Autor über argentinische Literatur: "Für die Jüngeren zu politisch"

Argentinien als Ehrengast: Am Dienstag wird die Frankfurter Buchmesse eröffnet. Ein Gespräch mit Damián Tabarovsky, Schriftsteller - und "Verleger neuen Typs".

Im Mittelpunkt der Frankfurter Buchmesse: Pavillon des Gastlandes Argentinien während der Aufbauarbeiten. Bild: dapd

taz: Herr Tabarovsky, was sind Sie in erster Linie? Autor, Kritiker oder Verleger?

Damián Tabarovsky: Früher musste man in Argentinien, wenn man das Land verlassen wollte, ein Formular ausfüllen: Name, Alter, Beruf. Ich habe es nie fertiggebracht dort Schriftsteller einzutragen, da es irgendwie bedeutet hätte, auch davon zu leben. Ich fühle mich als Schriftsteller, trotzdem würde ich nicht sagen, dass es mein Beruf ist. Alle meine Tätigkeiten haben mit dem Lesen zu tun. Ich verstehe mich vor allem als Leser. Das Problem ist, dass man davon nicht leben kann. Zunächst einmal bin ich eine Person, die liest. Und danach jemand, der schreibt.

Die junge Generation argentinischer Schriftsteller charakterisierten Sie so: "Sie sind zunächst einmal von der digitalen Kultur, den Blogs, der Massenkultur beeinflusst, ihre Sätze sind kurz und schnell. Und ihnen sind negative Vorurteile fremd, das gilt für viele der jungen Autoren, ganz gleich, welches Thema sie bearbeiten …" Gehören Sie dazu? Falls nicht, worin bestehen die Unterschiede? Schließlich klingt es nicht danach, als ob Sie viel von dieser Generation halten würden.

Der Kolumnist: 1967 in Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires geboren, schreibt seit fünf Jahren in seiner wöchentlichen Kolumen der Kulturbeilage der argentinischen Zeitschrift Perfil über Literatur.

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Der Verleger: Davor war er Verleger von Interzona Editora. Der kleine, aber bedeutende Verlag in Buenos Aires veröffentlichte Autoren wie Cesar Aira, Fogwill, Lucía Puenzo oder Danu Umpi.

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Der Schriftsteller: Soeben ist Tabarovskys neuer Roman "Medizinische Autobiographie" auf Deutsch im Berliner Berenberg Verlag erschienen.

Nein, ich gehöre nicht dazu. Ich bin älter. Ich betreibe keinen Blog und bin nicht besonders vertraut mit der Technologie der neuen Medien. Für die Jüngeren ist das ein ganz selbstverständlicher Bestandteil ihres Lebens. Aber es stimmt nicht, dass ich keine Sympathie für diese Generation hege. Die Hälfte der Veröffentlichungen bei Interzona waren Autoren dieser Generation. Viele gefallen mir, andere nicht - das ist ganz normal. Im Vergleich mit den Jungen, hat meine Generation eher Probleme mit ihrer Identität.

Wir sind wie die jüngeren Geschwister derjenigen, die in den siebziger Jahren politisch aktiv waren, ins Exil gingen, verschwanden oder gefoltert wurden. Für diese Erfahrung sind wir zu jung. Wir sind zwar unter ihrem Einfluss groß geworden, doch sind wir auch die Generation der Demokratie - und in ihren Augen viel zu frivol. Trotzdem sind wir nicht in dem Maße entpolitisiert wie die Generation nach uns. Für die Jüngeren sind wir zu politisch und für die Älteren zu wenig.

Im Jahr 2002 gründeten Sie den Verlag Interzona Editora, um junge Autoren und vergessene literarische Werke Südamerikas zu verlegen. Und das ausgerechnet in einer der schwersten ökonomischen Krisen Argentiniens. Wie kam das?

Ich habe Interzona nicht alleine geleitet. Damián Rios war bereits dort, als ich dazustieß und wir den Verlag dann gemeinsam aufbauten, ohne Besitzer von Interzona Editora zu sein. Es ist ziemlich unglaublich, was damals in Argentinien geschah. Im Jahr 2001, als man das Gefühl hatte, Argentinien würde sich auflösen, entstand im selben Moment ein sehr intensives, kulturelles Leben - ein neues argentinisches Kino, ein neues Theater und neue unabhängige Verlage wurden gegründet.

