AUSZEICHNUNG: Die Weltverbesserungs-Formeln

Mit selbstlernender Software tunt ein Bremer Startup Kraftwerke und Chemieanlagen. Ihre Technik, so die Mathe-Experten, hätte auch die US-Ölpest vermieden.

Mit Mathe gegen Ölpest: Patrick Bangert Bild: sim

Er kann keine Kraftwerke bauen, kennt sich nicht mit Chemikalien aus und hat auch keine Ahnung von Tiefseebohrungen. Trotzdem ist Patrick Bangert überzeugt, dass er der Umwelt Millionen Tonnen CO2 ersparen und beliebige Chemieanlagen optimieren kann. Und dass seine 20-Mann-Firma die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko hätte verhindern können - weil sie den Ausfall des Ventils am Meeresgrund, des sogenannten Blow-Up-Preventers, rechtzeitig hätte vorhersagen können. "Man hätte da nur eine kleine Mathematiklösung drandocken müssen." Bangert, 32 Jahre alt, sagt das, ohne rot zu werden.

"Algorithmica technologies" hat der Physiker und promovierte Mathematiker seine Firma genannt. Deren Produkt ist eine Software, die komplexeste Prozesse in Form einer mathematischen Formel abbilden kann, um anschließend optimale Betriebsparameter zu ermitteln. Ein Kohlekraftwerk in Berlin vermeidet auf diese Weise jedes Jahr mehrere hunderttausend Tonnen CO2. Bei Produktionsanlagen, etwa in der chemischen Industrie, sind Bangert zufolge Energieeinsparungen um die acht Prozent möglich - ohne, dass an der Anlage selbst irgend etwas verändert werden muss.

Gestern zeichnete die Bundesregierung Bangerts Mathe-Erfindung als "Ort im Land der Ideen" aus. Der Bremer Wirtschaftsstaatsrat grüßte, ein Vertreter der Deutschen Bank lobte das "herausragende Beispiel für Forschergeist und Innovationsfreude". Die Urkunde zieren drei Blumen in Schwarz-Rot-Gold.

Unternehmen von BASF bis RWE stehen auf Bangerts Kundenliste, er hat eine Niederlassung in Houston, eine in Peking ist im Aufbau. Im Oktober, verspricht der Staatsrat, werde man ein Treffen mit dem Erdölkonzern Petrochina arrangieren. Bangert, die Krawatte eng geschnürt, die Hände brav hinter dem Rücken, nickt freundlich.

Bangert ist in Reutlingen geboren. Sein Abitur macht er auf den Philippinen, er studiert und promoviert in London, arbeitet für die NASA und das US-Nationallabor Los Alamos. 2002, mit gerade einmal 24 Jahren, bekommt er einen Ruf als Juniorprofessor für angewandte Mathematik an die Jacobs University Bremen (JUB). Sein Spezialgebiet ist die künstliche Intelligenz, genauer: rekurrente neuronale Netze. Drei Jahre später macht er sich selbstständig, setzt die gerade erst entwickelte Mathematik in die Praxis um. Konkurrenz hat er bis heute nicht: "Wir kreieren einen völlig neuen Markt."

Anders als bei allen bisherigen Methoden der Prozessoptimierung überlässt Bangert auch die Modellbildung dem Computer. Diesen füttert er lediglich mit den Daten unzähliger Sensoren, wie sie in allen Produktionsanlagen normalerweise sowieso vorhanden sind. In diesem für Menschen unüberblickbaren Datenwust erkennt seine Software dann selbstständig Zusammenhänge und, das ist das Bahnbrechende, sogar zeitliche Entwicklungen. Während das Programm kontinuierlich weiter lernt und das Modell verbessert, spuckt es bereits Empfehlungen für einen optimierten Anlagenbetrieb aus. Der Operator muss diese nur noch umsetzen.

Weil die Algorithmica-Software auch zeitliche Zusammenhänge erkennt, kann sie darüber hinaus Entwicklungen vorhersagen und vor Funktionsausfällen warnen - ein mathematisches Orakel. Dessen Funktion hat Bangert etwa bei einer Raffinerie in Texas bewiesen. "Wir können dort sehr zuverlässig sagen, wann ein Ventil kaputt geht", sagt er.

Bereits vor anderthalb Jahren habe auch BP seine Störungsprognose-Technik an einer Raffinerie in Deutschland ausprobiert. "Die wissen, dass das funktioniert", sagt Bangert. Einsetzen wollte BP die Technik, die mit einem sechsstelligen Betrag pro Installation zu Buche schlägt, aber nicht. Nach der Explosion der "Deepwater Horizon" hat Bangert den Ölkonzern nochmals angeschrieben. Eine Reaktion von BP steht noch aus: "Bisher herrscht Funkstille."

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