Streit um Gläubige: Gospel im Gewerbegebiet

Auch in Hamburg stehen Kirchen leer, aber etliche afrikanische Gemeinden müssen ihre Gottesdienste in entlegenen Industriegebieten abhalten: Mal sind sie den Anwohnern zu laut, mal zu unpünktlich.

Beten und in Zungen reden: Gottesdienst bei der Bethel Ministry. Bild: Miguel Ferraz

Lastwagen rollen vorbei, Zweckbauten säumen die Straße. Ganz am Ende der kleinen Sackgasse steht ein gelbes, etwas schäbiges Bürogebäude. Im ersten Stock hängt im Fenster ein Schild: "Bethel Prayer Ministry International".

Hier in einem Gewerbegebiet in Hamburg-Altona hat eine kleine afrikanische Gemeinde ihren Sitz, und Boateng Bona Siriboe ist ihr Apostel. "Entschuldigen Sie die Verspätung", sagt er, als er im hellbraunen Trenchcoat die Treppe hoch kommt. Sein Händedruck ist kräftig.

Der Gemeindesaal ist mit violettem Teppich ausgelegt. Eine Bühne ist mit Blumen geschmückt, davor sind Stühle aufgereiht. "Hier feiern wir unsere Messen", sagt Siriboe.

Der Apostel hat ein kleines, fensterloses Büro, das vollgestopft ist mit Büchern.Früher, erzählt er, habe die Gemeinde in einer richtigen Kirche gefeiert. "Damit wir und die deutsche evangelische Gemeinde Ruhe haben, sind wir hierher gekommen."

Die meisten afrikanischen Christen in Hamburg gehören der pfingstlich-charismatischen Bewegung an. Diese relativ junge Strömung lehrt den Glauben an die "Ausgießung" des Heiligen Geistes - und das passiert offenbar nicht im Stillen: Durch die Wand des Büros dringen irritierende Geräusche, eine Art ekstatisches Stöhnen: Ein Gemeindemitglied wandert mit weit geöffneten Armen betend durch den Gemeindesaal.

Laut Statistikamt Nord lebten 2009 offiziell 15.712 Afrikaner in Hamburg.

Bis zu 53 verschiedene Nationalitäten wurden aufgelistet.

Ghana ist mit 5.196 Personen am häufigsten vertreten. Danach kommen Togo (1.531) und Ägypten mit (1.249).

Rund 80 afrikanische Gemeinden gibt es derzeit in Hamburg. Die meisten sind Christen und pfingstlich-charismatisch ausgerichtet.

Zum "African Christian Council", dem Dachverein für afrikanische Pfingstler, gehören etwa 50 davon.

Ihre Sonntagsmessen halten rund 85 Prozent der Gemeinden in ordentlichen Kirchen ab, die restlichen mieten Lagerhallen oder Büroflächen in Industriegebieten an.

Mit großen Schritten schreitet der Vorbeter vor der Bühne auf und ab. Sein kahler Kopf glänzt, sein Gesicht ist angestrengt, während er mit lauter Stimme auf Twi von Jesus predigt. Der kleine Mann mit der weißen Weste wirkt größer, immer wenn er seine Handflächen dem Himmel entgegen streckt - wie eine Antenne, die Gottes Wort empfängt.

Sein Weg kreuzt sich mit dem zwei anderer Männer, die, in einen merkwürdigen Singsang vertieft, auf und ablaufen. Immer mehr der Anwesenden stimmen in diese "Zungenrede" ein, die von einer besonders unmittelbaren Verbindung zu Gott künden soll.

Keiner sitzt mehr auf einem der bunt gepolsterten Stühle, alle stehen, wiegen sich, beten mit nach oben gerichteten Handflächen. So beginnt die Sonntagsmesse.

Später steht eine Frau in einem engen bunten Kleid vor der Bühne. Eine Band - Schlagzeug, Congas, Bass, E-Gitarre und Piano - stimmt ein Lied an. Die Frau wirft den Kopf zurück und beginnt laut "Under the Canopy of God" zu singen. Die Gemeindemitglieder greifen zu Tamburinen, ein paar Frauen bewegen sich rhythmisch auf die Bühne zu. Bald ist der ganze Saal in Bewegung: Einige Klatschen im Takt, andere tanzen auf ihren Plätzen.

Der Rhythmus beschleunigt sich, die Stimmen werden lauter, der Tanz wird ausgelassener, vor der Bühne sammeln sich immer mehr Gläubige, eine Conga wird durch die Reihen gereicht. Eine Frau fällt auf die Knie und singt zu Gott, auf dass er ihr Sicherheit gebe. Es ist laut, und die Stimmung ist ansteckend fröhlich.

