Der Antizionist

Jazzmusiker, Romanautor und politischer Provokateur: Gilad Atzmon plädiert für die Abschaffung des Staates Israel. Dass er dabei zum Kronzeugen für Holocaust-Leugner wird, nimmt der bekennende Linke in Kauf

„Ich terrorisiere sie mit meiner Musik“, hat Gilad Atzmon einmal gesagt. So bekannt derlei vollmundige Posen sein mögen: Atzmon, Anfang 40, klein, kräftig und mit einer Tendenz zum Stiernackigen, ist nicht eben das, was findige Produktmanager sich für ein jugendliches Publikum ausdenken würden.

Dabei kann er ja auch Pop: Gespielt hat der 1963 in Jerusalem geborene Saxophonist und Klarinettist, der seit gut zehn Jahren im selbst gewählten Londoner Exil lebt, schon für Paul McCartney und Robbie Williams, war irgendwann Teil von Ian Durys Blockheads. Neben solchen Broterwerbsjobs ist seine eigentliche Leidenschaft der Jazz: Nach diversen Formationen steht er seit einigen Jahren dem Orient House Ensemble vor.

So hoch gelobt der hybrid-dekonstruierte Ethno-Jazz dieser Formation ist, ihre ironischen Folklore-Versatzstücke und Atzmons „heiseres Coltrane-Brüllen“ (The Guardian): Nicht zuletzt ist es sein nichtmusikalisches Schaffen, das Atzmon zu einer gewissen Prominenz verholfen hat – wenn auch einer reichlich kontroversen.

Das geht schon los mit dem Namen seiner Band: „Orient House“, das meint hier keine Dancefloor-Variante mit für des Westlers Ohr exotischen Soundsamples, sondern leitet sich direkt her von der einstigen Residenz des PLO-Führers Jassir Arafat; eines Gebäudes, das immer wieder ein Stolperstein war für die Beziehungen zwischen den Palästinensern und der israelischen Regierung.

Die ist gemeint in Atzmons eingangs zitierten Sentenz: „Sie“, die er zu terrorisieren trachtet, das ist der Staat Israel – nicht nur seine Regierung, gleich seine ganze Existenz. Als glühender Antizionist nämlich begreift sich der einstige Wehrpflichtige Atzmon, seit er 1982 aus dem Libanonkrieg zurückkehrte. Die israelische Palästinenserpolitik vergleicht er – umso lieber vor deutschen Auditorien – unbekümmert mit der Rassenpolitik des „Dritten Reiches“ und gefällt sich überhaupt darin, das zu bezweifeln, was er als „offizielles Holocaust-Narrativ“ bezeichnet. Da ficht ihn auch nicht an, wenn bekennende Shoah-Leugner ihn – den Israeli, der ausspreche, was auch einmal gesagt werden müsse – zum Zeugen für ihre Geschichtsklitterung machen: Auf Nachfrage hält er etwa den Umstand, dass der zurzeit in Deutschland vor Gericht stehende Ernst Zündel einige seiner Pamphlete vertreibt, für den Ausweis einer freien, unreglementierten Debatte.

Zuhause in England entfachte der erklärte Linke Atzmon deswegen erbitterte Kontroversen, wurde ihm „jüdischer Selbsthass“ und Ärgeres bescheinigt. Hierzulande dagegen wird über seine politischen Inhalte meist generös hinweggesehen: Da ist dann vom „engagierten Querdenker“ die Rede, aber rasch spricht man dann doch lieber von seiner Musik oder seinen grotesken Romanen, deren zweiter unlängst bei der Hamburger Edition Nautilus erschienen ist. Vor den verbalen Attacken des Tabusurfers Atzmon werden aber auch Konzertbesucher sich selten sicher wähnen dürfen.

Gilad Atzmon & The Orient House Ensemble: Sa, 26. 11., Delmenhorst, Kleines Haus; Mo, 28. 11., Hannover, Jazzclub