Taz-Serie Sekundarschule (Teil 3): Flexibel bis zur Selbstausbeutung

Bauchtanz- oder Bollywood-AG? Der Umbau zum Ganztagsbetrieb stellt die LehrerInnen vor ganz neue Herausforderungen. Die knappen Mittel machen ein perfektes Finanzmanagement erforderlich.

Kreuzberger Schülerinnen stehen auf Bollywood-Tanz Bild: Reuters

In Kreuzberg fusionieren die Carl-Friedrich-Zelter-Hauptschule und die Eberhard-Klein-Schule - früher kombinierte Haupt-Realschule - zur Sekundarschule. Für die Berliner Schulstrukturreform, die die Hauptschulen abschafft, sind in beiden Kollegien eigentlich alle. Doch wie kommen die Lehrkräfte mit den veränderten Bedingungen zurecht, wie viele Neuerungen sind tatsächlich umsetzbar? Und wie nehmen die Eltern und die SchülerInnen die neue Schule an?

Die taz begleitet die entstehende Sekundarschule an der Skalitzer Straße in ihrem ersten Jahr. Im heutigen dritten Teil der Serie geht es um Organisation und Gestaltung des Ganztagsschulalltags.

Teil 1, erschienen am 6. Juli, behandelte die Vorbereitung der Schulen auf ihre Fusion.

In Teil 2 (24. August) ging es um den Schulstart für Eltern, Schüler und Lehrer der neuen 7. Klassen.

Fast sieht es nach Erholung aus: Im Schein der letzten Sonnenstrahlen eines lauen Spätsommerabends sitzt eine Handvoll Lehrer- und SozialarbeiterInnen auf dem grünen Hof hinter ihrem altehrwürdigen Schulhaus in Kreuzberg zusammen. Doch eine gemütliche Plauderrunde von KollegInnen, die sich auch lange nach Feierabend nicht von ihrem Arbeitsplatz trennen mögen, ist das hier nicht. Sondern Arbeit - Mehrarbeit, wie sie bei der Planung der neuen Schulform Sekundarschule für alle Beteiligten unausweichlich ist.

Dabei geht es eigentlich um Entspannung: Über Bauch- oder Bollywoodtanz, Rudern oder Federball diskutiert die Runde, über Musikunterricht, eine Schülerzeitungs- oder Foto-AG wird nachgedacht. Das "Team 7" plant den Ganztag. Für die PädagogInnen der siebten Klasse der neuen Sekundarschule an der Skalitzer Straße ist die Organisation des Schulbetriebs bis 16 Uhr ebenso neu wie für die Schulverwaltung, die den rechtlichen und finanziellen Rahmen dafür schaffen muss. Gleiches gilt für die externen Partner, die mit ihren Angeboten helfen sollen, den Ganztagsbetrieb sinnvoll zu füllen. "Bis kurz vor den Sommerferien habe ich nicht einmal gewusst, wie ich solche Partner - Sportvereine oder Musikschulen, aber auch Umwelt- oder andere Initiativen- verbindlich in den Schulbetrieb einbinden und wovon ich sie bezahlen soll", erzählt Johannes Neuwirth, Lehrer und Leiter des "Team 7".

Immerhin das ist mittlerweile klar: Die Senatsschulverwaltung hat mit Dachverbänden wie dem Landessportbund oder Trägern freier Jugendarbeit Rahmenvereinbarungen getroffen. Die Schulen können nun Kooperationen mit deren Mitgliedsorganisationen eingehen. Bezahlt werden soll die Zusammenarbeit, wie es in einer Pressemitteilung der Senatsschulverwaltung etwas nebulös heißt, aus "selbstverwalteten Etats" der Schulen - gemeint sind damit die Mittel, die den neuen Sekundarschulen eigentlich zur Einstellung von Sozialpädagogen oder Erzieherinnen zur Verfügung stehen. Das können laut Schulverwaltung bis zu dreieinhalb volle Stellen sein - aber erst, wenn die Sekundarschulen bis zur zehnten Klasse hochgewachsen sind.

Im ersten Jahr der neuen Schulform entsprechen die Mittel also höchstens einem Viertel der Personalkosten für diese dreieinhalb Beschäftigten und damit nicht einmal einer einzigen Vollzeit-Erzieherin oder -Sozialpädagogin. Ob sie lieber die oder eben externe Partner für den Ganztagsbetrieb einsetzen möchten oder von beidem ein bisschen - diese Entscheidung muss jede Schule selbst treffen: Im Sprachgebrauch der Verwaltung führt das "zu einem Höchstmaß an Flexibilität".

