die wahrheit: Weltmanns Ansichten

Wohnen mit Möbeln: Walter Benjamin hat es in seinem grundlegenden Essay zur Wohnkultur einmal zutreffend analysiert: "Denkstrukturen sind unwichtig...

... Entscheidend ist der Weg vom Mundwinkel zur Essecke." Seitdem hat sich das moderne Wohnen entscheidend verändert. Folgte es inhaltlich und formal zunächst der unbedingten Maxime des "Jeder ist sein Sofa" (Kierkegaard), suchte es seine Daseinsbegegnung nun gemäß der berühmten Filmparabel "M - eine Stadt sucht neue Möbel".

"Eine schöne Wohnung bleibt immer eine Illusion. Trotzdem hilft es, sich eine Vorstellung von ihr zu machen", bekannte Fernsehstar Uschi Glas einst bei der Eröffnung des "Museums für die Wirklichkeit von Standleuchten, wenn man sie verkehrt herum hält" in Pinneberg. Uneingeschränkt gilt heute: Scheiben, die bleiben, garantieren angenehmes Wohnen, Sideboards und Ablagetische sind wie Brüder, aber stark verfeindet, die Wohnwelt insgesamt ist mehr als ein "Jesus liebt dich"-Ess-Set.

Aber Experten warnen: Tradition ist nur die Illusion von Permanenz, Metaphysik nicht immer ein bewährtes Bindemittel und Melancholie auch nicht immer schlank. Sicher ist nur: Mahagoni-Dielen sollte man nie in Gegenrichtung wischen! Diese Erkenntnis gilt aber nur bedingt für Raffhalter handbetriebener Gardinensysteme.

Keiner weiß, wie eine Wohnung aussieht, die er nicht eingerichtet hat. Trotzdem bleibt die Käseplatte immer auch eine Gegenthese, sei es zur gedrängten klassischen Kommode oder dem hochragenden Schuhschrank in der Diele. Kopfkissen ereilt dagegen schnell die Beliebigkeit von Handschuhfächern, Rollcontainer wirken ungemütlich, wenn man sie als Durchreiche benutzen will, und Sessel sind halt Sessel. Das musste schon Günter Grass erkennen, nachdem er sein Wohnzimmer nicht mit Polstermöbeln, sondern Elektrogroßgeräten ausgestattet hatte.

Die Wirklichkeit ist oft kleiner als die Welt. Als bestes Beispiel hierfür kann ein Kühlschrank gelten oder auch eine ausklappbare Bettcouch im Gästezimmer. Trotzdem steht keiner gern in einem Übertopf oder dient der Kleinteilaufbewahrung. Wohnen bedeutet, den Menschen nicht zu vergessen. Dazu dienen auch Spannbettlaken, Beistelltischchen oder Haustüren, die sich schließen lassen, wenn man es gerade will.

Wer seine Essecke dagegen in Form von Durchkreuzungszwillingen aus regelmäßigen Pentagondodekaedern umwandeln will, sollte bedenken, dass Ikosaeder zum Dodekaeder duale Polyeder sind (und umgekehrt) und in dieser Form kaum von Mundwinkeln nachgebildet werden können, auch wenn sie eine selbstähnliche Struktur bilden. Das ändert sich selbst dann nicht, wenn man statt der Essecke Tischservietten mit Rautenmuster nimmt.

Schon Aristoteles erkannte, dass die sich selbst herstellende Wohnung nur ein Ausdruck des alten Menschheitstraumes ist, etwas zu besitzen, ohne dafür fristgerecht Miete zahlen zu müssen. Merke: Ein wenig ist auch etwas. Das gilt für Sitzhocker und Stehtische genauso wie für unwirkliche Standleuchten.

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kari

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