Hannovers Oberbürgermeister über den Atomausstieg: "Es fehlt das Drehbuch"

Der Präsident des Verbands kommunaler Unternehmen Stephan Weil, zugleich SPD-Oberbürgermeister von Hannover, über die Forderung der Stadtwerke nach einem Atomausstieg bis 2020.

Warnt vor der "alten zentralistischen Denke": Stephan Weil. Bild: dpa

taz: Herr Weil, ist Hannover eigentlich atomstromfrei?

Stephan Weil: Hannover ist die Stadt mit dem dienstältesten rot-grünen Bündnis, das seit 24 Jahren hält, - hier hat der Rat schon 1986 nach Tschernobyl beschlossen, dass die Stadtwerke keinen Atomstrom beziehen sollen.

Auch der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) strebt nach rot-grünen Zielen und fordert einem Atomausstieg bis 2020. Welche Rolle wollen die Stadtwerke übernehmen?

Eine ganz entscheidende: Die alte Energiewelt bestand aus wenigen Unternehmen, die wenige große Kraftwerke betrieben haben. Die neue Energiewelt wird aus vielen kleinen dezentralen Erzeugungsanlagen bestehen, die vor Ort ihren Strom liefern - und diese vielen kleinen dezentralen Energiewirtschaftsunternehmen sind vor allem auch die Stadtwerke.

Was fordern die Stadtwerke für die schöne neue Energiewelt?

Als erstes muss die Laufzeitverlängerung weg. 2010 sind viele geplante Investitionen in die Schubladen gesteckt worden, weil sie nicht wirtschaftlich erschienen. Es gibt bislang kein belastbares Drehbuch, ohne eine solche Grundlage ist ein Ruck-Zuck-Ausstieg sicher nicht möglich. Die Stadtwerke brauchen verlässliche staatliche Förderungen, etwa der Kraft-Wärme-Kopplung.

Müsste dafür auch die Netzregulierung umgestellt werden?

Ja. Die Netzregulierung ist bislang ein Instrument zur Kostenkontrolle, die Frage der Netzertüchtigung läuft völlig unter Wert. Allein die notwendigen Investitionen in Verteilernetze werden derzeit mit 1,3 Milliarden Euro jährlich beziffert. Die wird keiner übernehmen, wenn nicht die Netzregulierung für Investitionsförderung sorgt.

STEPHAN WEIL 52, Sozialdemokrat, Jurist, 1997 bis 2006 Stadtkämmerer von Hannover, seitdem Oberbürgermeister, Präsident des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU), der Vereinigung der deutschen Stadtwerke.

Dann bliebe es bei der Netzhoheit der vier großen Konzerne?

Ich sehe das Risiko, dass weiter die alte zentralistische Denke herrscht. Wir machen aber einen Fehler, wenn wir die Diskussion jetzt auf Strukturen wie die großen Stromautobahnen verengen, die Überlandnetze von Nord nach Süd. Wenn Strom stärker vor Ort in kleineren Kraftwerken erzeugt wird, wird auch die Last geringer, die über weite Strecken transportiert werden muss.

Eon Hanse hat Kommunen und Stadtwerken in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern angeboten, sich an den Netzen dort zu beteiligen. Der VKU rät ab - warum?

Es gibt eine Reihe rechtlicher und wirtschaftlicher Bedenken, unter anderem zur Rolle, die Kommunen in einer Minderheitenposition gegenüber einem starken privaten Partner einnehmen können. Mein Eindruck ist, dass beim vorliegenden Vertragsentwurf Eon Hanse am Steuer sitzt und kommunale Mitgesellschafter auf dem Beifahrersitz.

Ist GmbH nicht die bessere Form als eine Aktiengesellschaft, um sich Mitsprache zu sichern?

Am Ende ist nicht die Frage der Rechtsform entscheidend. Als Stadt Hannover sind wir Mitaktionär in einigen Aktiengesellschaften. Da kann man mitgestalten - wenn man die entsprechende Aktienmehrheit hat.

Auch Hamburg diskutiert die Rekommunalisierung der Netze. Reicht die 25,1 Prozent-Beteiligung aus, die der SPD-Senat an einer Netzgesellschaft zusammen mit Vattenfall oder Eon Hase anstrebt?

Das Schöne an der kommunalen Selbstverwaltung ist, dass jeder seines Glückes Schmied ist. Deswegen werde ich mich hüten, dem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz über die taz gute Ratschläge zu erteilen. Die sicherste Karte für Kommunen ist aber immer eine Mehrheitsbeteiligung.

Ist die Hoheit über die Netze ein Instrument für politische Gestaltung?

In der neuen Energiewelt werden Netze nicht nur Einbahnstraßen vom Kraftwerk zum Verbraucher sein. Wir werden Solaranlagen haben, die bei Sonnenschein Strom liefern, einzelne Häuser, die nicht nur Energie verbrauchen, sondern überschüssige Energie zurück ins Netz einspeisen. Der Netzbetrieb wird für die Kommunen strategisch sehr interessant werden, vor allem, wenn man sich fragt, wer welchen Strom wohin transportiert.

Was hat die kommunale Netzhoheit mit Ökostrom zu tun?

Dem Netz ist es egal, welche Art von Strom fließt. Im letzten Jahr haben wir aber mehrfach erlebt, dass wir mehr Strom hatten, als benötigt wird. Dann geht es um die Frage, welcher Strom transportiert wird und welcher nicht.

Ist der VKU eigentlich an den aktuellen Gesprächen auf Bundesebene über einen früheren Atomausstieg beteiligt?

Mit uns wurde leider vor dem Zustandekommen des Energiekonzepts 2010 nicht gesprochen. Mittlerweile kommen auf der Arbeitsebene Anfragen aus den Ministerien. Eine offizielle Einladung der Bundesregierung ersetzt das aber nicht - und die steht noch aus. Wir mussten in der Vergangenheit immer wieder erleben, dass die vier großen Unternehmen die Spielregeln bestimmt haben und von der Politik erkennbar bevorzugt wurden.

Und was macht der VKU-Präsident Ostermontag?

Da wandert er durch den Thüringer Wald und bedauert sehr, an keinen Oster-Märschen teilnehmen zu können.

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