Sozialhilfe in den Nachbarländern: Jenseits der Vollbeschäftigung

Wohngeld, Monatskarte und Hypothekenzuschuss: Die Regelungen für die Stütze durch den Staat sind höchst unterschiedlich. Drei Beispiele aus Schweden, Irland und Polen.

Nach der Finanzkrise: Siedlung ohne Käufer in Mullingar, Irland. Bild: reuters

Schweden: "Reichsnorm" regelt alles

STOCKHOLM taz | Trotz Universitätsexamen arbeitslos und kein Anspruch auf Arbeitslosengeld: Johan Svensson hat daher wie jeder Schwede oder in Schweden lebende Ausländer einen Anspruch auf "Försörjningsstöd" ("Versorgungsunterstützung"). Beim Sozialamt muss der 25-Jährige dazu Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen machen.

Die Höhe des unbefristeten "Försörjningsstöd" wird jährlich von der Regierung in der "Reichsnorm" neu festgelegt. Die Kommunen, die für Auszahlung und Finanzierung zuständig sind, können höhere Sätze beschließen. Nach "Reichsnorm" bekommt Johan monatlich umgerechnet etwa 370 Euro überwiesen. "Angemessene" Miete, für einen Alleinstehenden bis zu 570 Euro, wird zusätzlich gezahlt.

Eine bedürftige Familie mit zwei Kindern unter 10 Jahren erhält 1.100 Euro und höchstens 900 Euro Mietkosten. Kosten für Strom, Heizung und Hausratsversicherung sowie eine Monatskarte für den ÖPNV werden auch übernommen. Wer "Försörjningsstöd" bezieht, darf ein Auto haben - Höchstwert: 700 Euro.

Die "Reichsnorm" soll alle Ausgaben für Lebensmittel, Kleidung und Kulturelles decken. Muss Hausrat angeschafft werden, kann man zusätzlich Bares beantragen, das meist mit Quittung belegt werden muss. Für die Sachen haben die meisten Kommunen Höchstsätze festgelegt: Ein Bett mit Matratze höchstens 120 Euro, ein Staubsauger 60 Euro. Schwedens öffentlicher Hand geht es leidlich gut: Es gibt keine Debatte um den "Försörjningsstöd". REINHARD WOLFF

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Irland: Hilfen für Hausbesitzer

DUBLIN taz | Fast 20 Jahre lang, so lang wie die Wirtschaft boomte, war Sozialhilfe kein Thema in Irland. Es gab nahezu Vollbeschäftigung. Inzwischen kommt Irland mit 13,4 Prozent auf die vierthöchste Arbeitslosenrate in der EU: Mehr als 430.000 Menschen müssen von staatlichen Zuwendungen leben. Bei den unter Dreißigjährigen ist jeder Dritte ohne Job. Die Zahlen lägen noch höher, wenn die Auswanderung nicht wieder zugenommen hätte.

Die Sozialhilfe liegt bei rund 820 Euro im Monat. Im Winter liegt sie etwas höher, weil Zuschüsse für Heizmaterial hinzukommen. Der Zeitraum ist nicht begrenzt. Darüber hinaus können Zuschüsse für Strom, Telefon, Fernsehen und Transportkosten beantragt werden, und es gibt eine "medical card" für Erwerbslose und Rentner, die zur kostenlosen ärztlichen Behandlung berechtigt.

Man kann Wohngeld beantragen, und in bestimmten Fällen kann man auch Zuschüsse zu Hypothekenzahlungen bekommen, damit der Erwerbslose sein Haus nicht verliert. Irland ist das Land der Hausbesitzer: Rund 80 Prozent leben in Einfamilienhäusern, 80 Prozent davon sind Eigentümer.

Im Zuge der Rezession wird allerdings auch in Irland gekürzt. Die Löhne im öffentlichen Dienst sind seit 2008 um 15 Prozent, das Kindergeld um 10 und die Sozialhilfe um 4,1 Prozent gesunken. Im nächsten Jahr werden weitere 3 Milliarden Euro gestrichen - innerhalb von drei Jahren sind das insgesamt 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von 2009. RALF SOTSCHECK

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Polen: Familien sind gefährdet

WARSCHAU taz | Die Zahl der Sozialhilfeempfänger steigt in Polen seit 2009 kontinuierlich an. Alarmierend ist, dass immer mehr Familien in den Städten bedürftig werden. Bislang waren es vor allem Langzeitarbeitslose aus den alten Kolchosen auf dem Land, die die Leistungen des Staates in Anspruch nahmen. Auch alleinstehende Mütter müssen häufig Sozialhilfe beantragen. Rentner hingegen erhalten keine Sozialhilfe - die Renten liegen fast immer über der staatlich festgelegten Armutsgrenze.

Diese Grenze liegt bei umgerechnet 88 Euro Monatseinkommen pro Familienmitglied und 119 Euro bei Alleinlebenden. Die Hilfe, bis zu monatlich 111 Euro, wird pauschal monatlich ausgezahlt, aber auch als materielle Hilfen zugewiesen. So gibt es etwa Gutscheine für Mittag- oder Abendessen in speziellen Kantinen. Auch für Kleidung und Hausrat werden häufig Scheine ausgestellt, die in Kleiderkammern einzulösen sind.

Hilfen für Medikamente, Winterkleidung, Möbel, Kohle können auf Antrag auch von Personen beansprucht werden, die ein höheres Einkommen haben. Die Bemessungsgrenze liegt hier bei umgerechnet 295 Euro pro Familienmitglied und nur 210 Euro bei alleinlebenden Menschen. Es können mehrere Anträge gleichzeitig gestellt werden.

Obdachlose haben Anspruch auf einen Platz im Wohnheim. Familien mit Kindern werden vorrangig in Sozialwohnungen untergebracht, wenn das Einkommen für die rapide steigenden Mieten nicht mehr reicht. Befristet ist die Sozialhilfe nicht. GABRIELE LESSER

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