Umweltminister Röttgen und das Atom: Der Mann zum Abschalten

Beim Geheimvertrag zur Laufzeitverlängerung wurde Norbert Röttgen von seinen Parteifreunden brüskiert. Dennoch könnte er seine rot-grünen Vorgänger übertrumpfen.

"Keine Lügen mehr" – Norbert Röttgen und die "Zeit". Bild: reuters

Er ist der Mann zum Abschalten. Er hat nach der Katastrophe in Japan als Erster aus der Bundesregierung reagiert und gesagt, es sei nichts mehr, wie es war. Und er hat gesagt: "Wir tun jetzt so, als hätte es die Laufzeitverlängerung nie gegeben" – Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, CDU-Mitglied, promovierter Jurist.

Plötzlich ging alles ganz schnell. In den letzten Tagen sind die sieben ältesten deutschen Atomkraftwerke vorläufig vom Netz gegangen. Vier bis fünf bleiben möglicherweise für immer abgeschaltet. Das wären mehr, als Röttgens Vorgänger Sigmar Gabriel von der SPD oder dessen Vorgänger Jürgen Trittin von den Grünen abgeklemmt haben. Norbert Röttgen kann zum Ausstiegsminister werden und so ganz nebenbei zu einem der mächtigsten Männer in der Republik - wenn er seinen Job besser macht als bisher.

Die Union müsse sich "gut überlegen, ob sie gerade die Kernenergie zu einem Alleinstellungsmerkmal" machen wolle. Das hatte Röttgen vor gut einem Jahr gesagt. Sein Parteikollege Stefan Mappus in Baden-Württemberg hatte ihm damals den Rücktritt nahe gelegt. Er sei "nicht mehr bereit, die Eskapaden des Bundesumweltministers zu akzeptieren". Andere Unionsgrößen und der Koalitionspartner wüteten ähnlich. Röttgen ist politisch klug genug, um sich jetzt nicht als Sieger zu geben. Er trumpft nicht auf. Er muss es auch nicht. Das machen schon andere für ihn. Die Dinge entwickeln sich.

Von Japan eingeholt

Tag eins nach der Katastrophe, Samstagmorgen vorvergangener Woche, Parteitag der nordrhein-westfälischen CDU in der Siegerlandhalle in Siegen - draußen demonstriert Greenpeace, drinnen macht Umweltminister Röttgen, der auch Landesvorsitzender der CDU in NRW ist, einen verbalen Spagat. Zunächst informiert er als Minister über die Lage in Japan. Dann eröffnet er als Landesvorsitzende den Parteitag und hält eine zweite Rede. Er arbeitet sich ab an der rot-grünen Minderheitsregierung in Düsseldorf, er drängt auf Neuwahlen und er erklärt die Staatsverschuldung zu der ökonomischen, politischen und moralischen Grundauseinandersetzung - als sei nichts gewesen.

Doch kurz darauf holen ihn die aktuellen Geschehnisse wieder ein. Am Mittag sieht sich Röttgen zu einer improvisierten Pressekonferenz gezwungen. "Die Anzeichen für eine Kernschmelze mehren sich", sagt er. Nachfragen von Journalisten, ob nun die deutschen AKWs auf den Prüfstand gehörten, kanzelt er als "völlig deplatziert" ab. Doch am Abend sagt er in den "Tagesthemen" bereits, die Ereignisse hätten bewusst gemacht, "dass wir eine andere Energieversorgung brauchen". Er hat begriffen.

Montag letzter Woche, Tag drei nach der Katstrophe, ein typischer Röttgen-Auftritt - gegen 18 Uhr steht der Bundesminister für Reaktorsicherheit perfekt gekleidet mit Krawatte, weißem Hemd und schmalem Anzug in seinem Ministerium in Berlin Mitte. Er trägt seit Kurzem eine neue Brille, er redet in die Kameras, über "ein Moratorium, ein Aussetzen, ein Innehalten als erster angemessener Schritt auf die Zäsur, die stattgefunden hat".

Herzen gewinnt er mit solchen Sätzen nicht, sie wirken nüchtern, umständlich, distanziert. Aber man versteht: Japan hat ihn verstört, er denkt neu nach. Und er demonstriert: Er ist derjenige, der Deutschland vor dem Restrisiko bewahren will. Denn er erklärt an diesem Abend auch, Neckarwestheim 1 gehe für immer vom Netz.

Für immer? Wenige Stunden zuvor, als Kanzlerin Angela Merkel und FDP-Vizekanzler Guido Westerwelle eine dreimonatige Aussetzung der AKW-Laufzeitverlängerung verkündetet haben, war davon noch keine Rede.

Am Dienstag sitzen dann fünf Unions-Ministerpräsidenten, Merkel, Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und ein entspannter Norbert Röttgen im Kanzleramt und erklären die weiteren Schritte: Sieben Reaktoren sollen vorläufig vom Netz. Da sagt die Kanzlerin den entscheidenden Satz: "Bundesumweltminister Röttgen spricht im Namen der Bundesregierung." Das hört sich nach Macht an, nach dem, woran es dem ehrgeizigen 45-Jährigen bislang mangelte.

Ein verkappter Grüner?

Röttgen ist seit dem schwarz-gelben Atomdeal im Herbst beschädigt, weil er sich gegen seine Gegner nicht durchsetzen konnte. Er galt damals als Atom-Aussteiger der Union, sogar als verkappter Grüner. Das war allerdings schon immer falsch.

