Neonazis: Die Wahrheit des Badehauses

In Bad Nenndorf verhörten die Briten nach Ende des Zweiten Weltkriegs Nationalsozialisten, aber auch Unschuldige. Dabei kam es auch zu Misshandlungen. Nun versucht die rechte Szene, den Ort für sich zu instrumentalisieren. Eine Richtigstellung.

In Bad Nenndorf will man sich nicht mit der Vereinnahmung als rechtem Wallfahrtsort abfinden. Bild: dpa

Die Initiative "Bad Nenndorf ist bunt statt braun" und mit ihr viele Bad Nenndorfer beziehen Stellung dagegen, dass ihre Stadt ein "brauner Wallfahrtsort" wird. Sie stellen sich den Neonazis entgegen, die auch in diesem August durch das norddeutsche Kurbad marschieren. Die Rechtsextremen begründen ihre Aufmärsche mit der angeblich "verschwiegenen Wahrheit" der "Verbrechen der Alliierten" im Verhörzentrum Wincklerbad von 1945-1947.

Einen Aufhänger für deren Propaganda liefert einerseits die bisher ausgebliebene Aufarbeitung der Geschehnisse im Geheimdienstgefängnis. Und die Tatsache, dass das Wachpersonal tatsächlich Häftlinge misshandelte. Nun erscheint im Frühherbst eine kritisch-historische Dokumentation über die Geschehnisse in Bad Nenndorf unter dem Titel "Das verbotene Dorf" im Offizin Verlag.

1945 besetzten britische Soldaten das Badehaus im Zentrum Bad Nenndorfs und bauten es zu einem Gefängnis um. Dieses sollte als "Interrogation centre" für hohe und höchste Nazis dienen, für hochrangige Offiziere des deutschen Heeres und Spitzenkräfte aus der Wirtschaft, die das NS-System mitgetragen hatten.

Entnazifizierung bedeutete in der britischen Besatzungszone dreierlei: die Entlassung aktiver Nazis aus öffentlichen Ämtern, die Bestrafung persönlich Verantwortlicher, insbesondere von Kriegsverbrechern, und die Internierung von potenziell Gefährlichen. Ein Ziel sollte dabei die Umerziehung zu Demokraten sein. Die Internierungshaft war also eine Art Präventivstrafe und wurde verurteilten Nazi-Verbrechern vom gerichtlichen Strafmaß abgezogen. Viele Insassen der Internierungslager entpuppten sich als musterhafte autoritäre Charaktere, die Befehle ausführten, ohne deren Sinn zu hinterfragen, wie sie es in der NS-Zeit bereits getan hatten.

Kein gewöhnliches Lager

Beim Wincklerbad in Bad Nenndorf handelte es sich gerade nicht um ein gewöhnliches Internierungslager, sondern um ein Verhörzentrum des militärischen Geheimdienstes Großbritanniens. Durch die Verhöre wollte man von möglichen Guerillahandlungen der Werwölfe, einer Untergrundorganisation der SS, erfahren und Spione auf die eigene Seite ziehen.

Der vermutlich bedeutendste Gefangene dort war Oswald Ludwig Pohl, der nach Himmler wichtigste Mann der SS, oberster Organisator und Vollstrecker des Holocaust. Am anderen Ende des Spektrums der Inhaftierten standen vollkommen Unschuldige, die als vermeintliche Sowjetspione oder wegen ihrer politischen Einstellung als Linke in das Gefängnis gerieten. Viele der Häftlinge kamen indes aus dem Mittelbau des NS-Systems, waren Kriminalräte der Gestapo oder HJ-Führer, hohe Offiziere, die planten, gegen die Alliierten zu putschen.

1946 und 1947 kamen mit dem zugespitzten Konflikt zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion zunehmend Kommunisten in das Lager. Bad Nenndorf war von der Außenwelt abgeriegelt, den Gefangenen der Briefverkehr und der Kontakt zu Einheimischen untersagt. Das Interesse galt jetzt den Strukturen des sowjetischen Geheimdienstes. Einige dieser Verhörten waren schweren Misshandlungen ausgesetzt. Der Leiter des Zentrums, Robin Stephens, setzte auf Psychoterror und nicht auf körperliche Folter, weil er meinte, dass die physische Tortur zu Falschaussagen führe. Mit diesen Methoden war Stephens äußerst erfolgreich, er deckte hunderte von Spionagefällen auf, überführte höchste Nazitäter und überzeugte Spione, als Doppelagenten zu arbeiten. Bis heute gilt er in britischen Geheimdienstkreisen als vorbildlich. Körperliche Misshandlung lehnte er zwar als Verhörtechnik ab, gab den Wachen dafür aber einen "Freifahrtsschein" im Gefängnisalltag. Belegt sind Schläge, Isolationshaft, Übergießen mit kaltem Wasser bei Minusgraden und das Herausreißen von Zehennägeln.

