Katha Schultes Erstlingswerk "Unwesen": Schweineherz, Schweinsherz und die Seele

Ein Anti-Pop-Roman ist Katha Schultes Debüt "Unwesen" nicht. Eher Literatur, die nicht ganz zufällig im subkulturellen Milieu Hamburgs spielt - und versucht, das Verhältnis von Mensch und Tier aufs Neue zu ermessen.

Wissenschaftlich geschulter Blick auf das Draußen: Katha Schulte in ihrer Altonaer Fabriketage. Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Im Buchregal von Katha Schulte stehen ein Thesaurus der exakten Wissenschaften, mehrere Wörterbücher sowie ein paar Titel medizinischen und zoologischen Inhalts. Der große, mit hellem Holzfußboden und einer Panorama-Fensterfront sehr wohnliche Raum im obersten Stock eines alten Fabrikgebäudes in Hamburg-Ottensen, bietet Raum für mehr als nur ein Bücherregal. Zumindest gibt es noch ein paar Sideboards, die mit Büchern, Vinyl-Schallplatten, Zeitschriften, Kunstkatalogen und Papieren jeglicher Art gefüllt sind.

In ein und demselben Haufen findet man hier zum Beispiel "Plato and a Platypus Walk into a Bar: Understanding Philosophy Through Jokes" als handliches Taschenbuch für unterwegs, darunter liegt "Die molekulare Invasion" des Critical Art Ensemble und der Band "Unfolding Perspectives: Beyond Identity - and beyond", Untertitel: "A dialogical discourse on the nature and intricacies of cultural exchange and knowledge transfer".

Mit der Arbeit an "serious stuff" wie dem letzteren verdient Katha Schulte ihr Geld als Text-Arbeiterin. Und wenn sie an ihrem Schreibtisch arbeitet, hat sie das eine, eingangs erwähnte Bücherregal genau im Rücken. Wer etwas genauer hinsieht, findet dort die deutlichsten Spuren ihrer schriftstellerischen Tätigkeit.

Neben "Mein zweites Herz" ist es vor allem ein Buch, dessen Titel seinen Weg in ihren Debüt-Roman gefunden hat: "Der Geist der Tiere". Müsste man "Unwesen" in maximal zwei Begriffspaaren beschreiben, wäre eine aus dem Vokabular des Buches geschnitzte Lösung: Fleischzeit/Geistzeit und Herz/Tier.

Als ich Katha von meiner Schnapsidee erzähle, "Unwesen" als eine Art Anti-Pop-Roman feiern zu wollen, versteigen wir uns in eine längere Hassrede über die Unsinnigkeit von Begriffen wie Pop-Kultur und Pop-Literatur, die zwangsläufig einer Abgrenzung von vermeintlich "echter", durchweg "höher" geschätzter Kultur beziehungsweise Literatur dienen müssen. Wäre "Unwesen" dann nicht doch, auf eine ganz perfide Art "Anti-Pop-Literatur" - als doppelte Verneinung? Die einfache Bejahung klingt sehr profan: "Unwesen" ist Literatur, ohne Einschränkungen.

Nur, dass die Geschichte eben in einem (sub)kulturellen Umfeld beginnt - einem Umfeld, das skrupellosere Chronisten gern der "Hamburger Schule" zuschreiben. In den Neunzigern gehörte Katha Schulte wie ihre namenlosen Protagonisten zu den konstitutiven Nachteulen, die den Kiez und generell die gesamte Hafengegend für sich und ihre Belange entdeckt hatten.

Eine, trotz anschließender Gentrifizierung, fruchtbare Entwicklung, die ihr steinernes Denkmal in Form des Golden Pudel Club gefunden hat. Es gab keinen besseren Ort für die erste Hamburger "Unwesen"-Lesung. Hinzu kommt, dass es für Katha Schulte "ein gutes Gefühl ist, auch mal etwas zurückgeben zu können".

Der Club, der momentan in den Web-Suchmaschinen mit dem Satz "Willkommen in der Elbphilharmonie der Herzen" für sich wirbt, war an dem dunklen, kalten Dienstagabend ihrer Lesung, irgendwann Ende des vergangenen Jahres, gut gefüllt. Ein Heimspiel. Die anwesende, lokale Prominenz legte Kalauer über ein Klassentreffen der "Hamburger Oberschüler" nahe. Nach der Lesung gingen die viel gerühmten "Diskurse" in eine neue Runde, alles war beim alten.

