Ramadan-Serie Berliner Imame: Der Ditib-Imam Mehmet Tekin: Ein Geistlicher im Staatsdienst

Für Imam Mehmet Tekin ist die Basis für ein friedliches Zusammenleben die Moral - "ein Grundpfeiler jeder Religion".

Mehmet Tekin ist ein Mann, der Ruhe ausstrahlt. Ernsthaft und würdevoll wirkt er, der Schnurrbart kurz gestutzt, der Anzug makellos schwarz, Hemd und Krawatte unauffällig. Eine geradezu ungewöhnlich seriöse Erscheinung für einen 38-Jährigen in Kreuzberg - und Kreuzberger ist Tekin auch erst seit zwei Jahren. 2008 übernahm der in Erzurum im nördlichen Osten der Türkei geborene islamische Theologe die Stelle des Imams in der Merkez-Moschee an der Wiener Straße zwischen Görlitzer Bahnhof und Spreewaldplatz in Berlin.

In seinem Büro hängt über schweren dunklen Ledersesseln das Bild des Gründers der Republik Türkei, Kemal Atatürk. Die Merkez-Moschee gehört zum Dachverband Ditib, dessen Imame vom staatlichen Amt für religiöse Angelegenheiten aus der Türkei entsandt werden. In Berlin, wo die Mehrheit der Muslime türkische Wurzeln hat, gehören 16 der insgesamt etwa 80 Moscheen und islamischen Gebetsräume zu dem Verband, darunter auch die große Sehitlik-Moschee am Columbiadamm, die mit Minaretten und Kuppel eine von vier repräsentativen Moscheen der Hauptstadt ist.

Der Ramadan (türk.: Ramazan) ist der heilige Fastenmonat der Muslime; heilig, da in dem Monat dem Propheten Mohammed der Koran offenbart worden sein soll.

Da im islamischen Kalender, der dem Mond folgt, die Monate durch die Jahreszeiten wandern, fängt auch der Fastenmonat Jahr für Jahr um einige Tage früher an und kann in jeder Jahreszeit liegen.

In diesem Jahr hat er am 11. August begonnen und endet am 8. September mit dem Zuckerfest. Während der Fastenzeit essen und trinken gläubige Muslime erst nach Einbruch der Dunkelheit.

Die taz stellt im diesjährigen Ramadan in loser Folge Imame aus Berliner Moscheen vor. (awi)

Die Merkez-Moschee ist eine klassische Hinterhofmoschee, wenn auch eine große, mit Räumen für Frauen und Jugendliche, einer Teestube, einem Friseur. Am Nachmittag ist der Gebetsraum leer bis auf wenige Gläubige. Imam Tekin sitzt in seinem Büro am Konferenztisch, die breiten Hände ruhig und ordentlich auf dem Tisch gefaltet. Ebenso ruhig und knapp beantwortet er die Fragen nach seiner Person - auf Türkisch, denn seine Deutschkenntnisse reichten dafür noch nicht, meint er.

Imam sei er geworden, weil ihn schon als Kind seine islamischen Lehrer sehr beeindruckt hätten, "die den Menschen so viel Interesse entgegenbrachten und so viel Gutes taten". Doch es sei falsch zu sagen, dass er schon als Kind Imam werden wollte, erzählt Tekin: Jurist, das war sein Plan. "Erst in der letzten Minute vor der Immatrikulation an der Uni habe ich mich dann doch für Theologie entschieden" - auch, weil er damit seiner Mutter einen Herzenswunsch erfüllt habe. Seine Ausbildung hat er an verschiedenen Universitäten, unter anderem in Istanbul gemacht,. Zuletzt war er als Lehrer tätig. Derzeit schreibt er an seiner Doktorarbeit.

Nach Berlin sei er auf eigenen Wunsch gekommen, berichtet Tekin: "Ich wollte die Vielfalt dieser multikulturellen Gesellschaft kennenlernen und herausfinden, was für ein Leben die Menschen hier führen, welche Bedürfnisse und Sorgen sie haben. Ob ich ihnen etwas geben kann und ob vielleicht auch mir diese Erfahrung etwas geben kann." Zuvor habe er nach Deutschland keine Verbindungen gehabt. Auch Istanbul sei eine lebendige Weltstadt, "aber die Menschen hier, die türkischstämmigen Menschen, haben ganz andere Lebenserfahrungen als die Menschen in der Türkei. Das wollte ich kennenlernen."

Gefragt nach den hässlichen Seiten dieser Vielfalt, nach offenem Drogenkonsum, Armut und Gewalt, antwortet der Imam höflich: Es gebe wohl keine Großstadt ohne solche Probleme: "Aber das sind doch Einzelfälle hier." Dennoch gehörten Themen wie Drogenkonsum, auch Arbeitslosigkeit zu den Dingen, über die er mit seiner Gemeinde häufig spreche, erzählt er: "Faulheit, Nichtstun, das erlaubt unser Prophet uns nicht!"

Tekins Rede wird weicher, seine Antworten fallen weniger knapp aus, sobald er beginnt, von seiner Arbeit zu erzählen, die gefalteten Hände lösen sich, gestikulieren. Über Moral habe er in seiner ersten Freitagspredigt im diesjährigen Fastenmonat gesprochen: Die sei eine der wichtigsten Grundpfeiler des Islam. "Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Freundlichkeit, Fleiß, Nächstenliebe: Dem anderen nichts wünschen, was man nicht sich selbst wünscht, ihm nichts antun, was man selbst nicht angetan bekommen möchte - stellen Sie sich eine Stadt vor, in der sich jeder an diese Regeln hält!"

Dass das ein Wunschtraum bleiben wird, schiebt der Imam nicht den Andersgläubigen in die Schuhe: Moral sei ein Grundpfeiler jeder Religion, der Islam gebiete Respekt vor Andersgläubigen - "doch es gibt leider auch im Islam solche, die die Religion falsch verstehen". Dabei sei der Koran "ein offenes Buch, einfach zu verstehen": Es gehe hauptsächlich darum, seinen Egoismus zu überwinden, "ein vorbildlicher Mensch zu werden", sagt der Imam. Dazu dienten auch die strengen Fastenregeln im Monat Ramadan, in dem gläubige Muslime ihren Willen, ihre Bedürfnisse zurückzustellen und zu beherrschen lernten.

Als eine seiner Zwillingstöchter den Kopf durch die Tür steckt, wird das Gesicht des Imams noch weicher: "Papa, ich habe Durst!", sagt die Kleine - und bekommt gesagt, wo es Wasser gibt. Denn für Kinder gelten die strengen islamischen Fastenregeln noch nicht - nicht einmal für die des Imams.

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