Musiktourismus in Seatlle: Kurt und Jimi verzweifelt gesucht!

Die Stadt ist eine der beliebtesten Urlaubsmetropolen der USA – wegen der Nähe zum Meer, den Vulkangipfeln und der Musik.

Die Skyline von Seattle mit space needle und Mount Rainier. Bild: michael marek

Ende der achtziger Jahre wurde in der liberalen Metropole im Nordwesten der USA der Grunge geboren, eine Musik abseits des Mainstreams, laut und dröhnend, eine Mischung aus Hardcore Punk und Metal. Ausdruck einer zornigen Jugend, die sich von ihren Eltern der 68er Generation verschaukelt fühlte. Nirvana-Frontmann Kurt Cobain galt als Galionsfigur dieser desillusionierten Grunge-Szene. Bis dahin war Seattle alles andere als eine Musikmetropole, eher ein kulturelles Mauerblümchen im Schatten von Boeing, Microsoft und Starbucks, die hier ihre Produktionswerke oder Unternehmenssitze haben.

Unsere Reise beginnt in der 900 East Pine Street. Hier steht der berühmteste Sohn der Stadt: Jimi Hendrix. Eine Bronzestatue zeigt den Revolutionär an der E-Gitarre in verzückter, klischeehafter Rockpose. Das kleine Denkmal soll an einen der größten Rockstars erinnern. Hendrix hatte nicht einmal einen Schulabschluss, aber seine Balladen gelten als lyrische Offenbarung.

Seine sterblichen Überreste liegen im Vorort Renton. Geboren und aufgewachsen ist Hendrix in einer Hinterhofbaracke von Seattle. Auf dem Greenwood Cemetery steht das Hendrix Memorial. Die letzte Ruhestätte entpuppt sich als hässliches Monstrum aus Marmor. „Viel zu wuchtig“, kommentiert Carla de Santis, die auf unsrer Tour dabei ist, scharf. Die blonde Fünfzigjährige berät Künstlerinnen und Unternehmen in PR-Fragen.

Weiter geht es mit der Subseattle Tour. „Seattle ist die kreative Metropole der USA“, sagt Lucy Wilma. Mit ihrem Tigerhemd, knallrot geschminkten Lippen, Baskenmütze und Sonnenbrille gibt sie die burschikose Stadtführerin. Sie zeigt den Besuchern, wo berühmte Musiker in Seattle ein- und ausgingen. „Ray Charles spielte in vielen Clubs der Stadt.“ Sein erstes Album hat der begnadete Soulsänger im „Black Alps Club“ aufgenommen. Heute fehlt hier jeder Hinweis auf die glorreiche Vergangenheit.

Bis Mitte des letzten Jahrhunderts herrschte in der Musikergewerkschaft strikte Rassentrennung. Das führte dazu, dass die Schwarzen nur in ihren Clubs spielten. Dass sich die Musikergewerkschaften nach Rassen trennten, war „ungeheuerlich, förderte aber auch ein enorm kreatives Potenzial“, sagt Lucy.

Nightlife und Musikclubs: Re-Bar, 1114 Howell Street, Seattle, WA, Tel. 0 01/2 06/2 33 98 73, www.rebarseattle.com

Crocodile Café, hier traten schon Nirvana, Pearl Jam und R.E.M. auf: 2200 Second Avenue, Seattle, WA 9 81 21-20 17, Tel. 0 01/2 06/4 41 74 16, www.thecrocodile.com

Sehenswert: Experience Music Project / Science Fiction Museum and Hall of Fame at Seattle Center, 325 Fifth Avenue North, Seattle, WA 98109, Tel. 0 01/8 77/3 67 73 61, www.emplive.org

Bumbershoot Festival 2010 (4. bis 6. September), Kontakt: PO Box 9750, Seattle, WA 98109, Tel. 0 01/2 06/8 16 64 44,

www.bumbershoot.org

SubSeattle Tour, 608 First Avenue, Seattle, WA 98104, Tel. 0 01/2 06/6 82 46 46,

www.subseattletour.com

Auskünfte: Seattles Convention and Visitors Bureau, One Convention Place, 701 Pike Street, Suite 800, Seattle, WA 98101, Tel. 0 01/2 06/4 61 58 00,

