Ghana im Achtelfinale: Das Geheimnis der Black Stars

Ghana ist als einziges Team Afrikas ins WM-Achtelfinale gekommen. Sie setzen auf Geduld statt auf Allüren. Der Auftritt der "schwarzen Sterne" begeistert ihre Nation. Ein Reportage aus Accra.

Ghana-Fans im Stadion von Johannesburg. Bild: reuters

ACCRA taz | Kaum auszumalen, was Howard Asamoah gemacht hätte, wenn es keinen Grund zum Feiern gegeben hätte. So jedenfalls wirkt der Mittdreißiger mit leichtem Bierbauch nicht fehl am Platze, während er mit nichts als einer Unterhose und Ghanas Nationalflagge bekleidet die Oxford Street herunterläuft und immer wieder "Black Staaaaars" brüllt.

Accras Partymeile gleicht zu diesem Zeitpunkt Kölns Hauptstraßen am Rosenmontag. Hunderte dröhnende Vuvuzelas wechseln sich ab mit Hiphop, der aus scheppernden Boxen tönt. Wer kein Trikot trägt - meist das chinesische Imitat -, der hat sich zumindest drei Streifen ins Gesicht gemalt. Rot, Gelb, Grün, dazu Ghanas schwarzer Stern, das sind die Farben des Abends. Hupende Autokorsos versuchen sich einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen, die sich umgehend teilt, als fünfzig beflaggte Motorräder die Straße herunterbrettern.

"Wir haben es geschafft!", jubelt Fred Nyako. "Wir sind weiter! Wir werden Afrika würdig vertreten und die USA einfach wegputzen." Die Umstehenden nicken und stimmen kakofonische Fangesänge an. "Das ist unser Abend, wir haben gesiegt!", brüllt einer von Nyakos Freunden, bevor die Gruppe weiterzieht in die lange Partynacht.

Dabei hat Ghana gar nicht gesiegt. Nicht einmal für ein Tor hat es im Spiel gegen Deutschland gereicht. Doch derlei Details sind selbst am Morgen danach noch nicht so wichtig, an dem die Beflaggung der Autos im Berufsverkehr erste Bürgerpflicht ist. "Ich habe seit Sonnenaufgang mehr als 200 Fahnen verkauft", strahlt der 15-jährige Simon, der pro Stück einen Cedi, gut 50 Euro-Cent, verlangt. Seinem Freund Peter reißen die Fahrer die von der Druckfarbe noch nassen Zeitungen aus der Hand: "Wir haben es geschafft!", "Wir sind da!", "Afrika ist stolz auf uns", lauten die Schlagzeilen. Irgendwie geht an diesem Morgen jeder ein bisschen aufrechter. Jeder ist sich bewusst, dass aus den Black Stars über Nacht die "African Stars" geworden sind.

Vier der sechs anderen afrikanischen Teams sind bereits ausgeschieden, der Elfenbeinküste werden keine Chancen auf den Einzug in die zweite Runde eingeräumt. Afrika, das ist bei der WM ab sofort Ghana. Nationalcoach Milovan Rajevac hat die Südafrikaner bereits aufgefordert, sein Team mit voller Macht zu unterstützen: "Ich hoffe, wir werden von der geballten Kraft der Fans profitieren."

Warum gerade bei dieser WM, die schon seit Monaten auf dem ganzen Kontinent als "Afrikas WM" gefeiert wird, ein afrikanisches Team nach dem anderen früh ausscheidet, will Karl Tufuoh lieber nicht sagen. "Ich kann nur über Ghana sprechen." Tufuoh kommentiert alle Spiele im staatlichen Fernsehen, er ist eine Art ghanaischer Gerhard Delling. Sein Wort hat Gewicht in der fußballverrückten Nation.

Warum glaubt er, dass nun gerade die Black Stars eine Runde weitergekommen sind? "Sehen Sie, wir haben keine elf Starspieler aus internationalen Spitzenclubs wie die Elfenbeinküste, aber dafür sind wir eine echte Elf, ein Team - deshalb haben wir es wohl geschafft." Anders als den Etoos und Drogbas dieser Welt sei vielen jungen ghanaischen Fußballspielern nichts wichtiger, als sich bei der WM zu profilieren. "Die wollen raus und der Welt beweisen, dass sie es können, die geben dafür alles, aber eben auch alles."

Lange nicht mehr alle afrikanischen Spieler "laufen wie ein Schwarzer, um zu leben wie ein Weißer", wie es der Kameruner Samuel Etoo einmal ausdrückte - manch einer hat sich vielleicht zu sehr ans gute Leben in Europa gewöhnt, auf dem Kontinent des Ligafußballs. "Von den berühmten Spielern ist doch keiner mehr zurückgekommen, um hier zu investieren oder Nachwuchs aufzubauen", brummelt auch der Telefonkartenverkäufer Joseph Anaman. Umso begeisterter ist Anaman von der derzeitigen Elf. "Die haben Feuer und Kraft, die wissen noch, wie es ist, hier im Slum groß zu werden."

