Kommentar Neues Jobwunder: Wachstum lohnt sich nicht

Das neue Jobwunder auf dem Arbeitsmarkt ist keines: 5,5 Millionen Menschen erhalten Hartz IV oder ALG I - aber nur die Hälfte taucht in der Arbeitslosenstatistik auf.

Die Vollbeschäftigung scheint nah. 2010 gab es so viele Erwerbstätige wie noch nie, meldet das Statistische Bundesamt. 40,37 Millionen Menschen waren in Deutschland beschäftigt - ein neuer Höchststand. Und passend kann das Amt noch einen weiteren Erfolg verkünden: Die offizielle Arbeitslosigkeit sinkt. Im Durchschnitt waren nur noch 2,93 Millionen Menschen ohne Stelle.

Doch diese rosigen Zahlen werden von den Bundesbürgern offenbar ignoriert. In Umfragen äußern sich die meisten eher pessimistisch. Selbst bei den Spitzenverdienern glaubt nur ein Drittel, dass sich ihre finanzielle Situation in diesem Jahr bessert.

Das Misstrauen der Deutschen ist berechtigt. Schließlich wuchs die Wirtschaft zwischen 2005 und 2008 ebenfalls kräftig - doch bei den Arbeitnehmern kam nichts an. Die Reallöhne stagnierten oder sanken, während die Firmengewinne explodierten.

Dieses Szenario könnte sich nun wiederholen. Denn die schönen Zahlen des Statistischen Bundesamtes verdecken eine unschöne Realität. Die Massenarbeitslosigkeit ist nämlich keineswegs vorbei. Noch immer erhalten 5,5 Millionen Menschen Hartz IV oder Arbeitslosengeld I - aber nur etwa die Hälfte taucht in der offiziellen Arbeitslosenstatistik auf. Der Rest wird anderweitig verbucht, hat aber trotzdem keine auskömmliche Tätigkeit.

Doch selbst wer regulär beschäftigt ist, hat nicht unbedingt eine reguläre Stelle. Zwar sind nun über 40 Millionen Menschen erwerbstätig - aber nur knapp 22,5 Millionen bekleiden eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle. Es boomt vor allem die Teilzeit in ihren diversen Varianten.

Damit sind viele Arbeitnehmer erpressbar, noch immer. Das wissen sie selbst am besten. Daher rechnen sie auch nicht mit steigenden Löhnen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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