www.visitseattle.org

Die Subseattle Tour geht weiter. Mit dabei sind solch markante Stationen wie das Edgewater Hotel an Pier 67, wo die Beatles 1964 durch das Fenster von Zimmer 272 im Puget Sound angelten, das ehemalige Musikgeschäft, in dem Jimi Hendrix Ende der sechziger Jahre seine erste E-Gitarre kaufte. Dann geht es zum eigentlichen Höhepunkt einer jeden Tour: Washington Boulevard Ost 171, direkt am Vieretta Park. Hier wohnt Seattles Upperclass. Eine Villa extravaganter als die andere. Dazwischen eine kleine Grünanlage, die auf einem kleinen Hügel liegt, von dem aus sich ein wundervoller Blick über den Lake Washington bietet. Aber deshalb sind wir nicht hergekommen. Hinter großen Bäumen liegt das ehemalige Anwesen Kurt Cobains. Eine Holzvilla, wie sie nur Stephen King hätte ersinnen können: dunkel, verlassen und mit Fenstern, die wie tote Augenhöhlen aussehen.Während des Sommers stünden manchmal Gruppen von 10 bis 15 Leuten vor dem verwaisten Haus von Kurt Cobain und seiner Witwe Courtney Love, erzählt uns Lucy. Jetzt ist es eingezäunt und Privatbesitz. Touristen und Fans schreiben Sprüche an den Zaun oder auf die davorstehenden Holzbänke. Die Latten sind von Mitteilungen und Liebeserklärungen übersät: „Du hast uns im Stich gelassen! Kurt, du hast unser Leben verändert!“ Ein Gästebuch aus Holz!

Am nächsten Tag geht es mit dem Taxi ins Rathaus. Seit der Demokrat Greg Nichols zum Bürgermeister gewählt wurde, gehört das Musikleben zum unverzichtbaren Bestandteil des städtischen Marketings. Denn Grunge, Hendrix und Co ziehen Touristen aus aller Welt magisch an. Währenddessen hört der Taxifahrer Country Music. Ob er Grunge kennt? - Grunge? Hey Leute, das ist doch diese depressive Kiffermusik!

Im 19. Stock eines Hochhausturms wartet James Keblas auf uns. Der dynamische Endzwanziger ist zuständig für Musikförderung. Keblas ist Direktor des Seattle Film and Music Office. „Mein Job ist es, Seattle zur Musikhauptstadt der Welt zu machen“, verkündet er etwas großmäulig gleich zu Beginn des Gesprächs.

Trotz der Wirtschaftskrise, die auch Seattle, Boeing und Starbucks erreicht hat, präsentiert der Direktor stolz seine Zahlen in der Art eines Wirtschaftsprüfers: Musik gehöre zum 13. größten Industriezweig. 1,2 Milliarden Dollar setze man jährlich mit Musik um. 9.000 Arbeitsplätze seien durch die Musikindustrie geschaffen worden.

Hinter diesen Zahlen verbergen sich Dienstleistungen aller Art: vom CD-Verkäufer bis zum Taxichauffeur, vom Fanartikelhersteller bis hin zum Museumskurator reicht die Palette der Musikschaffenden, die vom Image der Musikmetropole profitieren. Erst an der Spitze dieser Dienstleistungspyramide finden sich die Künstler wieder; ein-, zweihundert mögen es in Seattle und im benachbarten Portland sein, die den Furor aus alten Grunge-Tagen aufgreifen und in ein neues urbanes Lebensgefühl für die iPod-Generation verwandeln.

Am Maussoleum von Jimi Hendrix. Bild: michael marek

Dazu gehört auch ein futuristischer kolossaler Gebäudekomplex: das Experience Music Project, entworfen von Stararchitekt Frank O. Gehry. Das Museum mit seiner fensterlosen, blau und rot schimmernden Fassade wirkt wie ein Raumschiff, das sich aus einem anderen Sonnensystem hierher verirrt hat. Finanziert von Microsoft Gründer Paul Allen, wird hier die Geschichte der populären Musik erzählt. „Wir sind überhaupt kein traditionelles Museum“, erklärt Jacob McMurray, „man geht hier nicht rein, um Texte zu lesen oder sich Exponate anzuschauen, die an den Wänden hängen. Wir bieten interaktives Material!“

Der 37-Jährige mit Hipster-Hut und Hornbrille arbeitet als Museumskurator. Alles ist hier multimedial. Aus allen Ecken tönen Geräusche, Musik- und Videoclips. Es gibt es eine Menge Kuriositäten und Sammlerstücke zu bestaunen, darunter Gitarren von Jimi Hendrix, die berühmte Fender Stratocaster von Kurt Cobain und andere Devotionalien aus der Rockvergangenheit Seattles. Das im Jahr 2000 fertiggestellte Museum wird vor allem von Touristen besucht. Und die wollen wissen, warum so viele bekannte Musiker gerade aus Seattle kamen. „In Seattle regnet es ziemlich viel“, lautet McMurrays Theorie, „da hat man schon mal Langeweile, spielt zum Beispiel Gitarre, trinkt viel. Daraus kann eine Menge Kreativität entstehen!“

Doch der Grunge darbt im Museum mumifiziert vor sich hin. In Capitol Hill, den Clubs Downtown werden Rap, HipHop und Techno gespielt. Vom Grunge spricht niemand mehr. Nicht einmal Cobains Asche ist mehr da, wo sie hingehört. Courtney Love hatte die sterblichen Überreste ihres Mannes zu Hause in ihrer Villa aufbewahrt. In einer rosafarbenen Plüschtasche, versteckt in einem Kleiderschrank. Ein Dieb hat sie vor zwei Jahren neben Schmuck und Designerkleidung gestohlen. Grunge is dead.

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