Nur kurz bevor er 2009 Umweltminister wurde, schrieb Röttgen in seinem Buch "Deutschlands beste Jahre kommen noch": Das "Beharren auf dem isolierten nationalen Ausstieg aus der Kernenergie" erscheint "ebenso ignorant wie gefährlich". Als er dann Minister wurde, baute er sein Ministerium rigoros um, setzte den früheren Atomlobbyisten Gerald Hennenhöfer als Leiter der Atomaufsicht ein. Der Grüne Wolfgang Renneberg musste seinen Platz räumen, heute ist er im Fernsehen, im Radio und in Zeitungen als Nuklearexperte gefragter denn je.

Röttgen wollte es nie beim rot-grünen Gesetz belassen, das vorsah, bis 2022 alle Atomkraftwerke abzuschalten. Allerdings plädierte er für eine zusätzliche Laufzeit von maximal acht Jahren, eher von vier. Möglicherweise hat er in seinem neuen Amt schnell begriffen, dass Atomstrom die Leitungen für Ökostrom verstopft, dass zwar die vier großen Atomkonzerne Milliardengewinne machen, die Verbraucher aber keinen billigeren Strom bekommen. Er wäre damit seinen Parteikollegen voraus, überzeugen konnte er sie aber nicht.

Merkel legt für die 17 deutschen Atomkraftwerke im Schnitt 12 Jahre fest. Und als im Kanzleramt spät in der Nacht das Abkommen mit den Energiekonzernen unterzeichnet wird, ist Röttgen nicht mal mit dabei. Wenn er zuvor Fans unter den Atomkritikern hatte, verlor er sie spätestens dann: Plötzlich vertritt er vehement die Linie der Bundesregierung, verkauft sie als "weltweit einmaliges Energiekonzept" und beschimpft die rot-rot-grüne Opposition im Bundestag als "energiepolitische Blindgänger". Ihre Proteste seien "argumentationsloses Kampfgeschrei" und "reine Retroveranstaltungen". Nur fünf Abgeordnete der Union und drei der FDP stimmten gegen die Laufzeitverlängerungen. Röttgen gehörte nicht dazu.

Nach Japan sei nichts mehr so wie zuvor, sagen sie jetzt in der Union. Kann Norbert Röttgen seine Niederlage wettmachen, kann er wieder zu "Muttis Klügstem" werden? So haben sie ihn spöttelnd, aber auch bewundernd genannt - vor der Atom-Schlappe, vor der E10-Schlappe und vor dem Boykott der Kraftstoffsorte, der zehn Prozent Ethanol beigemischt sind, die aber nicht jeder Motor verträgt und deren Klimafreundlichkeit zudem umstritten ist. Röttgens Ökobilanz ist bislang wenig beeindruckend.

Der "Ein-bisschen-Mann"

Stefan Krug leitet die politische Vertretung von Greenpeace in Berlin. Er nennt Röttgen den "Ein-bisschen-Minister" - er "prescht immer ein bisschen vor, bekommt Gegenwind, wartet auf den nächsten Moment. Wenn der nicht kommt, passiert nichts." Bestes Beispiel: Nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko im vorigen Jahr kündigte Röttgen in einer ZDF-Talkshow ein Moratorium an, "eine Pause für neue Bohrungen".

Deutschland werde einen Antrag bei der Ministerkonferenz zum Schutz der Meeresumwelt des Nordost-Atlantiks (OSPAR) einbringen. Das kam im Haus von FDP-Wirtschaftsminister Brüderle jedoch nicht gut an. Die Folge: Deutschland forderte die Staaten nicht auf, den Bohrstopp zu verhängen, sie sollen ihn nur "intensiv prüfen".

Röttgens Mitarbeiter erzählen genervt, dass das Wirtschaftsressort Papiere stark umschreibt. "Brüderle ist ein Filou", sagte Röttgen, als dieser auch noch den E10-Gipfel an sich zog. Aber er ist für Röttgen mehr als das, er ist ein Störfall. Röttgen hat ihm bisher wenig entgegengesetzt, er hatte kein Projekt, für das er stand. Dabei scheut er keine Konflikte. Ihm wird nachgesagt, dass er kämpfen kann. Seine Gegner sagen, vor allem für sein eigenes politisches Fortkommen in der Union.

Im Herbst 2009 putscht er vergeblich gegen den Fraktionschef Volker Kauder, er wollte dessen Amt, nicht das Umweltressort. Im Herbst 2010 tritt Röttgen nach dem Ende von Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen gegen seinen langjährigen Freund Armin Laschet im Kampf um den CDU-Landesvorsitz an. Laschet hat die Nomenklatura der Landespartei hinter sich, Röttgen verspricht einen "Neuanfang" und gewinnt die Mitgliederbefragung mit 54,8 Prozent zu 45,2 Prozent deutlich.

Damit ist er auch der designierte CDU-Spitzenkandidat bei den nächsten Landtagswahlen. Wann die kommen, ist zwar noch offen. Bis vor einer Woche sah es so aus, als wollte Röttgen alles unternehmen, um in NRW schnell wählen zu lassen. Das sieht heute anders aus. Jetzt einen Landtagswahlkampf führen? Nichts könnte ihm ungelegener kommen.

Er hat zu viel zu tun. Er prescht vor. Freitag wird bekannt, dass er enorme Sicherheitsauflagen für Atomkraftwerke plane, die das Aus für die Reaktoren bedeuten könnten. In einer ZDF-Talkshow fragte er am Donnerstag: "Wie kommen wir schneller aus der Kernenergie heraus?" Er muss seine Glaubwürdigkeit retten, nur so kann er seine Chance auf den Posten des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen stärken. Sollte sich Röttgen mit seiner Position wieder nicht durchsetzen, wird seine politische Zukunft sehr begrenzt sein.

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