Junge Fußballspieler bei Hoffenheim: "Auch uns verlassen Talente"

Jeder Verein muss heute Leistungszentren gründen. Hoffenheims Manager Ernst Tanner sagt dazu, wenn junge Spieler wechseln, sei das normal. Heute schasste der Verein seinen Trainer Pezzaiuoli.

Flasche leer bei 1899 Hoffenheim nach der 3:2 Niederlage beim FC Freiburg. Bild: dpa

taz: Herr Tanner, Hertha BSC wirft Ihnen vor, unmoralisch zu handeln. Im Sommer wechseln ein 14- und ein 15-jähriger Nachwuchsspieler aus dem dortigen Leistungszentrum zu ihnen nach Hoffenheim.

Ernst Tanner: Die Aufregung der Hertha verstehe ich nicht. Im Großraum Berlin leben rund fünf Millionen Menschen. Da ist es doch klar, dass wir uns in dem Riesenfundus umsehen. Das machen auch andere Vereine wie Hamburg, Cottbus oder Wolfsburg. Den Älteren der beiden hatten wir außerdem schon vor einem Jahr auf dem Zettel und bei uns im Probetraining. Da spielte er noch gar nicht bei der Hertha. Damals fanden wir aber, er sei noch zu jung für einen Wechsel.

Warum gucken Sie sich nicht in Ihrer näheren Umgebung um?

ERNST TANNER ist seit Mai 2010 Manager der TSG Hoffenheim. Zuvor war der 44-jährige Diplomsportlehrer Leiter des Nachwuchsleistungszentrums des Fußballbundesligisten - eine Funktion, die er bis 2009 auch beim TSV 1860 München innehatte.

1899 Hoffenheim trennt sich zum Saisonende von Trainer Marco Pezzaiuoli. Der 42-Jährige muss damit nach nur einem halben Jahr wieder seine Taschen packen. Ein Nachfolger steht noch nicht fest. Als Wunschkandidat für die Nachfolge gilt St. Paulis Trainer Holger Stanislawski.

***

Pezzaiuoli hatte erst am 2. Januar die Nachfolge von Ralf Rangnick angetreten, von dem sich die Kraichgauer nach dem Theater um den Wechsel von Luiz Gustavo zum FC Bayern München getrennt hatten. In den bislang zwölf Spielen der Rückrunde konnte Pezzaiuoli, der einen Vertrag bis zum 30. Juni 2013 besaß, mit seinem Team allerdings nur zwölf Punkte holen. (dpa)

***

Zoff um den Nachwuchs

Die Zankäpfel heißen Erdal Öztürk (15) und Rhami-Jasin Ghandour (14). Bis zum Sommer spielen die beiden noch in der C-Jugend von Hertha BSC. Dann wechseln sie aus dem Berliner Leistungszentrum in das der TSG Hoffenheim. Deswegen ist ein Streit zwischen beiden Bundesligisten entbrannt: Hertha beschwerte sich bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) und erteilte den Hoffenheimer Talentspähern ein Hausverbot, TSG-Scout Wolfgang Geiger soll den Hauptstadtklub als "Stasi-Verein" bezeichnet haben. Hertha-Manager Michael Preetz beklagte "Auswüchse einer immer rüder werdenden Abwerbepraxis". Sein Hoffenheimer Kollege Ernst Tanner konterte: "Völliger Schwachsinn! Hertha soll vor seiner Haustür kehren. Abwerbungsversuche sind üblich in der Branche." (taz)

Im Breisgau haben wir einen Standortnachteil. Da leben nur rund zwei Millionen Menschen. Die Jungs aus der Region müssen aber mit fünf, sechs anderen Leistungszentren in der Umgebung geteilt werden. Deswegen haben wir ein bundesweites Scoutingnetzwerk, haben unsere Leute in vielen Regionen vor Ort sitzen.

