Reform des EU-Stabilitäspaktes: Deutschland verwässert Deal

Schuldenländer härter bestrafen - das fordern Deutschland und Frankreich. Zugleich verwässert die Regierung Merkel aber den eigenen Vorschlag.

Im Gespräch: Wolfgang Schäuble und Jean-Claude Trichet, Chef der Europäischen Zentralbank. Bild: dpa

Wenn sich an diesem Donnerstag die Regierungschefs in Brüssel treffen, wird es Zoff über den Stabilitätspakt geben. Da Europa derzeit ein bisschen Aufmerksamkeit gut gebrauchen kann, sollte das eigentlich eine gute Nachricht sein. Das Problem ist nur: Das Thema ist so kompliziert, die Haltung der Mitgliedsländer zu den Details so verwirrend, dass sich der Streit kaum nachvollziehen lässt. Beim kritischen Betrachter wird wieder einmal hängen bleiben: Die spinnen doch in Europa.

Das Problem, um das es geht, ist so alt wie der Euro. Eine einzige Währung steht für ganz unterschiedliche Formen des Wirtschaftens und Haushaltens. Die einen geben Geld aus, das sie nicht haben. Und die anderen, die sparsam wirtschaften, müssen dafür einstehen. Langjährige Beobachter wunderten sich nicht über die Griechenlandkrise, sondern darüber, dass es so lange dauerte, bis sie kam.

Zuvor hatten viele Euroländer, allen voran Deutschland und Frankreich, daran mitgewirkt, dass es so weit kommt (siehe Kasten). Doch spätestens der Griechenland-Schock sorgte dafür, dass sich Deutschland für strengere Stabilitätskriterien starkmachte.

Am 27. September, zwei Tage bevor die EU-Kommission ihren Gesetzentwurf vorlegte, forderte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in einem Schreiben an Ratspräsident Herman Van Rompuy und seine Ministerkollegen, dass Defizitsünder nach dem neuen Verfahren schneller Geldstrafen aufgebrummt bekommen sollen als bisher. Er brachte auch den Vorschlag ins Spiel, EU-Fördermittel auf Eis zu legen und Euroländern zeitweilig das Stimmrecht im Ministerrat zu entziehen.

An dieser Maximalposition hält Bundeskanzlerin Angela Merkel bislang offiziell fest. Gleichzeitig hat sie aber mit der vor einer Woche in Deauville mit dem französischen Staatschef ausgehandelten Verabredung diesen kühnen Plänen die Grundlage entzogen. Für blaue Briefe, Zwangsgelder mit oder ohne Zinsverlust oder für den zeitweiligen Stimmrechtsentzug soll weiterhin die formale Voraussetzung gelten, dass ein übermäßiges Defizit offiziell festgestellt wird.

Nach den bisherigen Regeln entscheidet dies der Finanzministerrat, nachdem die EU-Kommission einen entsprechenden Vorschlag gemacht hat. Zwar sind die Kriterien klar festgelegt: Wer mehr als 60 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts an Schulden aufgebaut oder jährlich mehr als 3 Prozent des BIP an neuen Schulden aufgenommen hat, überschreitet eine rote Linie.

Doch politisch besteht Spielraum: Man kann das Thema vertagen, ohne Abstimmung debattieren oder mildernde Umstände wegen einer besonders schwierigen wirtschaftlichen Lage geltend machen. Grundsätzlich gilt: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Wer nicht selbst eines Tages einen blauen Brief bekommen will, schickt auch tunlichst keinen ab.

Außenminister Guido Westerwelle hatte den deutsch-französischen Deal von Deauville zunächst scharf kritisiert und gefordert, Sanktionen müssten automatisch greifen. Beim Außenministertreffen gestern in Luxemburg wollte er davon aber nichts mehr wissen. Stattdessen stellte er heraus, dass Frankreich und Deutschland deutlich strengere Strafen bis hin zum Stimmrechtsentzug erreichen wollten.

