Lehrerprotest in Berlin: Lehrer trauen sich auf die Straße
Während der Schulzeit demonstrieren 6.000 Lehrer für Altersteilzeit und weniger Unterricht für ältere Kollegen. Der Senat zeigt kein Verständnis und droht mit Sanktionen.
"Hammerkrass. Guck mal, wie viele Lehrer - die müssen von allen Schulen gleichzeitig sein." Zwei junge Schülerinnen stehen staunend Unter den Linden. Mehrere Tausend Lehrer, viele mit Transparenten, ziehen vorbei und verbringen den frühen Nachmittag mit Streik statt Schulstunde. Aus Grundschulen, Gymnasien, Berufsschulen, Förderzentren, allen Teilen der Stadt sind sie gekommen. Beamte und Angestellte - trotz der Drohungen des Bildungssenators.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), bei der rund ein Drittel der 28.000 Berliner Lehrer organisiert sind, hatte für Dienstag fünf vor zwölf zum Arbeitsausstand aufgerufen. Ihre Forderungen: Eine Unterrichtsstunde weniger ab einem Alter von 55 Jahren und zwei Stunden Entlastung ab 60, dazu die Wiedereinführung der Alterteilzeit. Entsprechende Regelungen gibt es laut GEW in allen Bundesländern, in Berlin wurden sie vor einigen Jahren abgeschafft.
"Das ist das erste Mal, dass ich für mich streike", sagt Margrit Dahms-Frobel. Die 62-Jährige unterrichtet an der Lauterbach-Schule, einem Förderzentrum in Reinickendorf. An diesem Dienstag hat sie sich ein Transparent um den Hals gehangen und ist mit dem ganzen Kolleg samt Schulleiterin zur Demonstration gekommen. Die Schule haben sie halb 12 geschlossen.
Noch kurz vor der Demo hatte Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) wissen lassen, dass die Teilnahme am Streik für Angestellte und Beamte arbeitsrechtliche oder disziplinarische Folgen haben werde. Er sei überzeugt, "dass engagierte Lehrkräfte keinen Unterrichtsausfall zu Lasten der Erzieherinnen und Erzieher, Eltern und Schülerschaft in Kauf nehmen." Senatssprecher Richard Meng vermutete, es gebe auch in der Öffentlichkeit keine große Akzeptanz für die Forderungen der Gewerkschaft.
Zumindest von Schüler- und Elternvertretungen kam im Vorfeld indes klare Unterstützung. Und im Protestzug begleiten viele junge Lehrer ihre älteren Kollegen. Sie müssten es schließlich mittragen, dass die Älteren oft krank sind, ihnen vor Überlastung die Motivation verloren gehe, sagen zwei Lehrer der Kreuzberger Hector-Petersen-Schule, 34 und 29 Jahre alt.
Lärmend ziehen sie Unter den Linden entlang Richtung Alexanderplatz, am Rande bleiben Passanten stehen. "Die Beamten nutzen auch jede Möglichkeit, frei zu machen", ruft einer. Zwei Touristen schütteln die Köpfe: "Die Lehrer haben doch ständig Ferien und arbeiten nur 30 Stunden die Woche."
Es sehe halt keiner, dass es mit der Unterrichtszeit nicht getan ist, bedauert eine junge Lehrerin der Mercator-Grundschule in Lichterfelde. Zu der in den letzten 20 Jahren immer weiter erhöhten Zahl der Unterrichtsstunden kämen die samstäglichen Einschulungsfeiern, Klassenfahrten, die sie selbst bezahlen müssten, das Putzen der Klassenräume, die Aufsichts-, Korrektur-, Evaluations- und Vorbereitungszeiten. Ihre Kollegin hält ein Schild in die Luft: "Ich kann nicht mehr". Ja, das sei wörtlich zu nehmen, sagt die 57-Jährige. Nach zwei Knie-Operationen könne sie nur noch verkürzt arbeiten, komme manchmal kaum die vier Stockwerke der Schule hoch. "Mit dem Herzen bin ich noch dabei. Deswegen mache ich weiter." Über die Drohungen des Bildungssenators lachen sie und ihre Kolleginnen: "Was soll uns alten Leuten noch passieren?!"
Am Ende sind es 6.000 Lehrer, die laut GEW-Schätzung auf den Alexanderplatz strömen - 20 Prozent der Lehrerschaft. "Wenn das nicht reicht", sagt Gewerkschaftler Dieter Haase, "dann werden wir wieder streiken, aber nicht erst fünf vor zwölf."