"Während der Messe wird viel gesungen und getanzt", erklärt Martina Offeh. Die junge Ghanaerin hat Glück: Ihre Gemeinde feiert regelmäßig in einer richtigen Kirche im Stadtteil Horn, erzählt sie, während sie weiter Pullover faltet. Im Bekleidungsgeschäft jobbt sie, bis sie ihr Studium aufnimmt. In traditionellen Gewändern und feinen Anzügen trifft sich ihre Gemeinde vor der Kirche zum Kaffee.

Nach dem Einstiegsgesang wird gepredigt, laut, spontan und durch Lobeslieder unterstützt. Manchmal feiern sie auch Taufen in dem dazugehörigen Partyraum: "Da kann das schon mal lauter werden. Da haben sich dann schon Nachbarn beschwert", sagt Offeh.

Auch Apostel Siriboe in Altona erzählt von verständnislosen Nachbarn: "Sie haben sogar die Polizei gerufen." Das sei auch einer der Gründe gewesen, warum sich seine Gemeinde von der evangelischen Kirche St. Trinitatis getrennt hat. "

Die Wände müssten dicker sein", sagt Pastor Prince Ossai Okeke, der Vorsitzende des "African Christian Council Hamburg", in dem rund 50 Gemeinden organisiert sind. Okeke und Siriboe sind Freunde, und sie arbeiten zusammen.

Mit seinen Fingern zieht Siriboe unsichtbare Fäden aus einem imaginären Buch, als er den Unterschied zwischen einem Apostel und einem Pastor erklärt. "Der Pastor holt die Lehre aus der Bibel. Er erklärt sie und übersetzt sie.

Er predigt sie, er steht in der Kirche und bringt sie der Gemeinde." Siriboe breitet seine Arme aus und drückt die Luft gen Boden. "Der Apostel: Er verbreitet sie. Er baut neue Kirchen, er bringt die Lehren unters Volk. Er wandert durchs Land."

Als er in Deutschland angekommen sei, erzählt Siriboe, habe ihn der Anblick von Hamburgs zahlreichen Kirchen glücklich gestimmt. Für ihn sind Kirchen Symbole Gottes, darum findet er es traurig, dass viele von ihnen immer öfter leer stehen und dass sie abgerissen, verkauft oder umgewidmet werden.

Dem vielerorts drohenden Leerstand zum Trotz: Mit offenen Armen empfangen die deutschen Kirchen ihre afrikanischen Glaubensbrüder nicht gerade. Anna Boakyes Gemeinde etwa muss den Großteil ihres Gemeindelebens in eher versteckten Räumlichkeiten im Stadtteil Veddel abhalten.

Offehs Freundin wiederum geht zwar sonntags zum Gottesdienst in eine richtige Kirche, aber alle sonstigen Aktivitäten müssen beider Gemeinden in Ausweich-Stätten abhalten: Unter der Woche trifft man sich ebenso zum Gebet wie nach der Kirche zur Sonntagsschule. Einmal im Monat gibt es dann an einem Freitag die "All Night". Sie beginnt um 23 Uhr und endet meist erst am nächsten Morgen - eine Nacht lang singen, beten, tanzen.

Pastor Michael Fridetzky von der Trinitatis-Kirche begründet die Trennung von der Bethel Prayer Ministry mit Platzmangel: "Seine Gemeinde wurde größer, sie machen auch viel Jugendarbeit, haben eine Sonntagsschule." Die Bedürfnisse der afrikanischen Gemeinde sei mit den eigenen Messen und Veranstaltungen kollidiert, erzählt Fridetzky.

Aber es hapere auch an Pünktlichkeit und Ordnung: Gottesdienste seien auch schon mal überzogen worden, besonders "nachts wurde in einer ziemlichen Lautstärke gefeiert", sagt Fridetzky. Andererseits sei der Glaube der Afrikaner wiederum sehr streng: Bei einer Kunstausstellung im Kirchengebäude seien einmal "ein paar Aktbilder" ausgestellt gewesen, erzählt der Pastor. "Die wurden von ihnen mit Decken verhängt."

"Die eigenen Räume sind auch ein Stück mehr Identität für sie", sagt Fridetzky, außerdem feiere man an Weihnachten und anderen hohen Festtagen zusammen. Apostel Siriboe dagegen bedauert die Abgeschiedenheit seiner neuen Räumlichkeiten: "Wir brauchen Hilfe", sagt der Apostel.

Beim Weggehen ist die Geräuschkulisse der Sonntagsmesse noch eine ganze Weile zu hören, klingen die Trommeln der feiernden Pfingstler durch die kleine Sackgasse. Die anderen Firmengebäude wirken verlassen. Es ist Sonntag - da rollt kein Lastwagen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.