Telefon-Ansturm auf Willy-Brandt-Haus: Sarrazin verunsichert SPD

Die Berliner SPD denkt über einen beschleunigten Parteiausschluss nach. Doch im Willy-Brandt-Haus häufen sich Mails und Anrufe - pro Sarrazin. Die Bundesbank vertagt ihren Beschluss.

Langer Abschied: Thilo Sarrazin. Bild: dpa

Das Thema musste ja kommen, selbst in der Berufsschule in Dessau. Es ist Mittwochvormittag, eben noch hat Sigmar Gabriel zu den 40 Schülern vor sich über seinen Alltag als SPD-Parteichef gesprochen. Über Ausbildungsplätze und regionale Unternehmen, über angenehme Sachen also. Jetzt geht es wieder um die unangenehmen Dinge des Politikerlebens. Es geht um Thilo Sarrazin.

Ob er denn schon Auswirkungen der Diskussion spüre, fragt eine Schülerin Gabriel. Ja, die spürt der SPD-Chef. "90 Prozent der Anrufe und Mails, die wir bekommen, sagen: ,Was schmeißt ihr den eigentlich raus, er hat doch recht' ", sagt Gabriel. "Wir kriegen ganz schön Dresche."

Zwei Tage nach der Entscheidung der SPD, den ehemaligen Berliner Finanzsenator Sarrazin wegen dessen Thesen zur Migration und genetischer Vererbung von Intelligenz aus der Partei auszuschließen, weiß Gabriel: Ein einstimmiger Vorstandsbeschluss spiegelt nicht unbedingt die Stimmung im Land wider. 2.000 Mails und Anrufe sind in der SPD-Zentrale eingegangen. Sogar zu Wahlkampfzeiten gibt es nicht so viel Beteiligung. In der CDU-Parteizentrale landeten 300 Mails zum Fall Sarrazin.

Offiziell will die SPD die Zahl 2.000 weder bestätigen noch dementieren. Das zeigt, wie unsicher die SPD-Spitze ist, ob sie mit dem Parteiausschlussverfahren den Schaden nicht noch vergrößert. Inoffiziell hört man aus dem Willy-Brandt-Haus aber, dass die Zahl korrekt ist. Allerdings seien die meisten Sarrazin-Fans keine SPD-Mitglieder. Das wiederum ist eher beruhigend für Gabriel & Co.

Vor der Präsidiumssitzung am Montag hatte Parteichef Gabriel den Genossen Sarrazin am Telefon ins Gebet genommen - offenbar ohne Erfolg. Gabriel ist kein leidenschaftlicher Anhänger des Ausschlussverfahrens. In einem Zeitungsinterview am Dienstag betonte er zweimal, dass Sarrazin "vor einem möglichen Parteiausschluss die Chance hat, sich zu korrigieren und für seine Äußerung zu entschuldigen". Gabriel bestreitet nicht mal, dass Sarrazin in mancher Frage recht habe. Die Beschreibung einiger Probleme sei nicht falsch, "aber das Menschenbild passt nicht in die SPD".

Eine härtere Tonlage schlägt die Berliner SPD an. Sie erwägt, das langwierige Parteiordnungsverfahren abzukürzen. Ein beschleunigtes Prozedere ist nur erlaubt, wenn der Partei schwerer Schaden droht. In diesem Fall könnte Sarrazin schon binnen drei Monaten rausfliegen. Die Entscheidung soll der Berliner Landesvorstand am Montag fällen.

Sarrazin gehört dem Berliner Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf an. Die Stimmung an der Basis in der Berliner SPD ist geteilt. Die Mehrheit der Genossen, die Mails und Briefe schreiben, versichert die Berliner SPD, sei aber dafür, dass der Exfinanzsenator bald auch Exgenosse ist.

Offen ist noch, ob Sarrazin bald auch Exbundesbanker sein wird. Der Vorstand der Bank tagte am Mittwoch zusammen mit Sarrazin, ohne Ergebnis. Frühestens am heutigen Donnerstag soll entschieden werden, ob die Bundesbank den Provokateur vor die Tür setzt. Das Thema bleibt noch.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.