörden kommen, und die Behörden heuern Leute an, die aus den Konzernen kommen. Was fehlt, ist eine dritte Einheit: die Öffentlichkeit. Die Fischer und Anwohner dürfen nicht mitreden.

Die Fachleute kennen die Gefahren nicht?

Es ist ein sehr komplexes und sehr riskantes Megasystem, das sich durch Selbstgefälligkeit, geheime Absprachen und Nachlässigkeit charakterisiert. Die menschliche Natur verdrängt das Negative. Aber wenn Sie ein Megasystem haben, ist das eine gefährliche Kombination. Und Selbstgefälligkeit bedeutet, dass es keine echten Sicherheitsmechanismen gibt, weil die Regierung nicht wachsam ist und weil die Aktiengesellschaften von kurzfristigem Gewinninteresse geleitet sind.

Wie soll die Öffentlichkeit - als dritte Einheit - die Feinheiten der Öltechnologien verstehen?

In Alaska haben wir eine Struktur empfohlen, die trotz des Widerstands der Lobbyisten 1990 in das Ölverschmutzungsgesetz eingeflossen ist: den Regional Citizens Oversight Council. Darin sitzen Anwohner, die die Ölproduktion und das -transportsystem beobachten und die Einblick in die Unterlagen von Gesellschaften und Behörden haben. Das ist ein effizienter Überwachungsmechanismus. Leider gilt das Gesetz nur für Alaska.

Wären die Reaktionen genauso, wenn der Unfall in einem anderen Bereich des Energiesektors passiert wäre? Sagen wir, in einem Atomkraftwerk?

Mir scheint, wir nehmen die Atomenergie ernster. Weil wir wissen, wie entsetzlich ihr Potenzial ist. Öl und Gas hingegen sind mit unserer Gesellschaft, mit unseren Autos und mit unserer Politik verwoben. In den vergangenen Jahren hatten wir Öl-und-Gas-Präsidenten und Vizepräsidenten.

Im Golf ist BP Verursacher der Katastrophe und zugleich jene Institution, bei der alle Rettungsoperationen zusammenlaufen. Muss das so sein?

Das war in Alaska genauso. Und das ist in gewisser Weise unvermeidlich. Die Industrie hat Kapital und Ressourcen, die jederzeit eingesetzt werden können. Die Regierung hat das nicht. Wichtig ist nicht, woher die Ressourcen kommen, sondern wo das Kommando ist. Im Augenblick sieht es so aus, dass die Regierung erklärt, das Bindemittel Corex sei gefährlich und ineffizient. Und BP benutzt es trotzdem weiter. Das wäre in Deutschland undenkbar. Aber in den USA sind wir Cowboys.

Wie erklären Sie diese Mentalität?

Es gehört zur Kultur der amerikanischen Industrie, Behörden als lästig zu betrachten. Und die Übertragung von Weisungsbefugnissen auf eine Regierungsbehörde gilt als Gräuel.

Sie wollen eine stärkere Regierung?

Amerika pflegt die altertümliche Idee, dass eine Regierung nicht wirklich nötig und eher der Feind ist. Im Golf zeigt sich, dass wir eine Regierung brauchen, die nicht mit der Industrie unter einer Decke steckt. Wir brauchen eine Regierung, die reguliert. Das ist kein Kommunismus.

Die Opfer der "Exxon Valdez" haben nach einem 19 Jahre langen Rechtsstreit im vergangenen Jahr lächerlich geringe Entschädigungen erhalten. Droht dieses Schicksal jetzt auch den Anwohnern und Fischern des Golfs?

Der politische Kontext ist heute anders. Die Bush-senior-Verwaltung war 1990 kein bisschen ernsthaft in dieser Sache. Die Obama-Verwaltung hingegen ist es wohl. Hinzu kommen Gesetzesänderungen. Beides dürfte dafür sorgen, dass die Leute am Golf besser entschädigt werden. Vorausgesetzt, dass BP nicht pleitegeht.

INTERVIEW: Dorothea Hahn

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