Auf Kreuzfahrt mit der "Aida Sol": Koloss der Spaßgesellschaft

Das neue Clubschiff der Aida Cruises hat seine Erstfahrt hinter sich. Mit an Bord der "Aida Sol": 200 Probepassagiere, sechs Models, reichlich Technik, die für Nachhaltigkeit sorgen soll, und noch mehr Ferienclub-Infrastruktur in knalligen Farben.

Bei der Ankunft in Hamburg scheint dann sogar mal die Sonne auf die "Aida Sol" herab. Bild: Jan Freitag

EMDEN taz | Das Wetter hat die Botschaft schon mal nicht verstanden. Dicke Wolken hängen über dem Norden, als die "Aida Sol" zum ersten Mal in See sticht. Am Ende eines sonnigen Frühjahrsmonats also zieht sich der Himmel zu über einem Schiff, das die Sonne nicht nur im Namen trägt, sondern im gesamten Wesen. Und dennoch: Es will und will nicht auflockern über Emden. Wenn das kein böses Omen ist für den Jungferntörn. Oder, genau umgekehrt, doch ein gutes Zeichen?

"Dann kann es ja nur noch besser werden", sagt Michael Thamm über einen Donnerstag, an dem das neueste Mitglied seiner Clubschiff-Flotte zur ersten Reise aufbricht. Mit geladenen Gästen an Bord fährt die "Aida Sol" von Emden aus die Küste runter Richtung Ostfriesische Inseln und über Hamburg nach Kiel, wo der häuserblockgroße Koloss in ein paar Tagen feierlich getauft werden soll.

Es ist der achte Luxusliner mit dem markanten Kussmund am Bug. Und wenn man dem Präsidenten der Aida Cruises, Sitz in Rostock, Glauben schenkt, dann ist es auch das modernste seiner Art: Ob Kraftstoffdurst, Schadstoffemissionen, Müllvermeidung oder Frischwassergewinnung - bei fast allen Umweltparametern pro Passagier liege der Ozeanriese von einem Viertelkilometer Länge am unteren, also ökologisch nachhaltigen Rand. Versichern wenigstens die Betreiber.

Die Papenburger Meyer Werft hat das Schiff "Aida Sol" für die Reederei Aida gebaut. Die beiden Unternehmen profitieren von der gestiegenen Nachfrage nach Kreuzfahrten.

Aida betreibt bisher sieben Schiffe, die fünf jüngsten bieten jeweils Platz für mehr als 1.000 Passagiere. Das Unternehmen will mit seinen Angeboten andere, breitere Urlaubergruppen ansprechen als die traditionellen Kreuzfahrtunternehmen, deren Angebote als Luxusurlaube gelten. Anbieter wie Aida versprechen, legerer und erschwinglicher zu sein. Aida gehört zu einem italienischen Unternehmenszweig des anglo-amerikanischen Kreuzfahrt-Konzerns Carnival Corporation. Der deutsche Hauptsitz ist in Rostock.

Die Meyer-Werft aus Papenburg an der Ems ist ein Familienunternehmen. Das Unternehmen baut seit Jahren Hochseeschiffe im Binnenland. Das Unternehmen mit seinen 2.500 Jobs ist in der Region ein wichtiger Arbeitgeber. Die Schiffspassagen locken Tausende an den Fluss.

Die Ems im Naturzustand ist zu flach für die bei Meyer gebauten Schiffe. Deshalb wird der Fluss immer wieder vertieft und aufgestaut - Umweltverbände kritisieren die ökologischen Schäden, die dadurch entstehen. Bei jedem Ausbauschritt gibt es politische Debatten, juristische Auseinandersetzungen und immer wieder Proteste. Die konsequenteste Lösung des Problems wäre ein Umzug der Werft an ein tieferes Gewässer.

Gut, es gebe selbstredend noch Nachholbedarf, verkündet Thamms Powerpoint-Präsentation zur Begrüßung im riesigen Theaterhalbrund auf Deck 9. Mehr als 500 Tonnen Wasserverbrauch am Tag zum Beispiel, das sei durchaus noch weiter reduzierbar.

Nitrat oder Phosphate klärt die bordeigene Anlage auch nur größtenteils heraus. Trotz wohlklingender Effizienztechniken von "Power Management System" über einen reibungsarmen Rumpfanstrich bis hin zu Niedrigenergiebirnen in jeder Lampe gebe es noch reichlich Sparpotenzial.

