Letztes Album von The Streets: Das Milchgesicht

Mike Skinner geht in Frührente. Sein finales Album "Computer and Blues" gerät zum halbherzigen Abgesang – der interaktive Promo-Film ist aber amüsant.

Szene aus dem interaktiven Promo-Film von Mike Skinner - nach der Wahl von "smoke 6 tabs to the nub". Bild: screenshot/youtube.com

Mike Skinner döst in seinem Bette. Bis ihn plötzlich der Song "Trust Me" aus seinem Handy weckt. Mit "Trust Me" zieht uns das britische Milchgesicht wieder einmal in ein Universum der Alltagsbanalitäten hinein.

Der im Internet abrufbare Promo-Film zum fünften und letzten The-Streets-Album "Computer and Blues" hält folgende Wahlmöglichkeiten parat: Die Snooze-Taste drücken, aufstehen und Nahrung aufstöbern. Oder einfach das Handy abschalten und weiterpennen. Je nachdem, welche Option angeklickt wird, lässt sich Skinners Tagesablauf mitbestimmen, von den anderen Songs aus "Computer and Blues" umspielt. Wenn man von diesem unterhaltsamen Gimmick auf das eigentliche Thema, die Musik des mutmaßlich letzten The-Streets-Albums kommt, wirkt das Songmaterial seltsam inkohärent. "Computer and Blues" setzt einen mäßig inspirierten Schlusspunkt unter eine insgesamt äußerst erfolgreiche Karriere.

Drückt man die Rewind-Taste, landet man im Jahr 2002, als Skinners Debütalbum "Original Pirate Material" erschienen war. Damals jubilierte die Musikpresse über den eigenständigen, von The Streets eingeleiteten UK-HipHop, der ganz ohne Gangster-Image auskam. An der Schnittstelle von Garage und Grime sang ein Burberry-Hut-tragendes Bürschchen in breitem Essex-Akzent übers Mädels, Pints, Joints, Computerspiele und andere Accessoires.

Der Output von The Streets wurde mit dem Filmwerk von Regisseur Ken Loach verglichen. Beide hätten Karriere gemacht, mit den Wehwehchen der englischen Arbeiterklasse eine gelangweilte Mittelklasse zu unterhalten. So wurde The Streets nebenbei zum Steckenpferd von Indiekids, bevor Skinner, beginnend mit dem zweiten Album "A Grand Dont Come For Free", tatsächlich im Mainstream-Pop landete. Und sei es nur als großflächige Werbung auf den roten Londoner Doppeldeckerbussen - der englische "Geezer", der straßenschlaue Trickser, hatte nun (s)ein Gesicht!

Ein Mangel an Authentizität ist das Letzte, was man Mike Skinner in seiner erfolgreichen Nuller-Dekade als The Streets vorwerfen kann. Und doch ist das Ende für den 32-Jährigen beschlossene Sache. Nach dem Imagewandel vom Geezer zum Parvenü (auf dem dritten Album "The Hardest Way To Make an Easy Living") und weiter zum nachdenklichen Kurzzeit-Aussteiger (auf dem vierten Album "Everything is Borrowed"), hat Skinner seinen Plattenvertrag mit "Computer und Blues" nun erfüllt. "Damit habe ich angefangen, mich zu wiederholen", erklärt Skinner in einem entwaffnend ehrlichen Interview im Guardian.

"Computer and Blues" war als dunkles Ravespektakel angekündigt. Jedoch finden sich mehr Tracks mit Anleihen von Lounge, Rock, Disco und Soul auf dem Album. Auch lässt sich Mike Skinner bei seinen sympathisch-schnoddrig vorgetragenen Vocals von stimmgewaltigeren Sängern unter die Arme greifen. Aber dieses Mal ist das Aufmotzen seines Gesangs bis zur Schmerzgrenze ausgereizt.

Die Single-Auskopplung "Going Through Hell" gerät zur prollig-rockigen Muskelshow mit einem furchtbar überzeichneten Gesangspart von Robert Harvey. Zu einem ähnlichen Fehlgriff gerät der Song "We Can Never Be Friends", der thematisch an einen der erfolgreichsten The-Streets-Songs, "Dry Your Eyes", anknüpft. Skinner wäre aber kein Geezer, schüttelte er nicht wieder Gassenhauer aus seinem Fred-Perry-Pulloverärmel. Songs jener unverwechselbaren Handschrift, mit denen der Frührentner auch zum Finale noch problemlos neue Fans gewinnen könnte: Der mitreißende Auftaktsong "Outside Inside" ist so ein Kandidat und die Single-Auskopplung "Trust Me", bei denen Mix-Master Mike Skinner ein glückliches Händchen für beschwingte Beats zeigt.

In der Chronologie von The Streets hat "Computer and Blues" also kein Alleinstellungsmerkmal aufzuweisen, höchstens lädt es zum Durchzappen ein. Denn konsequenterweise hat Skinner, der moderne Technik in jedem Stadium seiner Karriere gewinnbringend anwendete und sein neues Album aus Vermarktungsgründen relativ lange zurückgehalten hat, für den kostenlosen Stream freigegeben. "Even though to most it looked random, my heart had left," sinniert Mike Skinner im letzten Song "Lock The Locks". Und während bei seinen Fans die Zeichen nun auf Blues stehen dürften, legt Mike Skinner ganz unsentimental noch eines drauf und stellt seine Nebenbeschäftigung als Talentscout unter Beweis: Seine hingerotzten Mixtapes "Cyberspace and Reds", die junge HipHop-Künstler featuren, gingen zwei Wochen vor dem Veröffentlichungstermin von "Computer and Blues" ganz offiziell und umsonst online.

The Streets: "Computer and Blues" (679/Warner Music)

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