In der Praxis folgt daraus wohl eher eine Mischung aus Flexibilität und (Selbst-)Ausbeutung: Zwischen sagenhaften elf Arbeitsgemeinschaften können die SiebtklässlerInnen der Skalitzer Straße einige Wochen später wählen. Rudern und Federball sind dabei, statt Bauch- ist es Bollywoodtanz geworden, auch Handball und Basketball sind im Angebot, dazu eine Umwelt-AG, eine über die verschiedenen Religionen in Kreuzberg, eine Foto-AG, Handarbeiten und Computernutzung. Ein Teil der AGs wird von MitarbeiterInnen der Schule selbst angeboten, etwa einer Referendarin, die die AG über ihre Pflichtstunden hinaus freiwillig anbietet. Den Rest übernehmen externe Kooperationspartner, die dafür individuell ausgehandelte Honorare bekommen: "Und da müssen wir schon auf die Kosten achten", seufzt Lehrer Neuwirth, zu dessen neuen Aufgaben nun eben auch solche Honorarverhandlungen gehören.

Eine Sozialarbeiterin mit 30 Wochenstunden hat die Schule außerdem eingestellt. Wie das finanziell geht, darüber hüllt sich Mittelstufenleiter Robert Hasse lieber in Schweigen. Der frühere Leiter der mehrfach preisgekrönten Carl-Friedrich-Zelter-Hauptschule weiß wie fast alle Leiter erfolgreicher Berliner Schulen sehr gut, dass solcher Erfolg sich nur dann erreichen lässt, wenn man die Grenzen der von der Schulverwaltung geforderten Flexibilität ab und an austestet. Im Übrigen hat er eigentlich keine Wahl: Noch ist die Zusammenarbeit mit den neuen externen Partnern in der Anfangs- und damit Probephase. Falls eine AG einmal ausfällt oder ganz platzt, käme die Schule ohne Betreuung durch Sozialpädagogen in die Bredouille.

Den Kindern sind diese komplizierten Hintergründe natürlich egal. In Gruppen drängen sie sich um die Tische in der Mehrzweckhalle ihrer Schule, an denen die AGs ihr Angebot präsentieren. Jedes Kind darf sich selbst eine aussuchen. Bei den Sportangeboten bilden sich die dicksten Trauben: "Basketball kenn ich schon", lautet Nils Begründung dafür, dass er sich für diese AG entschieden hat. Phil kann einige Freunde überreden, sich zum Rudern anzumelden, und auch die Handball-AG ist sehr begehrt. Bei den Mädchen steht Bollywoodtanz klar an erster Stelle.

Auch wenn die Angebote zu Themen wie Religion und Umwelt wenig Interesse finden: Der offensichtliche Bewegungsdrang der Kinder ist nachvollziehbar und vor allem gesund. Denn still gesessen wird genug. 31 Unterrichtsstunden sieht der Stundenplan der Sekundarschule bereits für die siebten Klassen vor. Dazu kommen zusätzliche "Schülerarbeitsstunden", etwa zum Üben oder für die Hausaufgaben, und zwei weitere Unterrichtsstunden für die, die eine zweite Fremdsprache lernen. Viel Zeit für AGs und andere Extras bleibt da auch im achtstündigen Ganztagsbetrieb nicht. Schon wegen der lange Mittagspause zum Essen.

Zwar soll die neue Sekundarschule auch da flexibel sein: etwa den Unterricht, von Ruhephasen und AGs unterbrochen, über den Tag verteilen oder aber den klassischen 45-minütigen Schulstundenrhythmus ganz aufbrechen. Doch in der Praxis sind auch dieser Flexibilität noch enge Grenzen gesetzt. Denn bislang sind erst die siebten Klassen Sekundarschule. Die anderen sitzen zwar unter demselben Schuldach, lernen aber noch nach den Regeln und Unterrichtsplänen der alten Struktur von Haupt-, Real- und Gesamtschule.

Auch für die Lehrer des Team 7 heißt das: Ihre Stundenpläne müssen mit denen der "Restschule" kompatibel sein. Denn sie unterrichten ja nicht nur in den siebten Klassen - und teilweise auch noch an zwei Standorten: Die fusionierte Sekundarschule hat ihre Zehntklässler aus Platzgründen in eine leerstehende Schule am Fraenkelufer ausgelagert. Für einige Lehrer bedeutet das regelmäßige und möglichst schnelle Ortswechsel, viel Spielraum für ausgefallene Stundenpläne bleibt da nicht.

Kein Wunder also, dass auch bei der nächsten Besprechung des Team 7 der Ganztagsbetrieb noch einmal auf der Tagesordnung steht. Doch diesmal geht es um ein anderes wichtiges Thema: das Mittagessen. Die Lieferanten für die Ganztagsschulen sucht nicht die Schule, sondern das Bezirksamt aus. Ein Euro kostet ein halbes belegtes Brötchen in der Mensa an der Skalitzer Straße, ein warmes Mittagessen 2,80 Euro. Für viele SchülerInnen ist das zu teuer, wissen und erleben die LehrerInnen. Doch ohne Essen schaffen sie den Ganztag nicht. Teamleiter Neuwirth nickt und macht sich still Notizen. Es wird wohl bald wieder über Geld verhandelt werden müssen.

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