Vor zehn Jahren wurde beschlossen, dass jeder Erst- und Zweitligist ein Leistungszentrum gründen muss. Mittlerweile gibt es 45 Leistungszentren. Ist da eine Konkurrenzsituation nicht vorprogrammiert?

Der Wettbewerb ist aber auch förderlich. 2007 wurde ja die Selbstverpflichtung, Spieler aus anderen Leistungszentren nicht zu verpflichten, aufgekündigt. Zunächst von den Bayern und von Bremen - vor allem weil die Regelung zu der absurden Situation geführt hat, dass Vereine, die sehr wenig in die Jugendarbeit investiert hatten, ihre besten Spieler nicht gehen ließen. Das war aber nicht der Sinn der Vereinbarung.

Seitdem wechseln immer wieder junge Spieler zwischen den Leistungszentren.

Dass Spieler wechseln, weil sie bei einem anderen Verein bessere Bedingungen vorfinden oder bessere Perspektiven sehen, kann und sollte man nicht verhindern. Auch unser Leistungszentrum verlassen immer wieder Talente, jetzt wechseln zwei zu Mainz 05. Deswegen machen wir uns aber nicht verrückt.

Mit 15 Jahren können Nachwuchsspieler Förderverträge bei Leistungszentren unterschreiben, mit 16 Jahren werden sie wirksam. Wie viel Geld ist da im Spiel?

Die Mindestsumme, die gezahlt werden muss, wurde kürzlich angehoben, von 150 im Monat auf 250 Euro. Es muss in dem Alter aber auch völlig unerheblich sein, ob ein Spieler einen Hunderter mehr verdient oder das ein oder andere dazubekommt. Wichtiger ist, dass die Jungs eine gute fußballerische und eine gute schulische oder berufliche Ausbildung bekommen. Das ist auch den meisten Eltern das Wichtigste. Wenn es schon bei 16-Jährigen nur ums Geld ginge, wären wir auf einem ganz falschen Weg.

Dennoch haben immer mehr Jungspieler, zum Teil schon mit 14 und 15 Jahren, Spielerberater. Eine bedenkliche Entwicklung?

Das ist eine zweischneidige Sache. Ein Spielerberater kann ein Problem sein, vor allem wenn er sich in den sportlichen Bereich einmischt. Auf der anderen Seite verstehe ich natürlich auch die Jugendlichen und ihre Eltern, die zum ersten Mal mit so etwas Komplexem wie einem Fördervertrag zu tun haben. Da geht es um Inhalte, die für einen Laien kaum zu verstehen sind. Daraus erwächst dann natürlich eine Unsicherheit. Ich empfehle den Eltern vor Vertragsunterschrift immer den Gang zu einem Rechtsanwalt. Die andere Möglichkeit ist ein Berater mit dem nötigen Fachwissen.

Verdient ein Berater an Förderverträgen mit?

In dem Altersbereich können Berater nichts verdienen. Der Berater hat vor allem das Interesse, dass er den Jungen bei der Karriere begleitet, um irgendwann - wenn der Junge denn mal Profi wird - mitverdienen zu können. Das geht aber nur - und das ist das Skurrile - wenn der Junge den Berater nicht irgendwann wechselt. Auch als Verein, der ein Talent fördert, weiß man ja nie, wo die Reise hingeht und ob sich die Investition in die Zukunft des Spielers am Ende auch lohnt.

Wie viel kostet die Ausbildung in einem Leistungszentrum?

Das ist ganz schwer zu berechnen. Ich würde aber sagen, ein Spieler kostet ungefähr 20.000 Euro im Jahr, inklusive Unterbringung und schulischer wie fußballerischer Ausbildung. Wenn man dann bedenkt, dass in den guten Leistungszentren im Schnitt nur ein oder zwei Spieler eines Jahrgangs den Sprung in den Profibereich schaffen, rechnet sich die Investition keinesfalls immer. Die meisten gehen ja für einen Nuller zu einem Amateurverein. Das ist bei dem Millionenspiel, das uns oft angedichtet wird, dann unser Beitrag.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.