Streit vor Gericht: Die Kosten der Untätigkeit

Ein Göttinger Anwalt vertritt Hartz-IV-Empfänger, die in Osterode die Behörden wegen Untätigkeit verklagt haben. Das bezeichnet der Kreisrat als "Beutelschneiderei".

Sollen gegen Leistungskürzungen klagen dürfen: Hartz-IV-Berechtigte. Bild: dpa

Ist das Eintreten für seine Rechte als Hartz-IV-Empfänger "Beutelschneiderei", also Diebstahl? Wenn man das Schreiben von Gero Geißlreiter, erster Kreisrat des Landkreises Osterode am Harz, liest, entsteht dieser Eindruck. Jedenfalls schrieb er in einem Brief an das Sozialgericht Hildesheim, der der taz vorliegt, die Untätigkeitsklage eines Hartz-IV-Empfängers sei "nichts weiter als Beutelschneiderei". Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen des Verdachts der Beleidigung gegen ihn.

Jeder Zehnte im Landkreis Osterode ist arbeitslos, insgesamt 3.978 Menschen. Diejenigen, die in Maßnahmen wie Bewerbungstrainings und Ein-Euro-Jobs sind, sind da noch nicht mitgerechnet. Sie alle sind auf Sozialleistungen vom Staat angewiesen, die der Kreis verwaltet.

Sven Adam, Rechtsanwalt des Hartz-IV-Empfängers und drei weiterer Betroffener sagt, der Kreis habe seine Mandanten mit rechtswidrigen Bescheiden überzogen. Immer wieder seien Sanktionsbescheide bei ihnen eingegangen. Teilweise habe der Kreis den Hartz-IV-Empfängern 100 Prozent der Leistung gekürzt und stattdessen Essensgutscheine ausgegeben. "Wenn den Leuten 323 Euro weggenommen werden, können die Familien von den Zahlungen nicht mehr leben", sagt Adam. Gegen rechtswidrige Bescheide habe er stets Widerspruch eingelegt - und bislang immer gewonnen.

Diese erfolgreiche Wahrnehmung der Rechte seiner Mandanten sieht der Anwalt nun durch Geißlreiter als "diebisches Verhalten" bezeichnet. "Ich betrachte es als schändlich, Menschen, die erfolgreich vor Gericht gegen Eingriffe in ihr Existenzminimum kämpfen, auch noch diskreditieren zu wollen", so Adam. Deswegen hat er in seinem und im Namen seiner Mandanten Strafanzeige wegen des Verdachts der Beleidigung gegen Geißlreiter bei der Göttinger Staatsanwaltschaft gestellt.

Geißlreiter bestreitet den Vorwurf nicht, nach wie vor steht er zu dem Geschriebenen. Nur habe er damit nicht die Kläger gemeint, sondern den Anwalt. Dem unterstellt er, die Untätigkeitsklage nur eingereicht zu haben, um damit Geld zu verdienen. Denn die Kosten trägt der Kreis, wenn er vor dem Sozialgericht unterliegt. "Das, was Herr Adam da tut, ist Beutelschneiderei", bekräftigt Geißlreiter.

"Ich verdiene 80 Euro netto an einer Untätigkeitsklage, das deckt gerade mal meine Kosten", sagt Anwalt Adam.Trotzdem habe er immer wieder solche Klagen gegen den Kreis Osterode erhoben, "um Rechtssicherheit für meine Mandanten zu schaffen". Eine Behörde hat drei Monate Zeit, auf den Widerspruch eines Leistungsempfängers gegen einen ihrer Bescheide zu reagieren. Verstreicht diese Frist, kann der Empfänger klagen. "Entsprechend meiner anwaltlichen Sorgfaltspflicht muss ich das sogar", sagt Anwalt Adam.

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