Auch müsse der auf drei Jahre befristete Krisenmechanismus, also ein Rettungsfonds für zahlungsunfähige Länder, auf eine dauerhafte Grundlage gestellt werden. "Wenn uns noch mal passieren würde, was im Frühjahr bei Griechenland passiert ist, dann kommt Europa aber ganz nah an den Abgrund." Auch Wolfgang Schäuble lobte den Deal von Deauville.

Ende September legte die EU-Kommission ein Gesetzespaket aus sechs Verordnungen vor, das die Stabilität des Euro besser als bisher schützen soll. Normalerweise steigt Brüssel mit einer "Mitteilung" in die Debatte ein. Damit werden die Mehrheitsverhältnisse getestet, bevor der Gesetzesvorschlag auf den Tisch kommt.

Die Eile bei diesem heiklen Thema begründete die Behörde damit, dass sie schon 2011 die Haushalte der Mitgliedstaaten nach den neuen Regeln kontrollieren will. Auf diese Abstimmung haben sich die Mitgliedstaaten im Prinzip bereits verständigt. Noch bevor das Haushaltsverfahren in den nationalen Parlamenten beginnt, soll Brüssel einen Blick auf die Budgetpläne werfen und sein Veto einlegen können, wenn Schieflage droht. Die anderen Vorschläge der EU-Kommission sind aber heiß umstritten.

Brüssel will präventiv tätig werden, wenn EU-Länder Strukturreformen verschlafen und dadurch global ins Hintertreffen geraten. Das passt zum Beispiel Frankreich nicht, das seine Rentenreform dann mit der EU-Kommission besprechen müsste. Auch wenn Länder zu wenig Geld ausgeben und ihre Wirtschaft kaputtsparen, will Brüssel eingreifen können.

Die Bundesregierung ist aber der Meinung, dass es die EU nichts angeht, welche Schuldenbremse im Grundgesetz steht. Über dieses Thema gab es vor Wochen schon Streit zwischen Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde und Wolfgang Schäuble.

Der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold bedauert, dass die Probleme, die einer Wirtschaftszone durch Ungleichgewichte entstehen, durch den aktuellen Streit aus dem Blick geraten sind. Auf deutschen Druck hin habe die mit der Wirtschaftsreform beauftragte Arbeitsgruppe unter Herman Van Rompuy diesen Punkt aus ihrem Abschlussbericht herausgestrichen.

Zum Hin- und Hergeschiebe zwischen Ratsarbeitsgruppe, deutsch-französischem Sondertreffen und Kommissions-Gesetzesvorschlag sagte er: "Deutschland soll sich an die Spielregeln halten, mit denen wir in Europa arbeiten."

Der EU-Rat wird nun beschließen, ob er den Vorschlag der Van-Rompuy-Arbeitsgruppe unverändert übernimmt und ob er diesem Gremium ein zweites Mandat erteilt, sich über härtere Sanktionen, ein Insolvenzrecht für Staaten und einen unbefristeten Krisenmechanismus nachzudenken. Beobachter halten die Chancen für gering, da eine Vertragsänderung nötig wäre, die derzeit politisch nicht durchsetzbar ist.

Deutschland, das die Vertragsänderung will, vertraut aber auf den finanziellen Druck, der automatisch entstehen wird: 2013 wird der Rettungsschirm zugeklappt, wenn es nicht eine dauerhafte Folgevereinbarung gibt. Die sechs von der EU-Kommission vorgelegten Vorschläge gehen nun ins Gesetzgebungsverfahren. Kaum jemand glaubt, dass Rat und Parlament sich noch in diesem Jahr auf einen Kompromiss verständigen.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn bezeichnete einen möglichen Stimmrechtsentzug für ein Defizitland als "Rückfall ins 19. Jahrhundert." Europäische Medien rätseln mittlerweile, welche Hintergedanken Angela Merkel mit dem Deal von Deauville verfolgen mag.

Die Zeitung Hesingin Sanomat aus Finnland spricht für viele, wenn sie sagt: "Deutschland hat den Pakt nun verwässert, um Versprechen für Vertragsänderungen zu erhalten, deren Akzeptanz unwahrscheinlich ist." Mit anderen Worten: Was nützen die strengsten Strafen, wenn der politische Wille fehlt, sie anzuwenden?

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