die wahrheit: Rarer als Gold

Eine winzige Brennerei im Allgäu feiert ihr 100-Jähriges. Doch echten Gebirgsenzian gibt's nur in homöopathischen Dosen.

Theresia Mayer verspricht: Hier wird alles noch ganz genauso gemacht wie einst vor 100 Jahren. Bild: klaus wittmann

Draußen vor der großen Hofeinfahrt ahnt niemand etwas. Doch hier unten im Keller einer Nebenstraße im Blaichacher Ortsteil Bihlerdorf ist sie versteckt: die weit und breit wohl winzigste und älteste Gebirgsenzian-Brennerei. Drüben in Tirol, erzählt man sich am Ort, soll es auch noch eine echte Gebirgsenzian-Brennerei geben. Sicher weiß das aber keiner hier in der Allgäuer Gemeinde. So groß ist die Welt hier in der Nähe von Sonthofen nicht.

Theresia Mayer führt in vierter Generation die kleine Destille, ihr Sohn - die fünfte Generation - ist mit seinen 46 Jahren derjenige, der am härtesten mit anpacken muss, damit aus den fünfzehn Zentnern gelber Enzianwurzeln der 42-Prozenter wird, den Kenner kaum mehr in dieser reinen Form bekommen: reinen gelben Gebirgsenzian.

"Bei uns wird das noch genauso gemacht wie vor 100 Jahren, in alter Tradition, also wird kein Industriealkohol zugeführt." Schon haben wir in dem edlen Tropfen aus Bihlerdorf den Wermutstropfen: Es gibt nicht viel davon. Zwischen 60 und 80 Litern im Jahr, produziert nur im Nebenerwerb, denn leben kann davon niemand. Das wiederum heißt, dass Theresia Mayer ihren Enzian hütet wie einen Goldschatz.

Und was wäre, wenn so ein stinkreicher Scheich beim Einkaufstrip durch deutsche Autofirmen oder sonstige Betriebe diesen Gebirgsenzian mit purem Gold aufwiegen würde? "Das hilft ja nichts, wir haben eine Stammkundschaft - und die müssen wir bevorzugen!" Das heißt, wann auch immer jemand kommt und sagt, er bietet das Doppelte oder Dreifache für den Liter - Pech gehabt.

Der volle Liter kostet heute 48 Euro und es kann sich schon glücklich schätzen, wer von der Stammkundschaft eine 0,33er oder gar eine Halbliterflasche bekommt. Da wird nicht "Kohle gemacht", sondern ein klarer, reiner Gebirgsenzian in diesem kleinen Dorf in den Bergen - und damit basta!

Diesen Geschmack vom gelben Enzian mag man oder man verabscheut ihn - dazwischen gibt es nichts. Der Selbstversuch hat etwas Rituelles. Ganz vorsichtig wird der kleine Korken von der Tonflasche gehoben. Ein ganz kleiner Schluck nur "wandert" ins Glas, noch vor dem Trinken zieht dieser strenge, etwas feucht-wurzelig anmutende Geruch durch die Nase. Wie gesagt: die einen schüttelts, für die anderen gibt es nichts Besseres. "Das ist wie Medizin, und ich nehms auch nur als Medizin", sagt die 67-jährige Theresia Mayer, die das Brennen von ihrem Onkel Hansjörg Bader gelernt hat.

In der Familie wird das Rezept weitergegeben. Die Genehmigung, jedes Jahr an einer anderen Stelle im Gunzesrieder Tal ein paar Zentner der Wurzeln ausgraben zu dürfen, wird nach strengen Naturschutzvorgaben von der zuständigen Bezirksregierung in Augsburg erteilt. Sowas wie Landschaftspfleger sind die freiwilligen Wurzelstecher.

Der Job selbst ist eine höllisch schwere Arbeit. Jedes Jahr nach dem Viehscheid heißt es für die Enzian-Familie und die fünfzehn Helfer aus dem Ort: auf zum Wurzelstechen. Speziell geschmiedete Pickel schultern die Freiwilligen, meist an einem oder zwei Samstagen, wenn das Wetter mitspielt. Die Stängel mit den Samen werden wieder in der Erde versenkt, so wächst der gelbe Gebirgsenzian immer weiter. Theresia Mayer und eine gute Freundin putzen die bis zu 75 Zentimeter langen Wurzeln, schneiden kleine Steine heraus. Dann wird gehäckselt und die Maische angesetzt. Ein Jahr lang bleibt diese in den großen Bottichen in dem kleinen Brennkeller, in dem sonst noch einige uralte Holzfässer und ein kleiner Kupferbrennkessel stehen.

Wenn der Brand dann fertig ist - es gibt nur vier bis fünf Brände im Jahr - werden schließlich die Wartelisten abgearbeitet. Eine kleine Flasche bekommen die Wurzelstecher für die mühselige Arbeit. Und die Stammkunden freuen sich schon auf den neuen Gebirgsenzian. Doch sie wissen: Am besten wird er, wenn wir uns noch ein paar Wochen zusammenreißen. Aber wer bringt das schon fertig, wenn er diesen leicht modrig-bitteren Geschmack einmal lieben gelernt hat, wenn er das kleine Feuer schon mal erlebt hat, das diese ganz besondere Medizin im Magen entfacht?

Sollte doch mal ein Neukunde vorbeischauen, dann muss er wissen: Abgegeben wird der höchst rare echte Gebirgsenzian aus der Brennerei mit der 100 Jahre alten Tradition nur in fast schon homöopathisch kleinen Mengen.

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kari

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