Bäume sind die Schwestern des Menschen

KUNST DES ORIENTS Der berühmte Filmemacher Abbas Kiarostami und der Bildhauer Parviz Tanavoli stellen in Dubai neueste Werke aus. Zwei prominente Beispiele für die inhaltliche und formale Qualität iranischer Kunst und ihrer Auseinandersetzung mit sozialen Realitäten

VON GISELA FOCK

Zwei gefeierte iranische Kulturschaffende, der Filmemacher Abbas Kiarostami (geb. 1940) und der Bildhauer Parviz Tanavoli (geb. 1937), zeigen ihre neuesten Werke in der Meem Gallery in Dubai. Zur Eröffnung fand sich ein arabisches sowie international zusammengesetztes Publikum ein, das an diesem Abend gerne kaufen wollte. In einer einfachen Lagerhalle zeigte der Galeriebesitzer Charles Pocock die großflächigen Fotografien Kiarostamis und Tanavolis goldfarbenen Bronzeskulpturen.

Kiarostamis Bilder haben überwiegend typisch iranische Motive zum Inhalt, Landschaftsbilder in Schwarzweiß, die mit leichter Melancholie die Weite und Unberührtheit des Landes eindrücklich widerspiegeln. Der Filmemacher, der seit einigen Jahren auch einen Ruf als herausragender Fotograf genießt und dessen Arbeiten Teil berühmter Sammlungen wie dem Viktoria and Albert Museum in London sind, fasste seine Motive als künstlerische Sujets auf, indem er die Steppe, die Wälder Luristans und das dramatisch aufragende Elburs- und Sagros-Gebirge in grobkörnige, fein abgestimmte Grauflächen auflöste und stilisierte.

Darstellungen des Nichts

Neben diesen auf Leinwand belichteten Fotografien leuchteten Tanavolis blank polierte Plastiken, in denen er sich mit dem Nichts, persisch Hitsch, auseinandersetzte. Zur Darstellung dieses bedeutungsschwangeren Begriffs wählte er die arabisch kalligrafische Form des Wortes und stellte sie dreidimensional dar. In den rund dreißig ausgestellten Werken leuchtete er in einer semiabstrakten Formensprache die Vieldeutigkeit des Nichts aus: Hierbei ging es ihm um eine kreativ zu füllende Leere, die Trauer um einen Verlust ausdrückt, sufische Gedankengänge umfasst und Voraussetzung für einen Neuanfang sein kann.

Beide Künstler waren anwesend und standen den Fragen der Ausstellungsbesucher zur Verfügung. Spürbare Begeisterung und Zustimmung bei der Eröffnung zeigten einmal mehr, wie viel Interesse international dem iranischen Kunstschaffen entgegengebracht wird. Erstaunlich mag man denken, denn kaum ein Land erfährt weltweit so viel Kritik für seine Politik, seine Despotie, Frauenunterdrückung und atomare Aufrüstung. Und gleichzeitig erlebt kaum eine Kunstszene international so viel positive Aufmerksamkeit – ein Widerspruch, der auf die große inhaltliche und formale Qualität der iranischen Kunst verweist. Entsprechend interessiert sich auch der Mittlere Osten mehr und mehr für moderne orientalische Kunst; an vorderster Stelle steht Dubai, wo im März 2010 die Ausstellung „Iran Inside Out“ in der Farjam Collection/Hafiz Foundation mit 56 Gegenwartskünstlern stattfinden wird.

Der aus Großbritannien stammende Charles Pocock hat das richtige Konzept für die Präsentation solcher Kunst gefunden, die er im luxusverwöhnten Dubai ganz unprätentiös ausstellt. Begleitend zu den Ausstellungen veröffentlicht seine Galerie umfangreiche Publikationen, in denen Kunstkritiker und -historiker sowie die Künstler selbst zu Wort kommen. Aus Anlass dieser Ausstellung erscheint etwa im Januar eine Monografie zu Tanavolis Kunst, im Frühjahr erschien bereits zur ersten Ausstellung Kiarostamis bei Meem der Kunstbildband „Crows and Trees“.

Aus der anderen Welt

Wer die Ausstellungen nicht besuchen kann, dem bieten die Publikationen einen Einblick in das Kunstschaffen Kiarostamis und Tanavolis und eine mögliche Erklärung für ihren unglaublichen Erfolg: Die zeitgenössische iranische Kunst, die eine eigene, sich unterscheidende Kategorie in der modernen Szene bildet, erzählt aus einer anderen Welt.

Die Geschichten handeln von Persönlichkeiten, von Begebenheiten und von sozialen Realitäten aus dem Iran. Mit der Verwendung moderner Stilmittel ist die iranische Kunst grenzüberschreitend. Tanavoli spricht in den über 40 Jahren seines Schaffens von tiefgreifenden Emotionen, die die Bandbreite von gescheiterter Liebe und Tod bis zum Vaterglück umfassen, universale Themen, die er vor seinem iranischen kulturellen Hintergrund erklärt und damit gleichzeitig aus seinem Land erzählt.

Kiarostami, der gefeierte iranische Filmemacher mit internationaler Reputation, erzählt wie Tanavoli Episoden, die in der iranischen Geschichte und Tradition verwurzelt sind. Kiarostami zeigt Ausschnitte aus der iranischen Landschaft, manchmal sind in ihr reisende Menschen, alleinstehende Bäume oder einsame Wälder zu erkennen, oft umgeben von einer große Weite, die von den Gebirgen des Landes geprägt wird. In einem Gespräch erklärte Kiarostami, dass ihn zu den immer wiederkehrenden Motiven „Baum“ die Beschäftigung mit dem islamischen Mystikern Ibn al-Arabi (1165–1240) angeregt hätte, dem Bäume in Gestalt und Bedeutung wie Schwestern des Menschen erschienen seien. Mit seinen modernen Stilmitteln, deren internationale Bildsprache grenzüberschreitend wirkt, gelingt es Kiarostami, diese Idee unmittelbar ins Heute zu übersetzen.

■ Bis 2. Februar, Meem Gallery, Umm Suqeim Road, Dubai, www.meem.ae