Im Fall der Verlage hatte es mit zwei Dingen zu tun: Zum einen fand zu dieser Zeit ein kultureller Umbruch bei uns jungen Verlegern statt. Wir verabschiedeten uns von der Idee der alten, renommierten Verlage und suchten nach neuen Vertriebswegen und billigeren Produktionsformen. Wir orientierten uns nicht mehr am Mainstream. Zum anderen ergaben sich durch die Abwertung der argentinischen Währung plötzlich ganz neue Möglichkeiten. Zuvor, in den neunziger Jahren, als ein Peso noch ein US-Dollar kostete und alles sehr teuer war, haben ausländische Unternehmen unzählige argentinische Firmen aufgekauft. Spanische Verlage wie Mondadori und Planeta übernahmen das Monopol auf dem argentinischen Buchmarkt.

Nach der Abwertung des Pesos bekam man für einen US-Dollar vier Peso. Papier und eine Menge anderer Dinge wurden auf einmal erschwinglich. Durch die ökonomischen Veränderungen war eine neue Generation junger Verleger in der Lage, in einer Art Guerillataktik und sehr schnell Bücher herauszubringen, ohne auf Subventionen des Staats angewiesen zu sein. In dieser Zeit gründeten sich viele kleine unabhängige Verlage, Interzona war einer von ihnen. Mit der Gründung dieser Verlage tauchte in Argentinien ein neuer Typ des Verlegers auf - jemand, der sich seinen Autoren und Büchern gegenüber verpflichtet fühlt. So haben wir bei Interzona zahlreiche junge Autoren entdeckt, aber auch bereits durchgesetzte wie Fogwill oder Cesar Aira gewonnen.

Argentinien ist Ehrengast der diesjährigen Buchmesse, die heute im Beisein der argentinischen Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner eröffnet wird. Welche Rolle spielt die Literatur in der aktuellen argentinischen Gesellschaft?

In der Öffentlichkeit spielt die argentinische Literatur bei überhaupt keinem Thema eine wichtige Rolle. Die Literatur hat nichts mehr zu sagen - so scheint es. Das kann erst mal ein Vorteil sein. Innerhalb der Literatur ist aber das Thema der letzten Diktatur immer präsent geblieben. Die Ersten, die unmittelbar nach der Diktatur darüber schrieben, waren die Opfer, die Exilanten, die politisch Militanten. Fast die ganze Literatur aus dieser Zeit ist schrecklich. Doch als man dachte, es gebe nicht mehr viel zu dem Thema zu sagen, tauchte die Generation der Kinder der Verschwundenen in der Literatur auf, mit einem ganz anderen Blick auf die Geschichte, Autoren wie Félix Bruzzone.

Ist die Auseinandersetzung mit der Diktatur überhaupt noch ein Konfliktthema?

Die Aufarbeitung ist tatsächlich zum offiziellen Thema der Regierung Kirchner geworden. Ich habe dazu ein zwiespältiges Gefühl. Auf der einen Seite teile ich deren Meinung, auf der anderen Seite habe ich genug davon. Schließlich ist es sehr einfach, über Menschenrechtsverletzungen in den siebziger Jahren zu diskutieren, aber nicht darüber zu sprechen, was in jedem Polizeirevier der Provinz Buenos Aires heute passiert. Von den Jugendlichen, die dort von der Polizei misshandelt werden, von den Armen, die arm bleiben, von den Cartoneros …

Die Buchmesse informiert, dass die Deutsche Post eine Sonderbriefmarke Jorge Luis Borges widmen wird. Welchem argentinischen Schriftsteller oder welcher Schriftstellerin hätte Ihrer Meinung nach ebenfalls eine Briefmarke gebührt?

Wahrscheinlich niemandem, da bin ich ikonoklastisch. Trotzdem finde ich es korrekt, dass es Borges ist. Man muss jedoch sehen, dass Borges ein Genie innerhalb eines größeren Zusammenhangs von Autoren, Poeten und Intellektuellen war, die in den zwanziger und dreißiger Jahren alle ähnlich wie Borges dachten. Auch wenn er unter ihnen der Talentierteste war, ist er als Genie nicht vom Himmel gefallen.

In seinem Text "El escritor argentino y la tradición" argumentiert Borges gegen den argentinischen Nationalismus und solche Bücher, in denen Gauchos auftauchen. Und er sagt etwas sehr Witziges: "Im Koran gibt es keine Kamele." Es ist nicht notwendig, weil alle wissen, dass es ein arabischer Text ist. Und wir müssen auch nicht betonen, dass wir Gauchos sind, denn wir sind bereits Argentinier. Für Borges und für viele andere an seiner Seite war die argentinische Tradition eine universalistische.

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