Konzeptkunst: Steine am "Zabriskie Point"

Nicht aufs Objekt, auf die Inszenierung kommt es an: In Hannovers Kestnergesellschaft verbindet Olaf Nicolai Kunstreflexion mit Kapitalismuskritik. Und entlässt den Betrachter mit einem Lächeln.

Irgendwann ist jeder mal im Fokus: Olaf Nicolais Installation "Some Proposals to Answer Important Questions" (Vienna Version, 2008). Bild: Galerie Eigen + Art, Leipzig / Berlin

Was für eine Show! "Some proposals to answer important questions" heißt sie. Inszenator ist ein promovierter Germanist, der sich als Konzeptkünstler betätigt: Olaf Nicolai. Aber warum tut er das? Aufgrund welcher Idee ruckelt quietschvergnügt ein wild gewordener Scheinwerfer an einer Metallsäule herab? Was soll beleuchtet, wer gesucht werden?

Jedenfalls rotiert die Lampe immer schneller mit wunderlich abgehackten Bewegungen um zwei Achsen, wobei sich der Fokus des Licht-Spots rhythmisch wahllos verändert. Dazu ist eine unangenehme Geräusch-Sinfonie zu hören: zu dröhnenden Vibrationen gesellen sich Rattern, Surren, Schleifen und das Brummen eines Motors.

Irgendwann wird jede Ecke und jeder Besucher in der ansonsten dunklen Leere des Saales einmal kurz erhellt. Der Scheinwerfer klappt sich nun beleidigt ein, verlöscht - verharrt stumm und bewegungslos, um dann zur neuerlichen Sisyphus-Prozedur die Säule heraufzuruckeln.

Ein Faltblatt, unser aller Ausstellungsführer, erklärt in Hannover, dass der konkrete Inhalt weder vorgegeben noch eindeutig sei. "Das Kunstwerk erscheint hier als Bündelung von Ideen, die sich in einer bestimmten Form artikulieren und damit weitere Ideen herausfordern oder, anders gesagt, als Äußerung, auf die wir mit unseren Wahrnehmungen und Gedanken antworten."

Stellt man sich Nicolai als sentimentalen Witzbold vor, funktioniert seine Installation wie ein Disney-Film: Dort nehmen wir empathisch Tiere als Menschen wahr, hier leiden wir mit der Schlängel-Lampe wie mit einer Stripteasetänzerin, die an einer phallisch gemeinten Stange ein erotisch gemeintes Schlängeln zu produzieren hat, um Gedanken anzuregen und Portemonnaies zu öffnen.

Unter Nicolais Tarnung als kunstphilosophisch gebildeter Marxist, der in den Wunden kapitalistischer Verwertungslogik bohrt, steckt ein humoristischer Beleuchter der Verhältnisse von Kunstobjekt und Überbau, so dass die sinnliche Wahrnehmung auf der Ebene der Reflexion mit einem Lächeln fortgesetzt werden kann. Was deutlich wird, wenn man dem Schaffen Nicolais so hinterherliest. Bei der "Flamme der Revolution" in Wolfsburg baute er eine Monumentalplastik aus seiner Heimatstadt Halle (Saale) verkleinert nach, transferierte das Objekt als ein Symbol des SED-Sozialismus an einen Unort westdeutscher Industriekultur, stürzte es in die Waagerechte und ließ es liegen.

Fürs Züricher Museum Gegenwartskunst inszenierte er eine Eislaufbahn als cooles Kunstobjekt - betreten erbeten. Er kreierte Parfüm für Bäume, einen Schnittmusterbogen für Prada-Anzüge, die Bastelanleitung für Donald-Judd-Skulpturen, behängte Wäscheleinen im arabischen Sharjah mit italienischen Kleidungsstücken, erklärte Sternschnuppenregen zum Kunstwerk, entwarf eine Kinderhüpfburg in Form eines Nike-Schuhs und beheizte ein ausgestopftes, mit Einhorn versehenes Pferd, so dass es sich als Fabelwesen lebendig anfühlte.

Es handelt sich um kleine Irritationen durch Verrückungen von Alltäglichem - und um den Hinweis, dass Wahrnehmung nicht Abbild, sondern Konstruktion ist. So bummelt Nicolai nächtens durchs Death Valley in Amerika, und da er keine Taschenlampe dabei hat, beleuchtet er den Weg Schritt für Schritt mit seinem Kamerablitz. Statt des grandiosen Nationalpark-Schauspiels zeigen die so entstandenen Fotos nur angeblitzte Oberflächen von Geröll, Gestrüpp, Sand. Als 80-teiliger Fries in einer Museumssackgasse langweilt die Gleichförmigkeit der Motive und des Formats. Doch durch den Titel "Zabriskie Point" lodern bei Cineasten die surrealen Bilder einer Hippie-Orgie auf, die Michelangelo Antonioni 1970 am Ort von Nicolais Nachtwanderung drehte.

Beides soll man wahrscheinlich irgendwie zusammendenken. Kann man aber auch lassen, einfach um die Ecke schauen und staunen, wie Nicolai die ehemalige Schwimmhalle des Goseriedebades (mit den Bogenfenstern ja heute der schönste Ausstellungssaal der Kestnergesellschaft) gleichzeitig vollstellt und öffnet, ihr die alte Badtiefe zurückgibt und neue Weite hinzugewinnt. Eine Konstruktion aus rechtwinkelig miteinander verkanteten Quadern kann wahlweise als Sprungturm- oder Hochhausarchitektur-Modell wahrgenommen werden. Wie im Spiegelkabinett auf dem Jahrmarkt verzerren die reflektierenden Oberflächen das Abbild des Betrachters an jedem Standort anders skurril; verfremden ihn mal rank-schlank, mal kugelrund, mal verknickt, verbogen, verdoppelt, setzen ihn in immer andere Beziehungen zu weiteren Besuchern, eröffnen neue Perspektiven, neue Räume.

Wer mag, kann noch ein Rondell betreten, das aus zwei Plastikperlentürvorhängen besteht. Dann sieht alles so aus, als würde man durch zwei Plastikperlentürvorhänge schauen. Nicolai, der Konzept-Clown, inszeniert hinterhältig oberflächlich die Außenhäute der Dinge. Wen das zu geistigen Spielen reizt, wird diese Arbeiten lieben.

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