Neue Gespräche: Firmen erwägen Hilfe für NS-Opfer

Eigentlich wurde die finanzielle Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern 2007 für abgeschlossen erklärt. Doch nun gibt es Gespräche in der Wirtschaft, nochmals aktiv zu werden.

Karteikarten mit Daten von NS-Zwangsarbeitern. Bild: ap

HAMBURG taz | Um sie geht es: Bis zu 100.000 Holocaust-Überlebende leben der Jewish Claims Conference (JCC) zufolge nicht nur in Armut, sondern sind auch dringend pflegebedürftig, beispielsweise in Polen, der Ukraine oder in Israel.

Geht es nach den Buchstaben des deutschen Gesetzes, haben sie jedoch kaum Hoffnung auf finanzielle Hilfe. Drei Jahre sind vergangen, seit die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" ihre Aufgabe, ehemalige osteuropäische NS-Zwangsarbeiter zu entschädigen, offiziell für erledigt erklärte.

Voreilig sei dies, kritisierten damals schon manche Beobachter - und nun gibt es erstmals auch Stimmen in der deutschen Wirtschaft, die sich diesem Urteil offenbar anschließen.

Die Entstehung: Jahrzehntelang kämpften NS-Zwangsarbeiter um Entschädigungen. Erst Sammelklagen in den USA führten zur Bereitschaft deutscher Unternehmen, sich an einer finanziellen Wiedergutmachung zu beteiligen. Im Juli 2000 lässt der Bundestag die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" gründen. Von 2001 an werden 1,66 Millionen Menschen entschädigt, im Schnitt mit 2.600 Euro.

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Die Zukunft: Die Entschädigung seitens der Wirtschaft wurde eigentlich 2007 für abgeschlossen erklärt. Nun kommt neue Bewegung in die Debatte. Im Herbst wird zudem in Berlin die bislang größte Ausstellung über Zwangsarbeiter in der NS-Zeit eröffnet.

Sichtbar wurde dies jüngst bei den Feierlichkeiten zum zehnjährigen Bestehen der Stiftung in Berlin. Der stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums und Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft, Jörg Freiherr Frank von Fürstenwerth, hielt nicht die erwartete Festrede, sondern formulierte einen überraschenden Appell: "Die Arbeit, unser aller Arbeit, ist nicht zu Ende."

Er sei in Sorge, "dass alles Erreichte gefährdet ist, wenn es nicht gelingt, in gemeinsamer Verantwortung den letzten Überlebenden von KZ-Haft und anderen unmenschlichen Verbrechen zu ermöglichen, ihre letzten Lebensjahre in Würde zu verbringen". Es sei "unerträglich zu wissen, dass die Opfer der Schoa ihre letzten Tage in sozialer Not verbringen müssen".

Kommt es also zu einem neuen Anlauf in der Entschädigungspolitik? Gespräche zwischen einzelnen Wirtschaftsvertretern über diese Frage fanden bereits in den Wochen vor den Feierlichkeiten zum zehnjährigen Stiftungsjubiläum mehrfach statt, wie nun zu erfahren ist. Und sie dauern an. An die Öffentlichkeit gehen will zum jetzigen Zeitpunkt allerdings keines der Unternehmen.

Rein juristisch können die Unternehmen kaum mehr zu Zahlungen gezwungen werden: Die Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft gaben über die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" von 2001 bis 2007 insgesamt 4,4 Milliarden Euro für 1,66 Millionen Menschen aus, um aussichtsreiche Sammelklagen vor US-Gerichten abzuwehren.

Mit Gründung der Stiftung wurden zwar hohe Hürden und strenge Fristen geschaffen, an denen mancher hochbetagte Überlebende scheiterte. Doch durch die juristische Ausgestaltung der Stiftung ist der Rechtsweg für viele Betroffene nun versperrt.

Das Bundesfinanzministerium, das die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" im Jahr 2000 zur Hälfte mitfinanzierte, möchte den Vorschlag eines neuen Anlaufs nicht bewerten. Es gebe derzeit keine Initiative der Bundesregierung, diese "persönliche" Idee einzelner Wirtschaftsvertreter auszuführen, teilt ein Sprecher des Ministeriums mit.

Der Deutschland-Repräsentant der Jewish Claims Conference, Georg Heuberger, begrüßt hingegen, dass man zumindest aufseiten der Privatwirtschaft neue Bewegung beobachten könne.

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