Und tief unten im Maschinenraum, wo kein ölverkrusteter Maschinist, ja nicht mal ein sichtbarer Tropfen Schmiere an die schmutzige Seefahrt von einst erinnert, da mag Chefingenieur Klaus-Dieter Tkotsch noch so beteuern, sein "Baby versorgt sich autark" - am Ende bleiben Kreuzfahrtdampfer eben doch Kreuzfahrtdampfer.

Kinder der Spaß- und Konsumgesellschaft nämlich. Mit erheblichem Ressourcenaufwand fürs reine Vergnügen. Auf einem Untergrund zudem, der Effizienzdenken nicht aus altruistischen, sondern vor allem logistischen Gründen erforderlich macht.

Nicht zuletzt will so ein Schiff ja erstmal gebaut sein und treibt seine 80.000 PS auch nicht mit guter Laune an, sondern mit ziemlich viel Diesel. Die christliche Vergnügungsseefahrt ist also alles andere als umweltverträglich.

"Aber wir sind auf einem guten Weg", sagt Michael Thamm. Und jetzt, er spricht es so nicht aus, es ist ihm aber anzuhören: Schluss mit den Misstönen, hin zur Melodie des Stolzes. Es ist Zeit für die angenehmeren Dinge des Kreuzfahrerlebens.

Zum "Herrn Doktor" etwa. Seinen Stammgast scheint der Urlaubsanbieter fast umarmen zu wollen. "Der hat uns nach einer Fahrt mal einen siebzehnseitigen Erlebnisbericht geschrieben", erzählt Thamm. In so blumigen Worten, "da haben wir ihn zu dieser Fahrt eingeladen".

Und so kann der alte Akademiker das Angebot an Bord in einer Atmosphäre genießen, die es so nie wieder geben wird. Sieben Restaurants und zwölf Bars für ein Zehntel der künftig 2.000 Besucher zum Beispiel.

Alle einarmigen Banditen des Kasinos für sich allein, alle Verkäuferinnen in der Shopping-Mall. Oder drei Dutzend Trimm-dich-Räder. Dazu freie Sicht, wenn die Show-Band die beliebtesten Westernhagen-Hits interpretiert. Und natürlich auf den anderen Blickfang dieser Reise.

Denn auf Höhe der ostfriesischen Inseln geht es plötzlich um sehr lange Beine, sechs Paar davon, um genau zu sein. Die sollen nicht bloß Glamour auf ein Schiff bringen, sie dienen einer ernsten Aufgabe: Mit an Bord sind die fünf "Taufpatin-Kandidatinnen" fürs Finale am 9. April - mit Feuerwerk und Auftritt von 80er-Jahre-Popstar Kim Wilde.

Durch die elf zugänglichen der insgesamt 14 Decks werden die verbliebenen Bewerberinnen eines Online-Castings begleitet vom Model Jana Ina, die man, nun ja, auch nur bei deutlich erhöhtem Privatfernsehkonsum kennen muss: Bei Pro7 hat Ina mal ein Kind gekriegt, jetzt sitzt sie eben in der Tauf-Jury - neben Corny Littmann.

"Wahnsinn! Ganz toll" findet sie das Prestigeobjekt der Papenburger Meyer-Werft. Auch Carolin, Bettina, Ayla, Ramona, Anna, die meist jungen, sehr adretten Bewerberinnen um den wichtigsten Flaschenwurf der Nautik, kennen ihre Mission: Begeisterung schaffen! Pflichtbewusst stürmen sie an Deck, als das älteste Schwesterschiff, Baujahr 1996, backbords grüßt. Jubel, Trubel, Corporate Identity.

"Wie es wohl wäre, wenn sich mal alle Aidas treffen", fragt ein Passagier mit bayerischem Akzent am üppigen Abendbüffet. Eher chaotisch, sollte er alle 300 Kreuzfahrtschiffe weltweit meinen; vor allem bunt, geht es ihm nur um die Aida-Flotte: Gedeckte Töne scheinen tabu, es knallt in pink, grün, lila, gern alles zusammen.

Und es ist laut: Durch die endlosen Flure entlang der 1.097 Kabinen weht unentwegt das Beste der 80er, 90er, Nuller. Auf der Bühne gibts ein Elvis-Musical, Ruhezonen sind rar.

Nicht jedermanns Sache. Aber 511.400 Flottengäste im vergangenen Jahr werden den schwimmenden Ferienclub mit seinen Daddelhallen und Kinos, Sonnendecks und Gemäldegalerien nicht unter Zwang gebucht haben.

Und Fans kriegen auch auf der "Aida Sol", wonach ihnen begehrt: Entertainment, Seeluft, ein Gefühl von Exotik. All-Inclusive. Und am Morgen grüßt Hamburg sogar mit Sonnenschein. Ein gutes Omen.

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