Leser*innenkommentare
janaDeken
Gast
Die Schule hat es heute deshalb so
schwer, weil zu wenige eine gute Wissenschaft
betreiben, wie man heterogenen Gruppen
Unterricht mit maximalen Lernerfolg
und gesunder Sozialkultur beibringt.
Jeder glaubt, dass es nur an der Person des
Lehrers, den eigenwilligen Kindern oder
den Eltern oder dem Kultusministerium läge.
Es gibt, aber bis heute keine individualisierte
Klausurfestlegung.
Warum zum Beispiel sollte ein Kind nicht
dann die Prüfungen in einem bestimmten Fach innerhalb
eines Schulhalbjahres schreiben, wenn es
den Inhalt wirklich verstanden hat?
Warum sollten Kinder nicht im Orchester
Sozialkompetenz leben, anstatt diese auswendig
zu pauken.
Warum sollen Kinder alle Malstile kennenlernen,
aber keine 2 Malstile bis zur Perfektion
beherrschen?
Warum muss der LehrerIn zwingend die Identifikations-
figur mit einem Fach sein?
Warum werden die Lehrer nicht sozial
mit mehr Respekt behandelt, wenn wir unsere Kinder
ihnen anvertrauen?
Warum läßt man nicht mehr Wissenschaftler
Ergänzungsqualifikationen über Fernstudium erwerben,
um zeitlich begrenzt aktive Lehrkräfte (für 3-5Jahre)
mit im Boot zu haben? So mancher möchte
nicht sein Leben in einer Schule fristen,
aber seine Pflicht gegenüber der Jugend erfüllen
bei gleichen finanziellen Konditionen.
Warum behandeln sich LehrerInnen untereinander
so mies und mißgünstig?
Warum sind so viele LehrerInnen psychologisch so
inkompetent?
Warum wird nicht eine
konsequente Schwachpunktanalyse des Lehrmaterials
und Unterrichts durchgeführt?
Das Lehrmaterial sollte für die Leute mit
sehr schlechter Handschrift und für die anderen
sicherheitshalber nocheinmal auf pdf hinterlegt sein.
Formulierungen und Grafiken können noch
unmißverständlicher gestaltet werden ohne
nennenswerte Zusatzkosten zu bewirken.
Es könnte ein Basisskriptekanon aufgebaut werden,
der den gesamten Lehrstoff enthält.
Der Lehrer muss diesen dann noch weiter verbessern
ohne neuen Prüfungsstoff hinzuzufügen.
Die kognitive Lernleistung soll mithilfe eines
individuellen Trainingsprogramms weiter erhöht
werden.
Pferdetrainer und Hundetrainer stellen sich
häufig geschickter als Lehrer an, wenn es darum
geht Motivation und Wesen der "Lehrlinge"
herauszubilden. Hoffentlich bessert sich hier mal
etwas. Nichtsdestotrotz würde Anerkennung
und Rückhalt der Eltern und ein Gehalt ausreichend
für den Häuslebau Wunder wirken.
Schneider
Gast
Angestellten des Staates ist das Streiken zu verbieten!
Britta
Gast
Lieber Johannes!
So marginal sind die Ausfälle leider nicht. Jeder, der so wie du redet, sollte sich mal 28h Stunden vor eine Klasse stellen und noch dazu die Stunden vorbereiten, Elterngespräche führen, Gutachten schreiben sowie zu Teamsitzungen, Fachkonferenzen, Dienstbesprechungen, Gesamtkonferenzen und meist noch einem anderen Gremium gehen. Dazu häufig noch Gespräche mit dem Jugendamt (was heutzutage nicht selten ist) oder anderen Institutionen, die den Familien helfen...
Klar, die Ferien sind natürlich schön, doch auch da bereitet man vor, bastelt Material, da man als Lehrer leider alles, was man für den Unterricht braucht selbst kauft oder halt selbst herstellt...ein paar Fortbildungen sind auch noch dabei, so dass auch Lehrer gut zu tun haben. Jeder, der große Reden schwingt, sollte sich die Zustände in den Berliner Schulen mal genau anschauen und sich dann fragen, ob er es machen wollte?
Johannes
Gast
Niemand muß LehrerIn bis zur Pensionierung bleiben, wenn sie/er vorher körperlich oder pyschisch degeneriert. Man scheidet einfach aus oder wird aufgrund von Dienstunfähigkeit ausgeschieden. Die damit verbundenen Pensionsausfälle sind marginal, Experten bewerten die Lehrer als gestopft.
Niemand muss glauben, dass die GEW immer recht hätte, bloss weil ein paar Tausend Gelangweilte hinter ihrem Fronttranspi latschen und scheinbar niemand widerspricht.