Fast konnte sich der Eindruck vermitteln, dass hier ein innerer Hipster-Zirkel seine Bienenkönigin feiern wollte. Aber die Wirklichkeit ist wie so oft viel komplizierter. Für jedes Ja kennt Katha zwei Neins, für jedes "vielleicht" ein "auf gar keinen Fall!"

Einem komplexen Buch wie "Unwesen" mit dem bedenklichen Prädikat Anti-Pop-Literatur beikommen zu wollen, war nur ein kläglicher Versuch, so etwas wie Aufmerksamkeit zu forcieren. Es ist schwierig, Menschen an dieses Buch heranzuführen. "Jaha, finde ich auch", sagt Katha Schulte lachend. "Allein wie lange ich damit Schwierigkeiten hatte, zu sagen, worum es geht.

Es war für mich auch ein Problem, mit dem Buch an Verlage heranzutreten, ein Exposé zu schreiben - genau aus diesen Gründen." Inzwischen hat sie sich etwas zurechtgelegt. Das hat aber etwas gedauert, weil sie sich dieses "Handgreifliche" selbst herausarbeiten musste. "Also: Was passiert da eigentlich? Warum geht die in den Zoo? All das. Das kann man dann auch benennen - aber das ist eben auch nur ein Teil des Buches."

Der andere Teil des im noch jungen aber schon verdienten Hablizel-Verlag erschienen Buches ist unbeschreiblich. Zum einen, weil uns die Worte fehlen, zum anderen weil man nicht zu viel preisgeben möchte. Formal verrät "Unwesen", als innerer Monolog angelegt, dass hauptsächlich die Psyche spricht. Dem gegenüber steht das Fleisch mit all seinen Konnotationen und seiner Begrifflichkeit.

Man muss Katha Schulte nur dabei zuhören wie sie zwischen Schweinsherzen (Kilopreis 1,79 Euro) und Schweineherzen (Kilopreis 17.900 Euro) unterscheidet, um sich gewiss zu sein, das hier jemand mit größter Sorgfalt seine Worte sucht, findet und an die richtigen Stellen setzt. Manchmal in interessanten Wiederholungen, kleinen Ellipsen gleich kreisend … Eine Kostprobe der leichteren Art:

Die Familie des Menschen, wo habe ich das nur gehört? Die Familie des Menschen: Tiere, Pflanzen, Mikroorganismen , allesamt des Menschen Cousins und Cousinen oder entfernte Verwandte, sie alle Teil eines einzigen, sich verzweigenden und in Evolution begriffenen Stroms von Protoplasma, das sich stetig wandelt - Worte eines hoch verdienten Biologen, lang ist das her. Gleich viel, die Familie des Menschen glaubte so wenig an mich wie ich an sie.

Später irren wir als Leser zusammen mit der namenlosen Ich-Erzählerin über das labyrinthische Gelände des Universitätskrankenhauses Eppendorf (UKE), das sich immer mehr zum Zentrum des, ja, Geschehens entwickelt. Aus diesem Teil, dem "unbeschreiblichen", zitieren wir lieber nichts. Als Katha Schulte bei einer weiteren Lesung, in der Nähe des UKE, nur wenige Seiten der Herz-Geschichte vortrug, reagierte das Publikum doch extrem zurückhaltend.

Sicher, Eppendorf ist mit seinen vielen Klein- wie Großbürgern ein schwieriges Pflaster, aber war es wirklich so schlimm? "Naja," schmunzelt Katha Schulte, "das Thema Herz-Transplantation ist auch sehr tabuisiert - zumindest haben wir danach kein einziges Buch verkauft."

Okay, "Unwesen" ist vielleicht kein Anti-Pop-Roman, aber würde es verdienen, sich besser zu verkaufen als das Lebenswerk von …, als das Lebenswerk eines x-beliebigen Populisten. Belassen wir es dabei.

Unwesen, Katha Schulte, 152 Seiten, Hablizel Verlag, 16,90 EUR

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