Stark und mutig gegen die Wand

Die Welt ist um ein Ost-West-Frauenbuch reicher. Der Autor Nils Floreck interviewte 16 Frauen. Das Fazit: Es ist noch ein weiter Weg bis zur wahren Geschlechtergleichheit

Montagabend im Café Sibylle auf der Karl-Marx-Allee. Immerhin 15 Männer sitzen unter den insgesamt knapp 60 Gästen. Sie sind zur Vorstellung des Buches „Stark und mutig, schön und weise. Gespräche mit Frauen aus Ost und West“ gekommen. Der Autor ist Nils Floreck. Es erstaunt, dass dieses Buch ein Mann schrieb. Geht es doch um 16 Frauen, die in Interviews ihre Sicht auf die heutige Gesellschaft schildern. Floreck, Jahrgang 1967, ist Redakteur beim Neuen Deutschland.

Es sind erfolgreiche Frauen, wie es die Herausgeberin Hanna Behrend im Nachwort bemerkt. Frauen aus Ost und West, die mal mehr, mal weniger im Licht der Öffentlichkeit stehen: die Politikerinnen Claudia Roth, Edelgard Bulmahn und Gabi Zimmer, die Gewerkschafterin Anne Jenke und Bascha Mika, Chefredakteurin der taz.

Ihre kritische Sicht hat ihnen der berufliche Erfolg nicht genommen. Und wer glaubt, die deutsche Gesellschaft sei mit der neuen Kanzlerin emanzipiert genug, wird durch das Buch eines anderen belehrt. Zum Beispiel wenn die vierfache Mutter und hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann erzählt, dass ihr Ehemann häufig gefragt werde, wie er es mit „so einer Frau“ aushalte. Wenn die 39-jährige Soldatin Katja Roeder von einem Fall berichtet, in der ein Kompaniechef sich lieber versetzen lassen wollte, als Frauen in seine Kompanie aufzunehmen. Oder wenn die 28-jährige Gartenbaustudentin Patricia Steinborn von einer Tagung erzählt, auf der die Doktorandinnen nicht auf fachlicher Ebene kritisiert, sondern persönlich angegriffen wurden. Eine Frau wollte gar den Titel ändern: „Schön gegen die Wand gelaufen, stark davon abgeprallt und mutig wieder dagegen gelaufen.“

Oft könnten in den Interviews deutlichere Worte fallen. Die meisten Frauen schildern wortreich ihre Erlebnisse, ohne scharfe Schlüsse daraus zu ziehen. Anders geht es bei Bascha Mika zur Sache, wenn sie die revolutionären 68er als „sexistischen Männerhaufen“ bezeichnet, „für den die Befreiung der Frau überhaupt kein Thema war“. Oder wenn sie Frauen auffordert, sich selbst mehr zu trauen.

Die ausgewogene Ost-West-Herkunft seiner Interviewpartnerinnen bedenkt Floreck sehr genau. Trotz unterschiedlicher Erfahrungen vor 1989 illustrieren die Interviews überdeutlich, dass sich die Frauenbewegung auf dem Rückzug befindet.

Zumindest in den oberen Führungsriegen ist das so. Das bestätigen Anne Jenter und Gabi Zimmer, die mit Floreck über Fragen der Macht diskutieren: über die Quote im Vorstand der Gewerkschaften und das männlich dominierte Führungspersonal in der Linkspartei.

Angela Merkel übrigens hat Floreck nicht vors Mikrofon gebeten. Sie habe sich beim Thema Geschlechtergerechtigkeit in keiner Weise profiliert. Seine These: Hätte sie es getan, wäre sie nicht Kanzlerin geworden.

Friederike Meyer

Das Buch (ISBN 3-89793-115-X) ist imVerlag am Park erschienen und kostet12,90 Euro. Am 10. Dezember liestNils Floreck um 20 Uhr im KinoNickelodeon, Torstr. 216.