Tod in der Haft

Bei anderen Leiden der Häftlinge ist unklar, ob es sich um gezielte Torturen, Vernachlässigung oder um ein Ergebnis der Nachkriegsverhältnisse handelte. Mehrere Häftlinge starben an den Folgen der Haft, bei ihnen wurden Unterernährung, Depressionen als Folge der Isolation, schlechte körperliche Verfassung wegen Schlafentzug und Kälte als Todesursache festgestellt. Die Männer hatten bis zu einem Jahr in kalten "bath rooms" mit Steinböden verbracht und ohne Bettzeug geschlafen.

Ein katholischer Geistlicher, der Vikar Magar, hörte im Internierungslager Fallingbostel von den Misshandlungen in Bad Nenndorf und ließ sich von dem Häftling Parbel Einzelheiten schildern. Die schickte er dem Bischof von Hildesheim. Der kam persönlich nach Bad Nenndorf und protokollierte die Geschichten der Gefangenen, die Texte schickte er dem englischen Kardinal Griffy. Dieser informierte die Öffentlichkeit in Großbritannien. Der Labour-Unterhausabgeordnete Richard Stokes befragte daraufhin die Insassen über erlittene Misshandlungen. Inspektor Tom Hayward von Scotland Yard schickte einen Bericht über die Zustände an die britische Militärregierung in Deutschland. Der britische Sozialreformer und Politiker Frank Pakenham sagte, "dass wir Internierte in einer Art behandelt haben, die an die deutschen Konzentrationslager erinnert". Der Außenminister Großbritanniens sah die britische Glaubwürdigkeit beschädigt.

Daraufhin wurde 1947 das Verhörzentrum geschlossen. Vier Offiziere des Verhörzentrums wurden wegen der Menschenrechtsverletzungen vor Gericht gestellt. Doch nur der Lagerarzt Smith wurde wegen Vernachlässigung von Gefangenen schuldig gesprochen und aus der Armee entlassen. Die anderen Angeklagten erhielten Freisprüche. Der Gefängnisleiter Stephens blieb ein wichtiger Offizier des MI 5, des britischen Geheimdienstes.

Haben die Neonazis also Recht, wenn sie gegen die "Verbrechen der Alliierten gegen die Menschlichkeit" demonstrieren? Das Wachpersonal, die Verhörer und die Gefängnisleitung begingen Verbrechen: Folter, Demütigung, Verstümmelung, Fälle von fahrlässiger Tötung und Verletzungen mit Todesfolge. Diese Vergehen lassen sich aber nur insofern als "Nazi-Methoden" bezeichnen, als die Nazis alle diese Gewalttaten auch begingen. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord, Entfesselung eines Weltkriegs waren es jedoch keinesfalls, sondern Übergriffe, die leider von diversen Männerbünden weltweit bekannt sind - auch heute noch.

Kritische Öffentlichkeit

Der Unterschied liegt nicht in der Psyche der Täter, sondern darin, ob diese rechtsstaatlich und von einer Zivilgesellschaft kontrolliert werden oder ihre Gewalt systematisch entfesseln können. In Großbritannien handelte es sich gerade nicht um ein faschistisches System, das die Menschenrechte abschaffte, beziehungsweise nur für "Volksgenossen" gelten ließ. Die kritische Öffentlichkeit in Großbritannien, die es im Faschismus per se nicht gibt, sorgte dafür, dass das Gefängnis geschlossen wurde.

Die Misshandlungen im Wincklerbad zeigen zugleich die Grenzen der Zivilgesellschaft und die Ambivalenz formaldemokratischer Staaten gegenüber ihren Geheimdiensten und Militärorganisationen. Der Sieg des Rechtsstaates wäre glaubwürdiger gewesen, wenn die Täter zu angemessenen Strafen verurteilt worden oder von Anfang an bei ihren Taten behindert worden wären.

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