Um die Kinder, die auf den schlammigen Pisten der Slums rund um Accra ihre aus Plastiktüten und Schnur zusammengerollten Bälle kicken, kümmert sich Sly Tetteh - jedenfalls um die, die Talent haben. "Wir holen die Guten ins Vereinsheim, wo sie ordentlich trainieren können", sagt der Gründer der Liberty Professionals, eines von Ghanas Erstligateams. Bei einem Schulturnier auf einem staubigen Platz entdeckte Tetteh Michael Essien, Ghanas wohl berühmtesten Spieler. "Im Moment habe ich hier sicher sechs, sieben Michael Essiens", prahlt er. Manche seiner Schüler sind erst zehn Jahre alt, wenn sie das schicke Vereinsheim am Stadtrand von Accra zum ersten Mal betreten.

Hier gibt es alle erdenklichen Fitnessgeräte und im Gruppenraum einen riesigen Fernseher, auf dem Spiele analysiert werden. "Viele Trainer in Ghana arbeiten einzig und allein an der Technik der einzelnen Spieler, aber ein ordentliches Teamplay ist mindestens genauso wichtig." Außerdem verlangt Tetteh, der in den USA Informatik studiert hat, von jedem jungen Spieler, die Schule abzuschließen. Besonderen Talenten finanziert Tettehs Club das Internat. All das, sagt Tetteh, kann er sich nur leisten, weil es für seine Spieler einen Markt gibt. "Einen Großteil unserer Einnahmen machen wir, wenn Liberty-Fußballer ins Ausland abgeworben werden." Und manche von ihnen spielen später für die Black Stars.

Nicht alle mögen das. "Das ist nichts anderes als ein neuer Sklavenhandel", ereifert sich Sportkommentator Tufuoh. Viele Eltern unterschrieben Verträge für ihre Söhne, die sie nicht verstünden. "Da werden alle persönlichen Rechte aufgegeben, einige enden in Orten wie Vietnam - die, die es schaffen, zurückkommen, erzählen Horrorgeschichten." Vermittler wie Tetteh, von denen es in Ghana mittlerweile Dutzende gibt, kontern, ein gutes Leben sei derzeit eben nur außerhalb Ghanas möglich. "Ghanas Ligen sind keine Alternative", gibt Tufuoh zu. "Wenn hier ein Spitzenspiel stattfindet zwischen Ashanti Gold und Accra Hearts of Oak, dann sitzen vielleicht 5.000 Zuschauer in einem Stadion, das für 40.000 gebaut worden ist." Am schlimmsten ist es, wenn parallel ein Spiel in der englischen Premier League stattfindet. Selbst ein Kellerduell dort findet mehr Anhänger als ein lokales Spitzenderby.

"Gegen die Millionen, mit denen der Nimbus der Premier League aufgebaut worden ist, können Afrikas Teams einfach nicht anstinken", glaubt der britische Journalist und Autor Steve Bloomfield. Sein Buch "Africa United" beschreibt, wie afrikanische Politiker den Fußball gezielt nutzen, um ihre Sympathiewerte zu erhöhen. "Die ständige Einflussnahme auf Manager und Trainer macht es dann schwierig, fußballerisch richtige Entscheidungen zu treffen." Nigerias Präsident richtete eine Taskforce ein, deren Ziel es war, die WM-Qualifikation zu sichern. Der örtliche Fußballverband wurde gar nicht erst gefragt und schaffte es kaum, rechtzeitig vor der WM einen Trainer zu engagieren. "Sehen Sie sich dagegen Ghana an: seit zweieinhalb Jahren der gleiche Coach, das heißt Stabilität für die Elf", lobt Bloomfield. "Außerdem steckt der ghanaische Fußballverband viel Geld in die Nachwuchsförderung, genau deshalb ist Ghana U 20-Weltmeister geworden."

Doch auf der weißen Weste der ghanaischen Fußballfunktionäre prangt ein schwarzer Fleck. Es geht um gut tausend ghanaische Fußballfans, die auf Kosten der Regierung nach Südafrika geflogen, untergebracht und mit den begehrten Tickets ausgestattet wurden. Seit Tagen wird in Accra darüber spekuliert, wie die Profiteure der einmaligen Aktion ausgewählt wurden. Der Fußballverband will den Skandal nicht kommentieren. Pressesprecher Randy Abbe hat sein Handy abgeschaltet.

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