Wiener Kaffeehaus-Kultur: Den Kaffee nur im Häferl, bitte!

Melange und WLAN - warum das System Starbucks in Wien auch nach zehn Jahren nicht funktioniert. In anderen Städten sind die Coffeeshops nicht mehr wegzudenken.

Zeitung lesen im Café Hawelka: Besitzer Leopold Hawelka unterzeichnet ein Buch in seinem berühmten Wiener Kaffeehaus. Bild: dapd/ap

Starbucks kommt nach Wien! Wie ein Schreckgespenst geisterte diese Nachricht 2001 durch die die Stadt. Eigentlich war es zu erwarten, dass die Sirene auch irgendwann mal von Wiener Straßenecken lächeln würde, sind die Coffeeshops doch von Seattle bis Tokio nicht mehr wegzudenken. Für die Wiener aber war mit dem ersten Ableger des Coffeeshop-Riesen der Untergang der traditionellen Kaffeehäuser besiegelt.

Nun sollte man wissen, dass die Wiener einen Hang zum Morbiden haben. Den Tod der Kaffeehauskultur zu prophezeien - sei es durch neue Espressomaschinen, italienische Stehcafés oder Rauchverbote -, ist fast schon zur Regel geworden. So versucht Starbucks zwar seit zehn Jahren, amerikanische Kaffeekultur nach Österreich zu bringen, ist damit aber nur mäßig erfolgreich: Von seinem ursprünglichen Plan, bis 2005 sechzig Filialen in Österreich zu eröffnen, musste sich der Gehkaffee-Riese schnell verabschieden. Tatsächlich betreibt Starbucks heute gerade einmal zwölf Filialen. In der Schweiz sind es bei etwa gleicher Einwohnerzahl hingegen 46.

Da half auch die eigens fürs österreichische Publikum kreierte Kaffeemischung nichts. Denn bei Karamell macchiato, Latte und Coffee americano wird gern vergessen, dass die Wiener nach über 300-jähriger Siederkultur selbst so manche Kaffeevariation erschaffen haben. Fünfzig verschiedene sollen es laut dem Klub der Kaffeehausbesitzer sein, mit kunstvoll unverständlichen Namen wie "Einspänner" oder "Kapuziner", aber auch mit dem in Österreich üblichen "Verlängerten" können Besucher oft nichts anfangen.

Wiener Schmäh

Da muss der geschulte Ober die Übersetzerarbeit leisten: "Cappuccino gibts mit Schlagobers. Wenn S ihn mit Milchschaum wollen, bestellen S eine Melange." Der grantige Ton ist natürlich Teil des Wiener Schmähs, und Allüren sind hier schnell verziehen. Schneller zumindest als die Sitte, sich selbst um einen Kaffee anstellen zu müssen. "Das Starbucks-Modell ist nicht so gut angekommen, wie die Betreiber gedacht haben. Die Wiener wollen bedient werden", erklärt Norbert Lux, zuständig für die Fachgruppe Kaffeehäuser in der Wirtschaftskammer Wien. Außerdem fehle den Coffeeshops das Ambiente.

Denn in Wien ist nicht der Kaffee Anlass für den Kaffeehausbesuch, sondern eben das Kaffeehaus selbst. Heißt ja auch Kaffeehauskultur, hört man den ruppigen Ober förmlich sagen. In Österreich trifft man sich, mit Freunden und Geschäftspartnern gleichermaßen, "auf einen Kaffee". Natürlich trinkt man ihn aus dem Häferl, also aus einer echten Tasse - und nicht aus dem Pappbecher. Aber auch allein lässt es sich dort stundenlang verweilen. Man liest Zeitungen - am besten die internationalen -, spielt Schach und Billard oder gibt sich einfach dem Sinnieren hin. Das Café ist für Leute, die allein sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen, soll der Überbohemien Alfred Polgar einmal gesagt haben. Ein Ort der Begegnungen und hoffentlich anregender Konversationen mit Menschen, die man sonst wohl nicht getroffen hätte.

Einspänner: Ein großer Espresso mit Schlagobers (also geschlagener Sahne), serviert im Glas.

Mokka: In Österreich heißt so ein Espresso, der aber nicht aus echten jemenitischen Mokkabohnen hergestellt wird.

Kapuziner: Ein kleiner Mokka mit wenig Schlagobers. Benannt nach der Kuttenfarbe der Kapuzinermönche.

Wiener Melange: Wird gerne mit dem Cappuccino verglichen. Unter Kaffeesiedern ist das aber ein Fauxpas. Zwar ziert auch die Melange ein Milchschaumhäubchen, statt des Espressos dient aber ein verdünnter Mokka als Grundlage.

Verlängerter: Ein Mokka, der mit der doppelten Menge Wasser verlängert wird.

Dieses Verständnis scheint mit dem Fast-Coffee-Gedanken schwer vereinbar. Bei Hintergrundbeschallung und hektischem Treiben sinniert es sich mehr schlecht als recht. Stattdessen fühlt man sich wie unter Flüchtlingen: Touristen fliehen für einen Moment in bekanntes Gebiet, verliebte Teenager in die Anonymität. Im ständig wechselnden Publikum faszinierende Gesprächspartner zu finden scheint gar unmöglich. Und wenn ein Gast doch länger bleibt, dann sind es digitale Bohemiens, die hier zum Preis einer Latte ein Büro mieten.

Wiener Kaffeehäuser

Der Wiener lässt sich davon wenig beeindrucken, diente das Café doch schon seit hundert Jahren Studenten wie Geschäftsführern als Arbeitsplatz. Eintrittskarte ist die Melange, natürlich mit einem Glas Wasser serviert, das - wenn das Haus etwas auf sich hält - halbstündlich erneuert wird. Voll Stolz verweisen Kaffeehausbesitzer noch heute auf jene Dichter und Künstler, die im Fin de Siècle die Kaffeehäuser zum Zentrum der Intellektuellen etablierten: die sogenannten Kaffeehausliteraten, darunter Karl Kraus, Friedrich Torberg und Stefan Zweig. Im Café Central erinnert sogar eine Statue an den Schriftsteller Peter Altenberg, der als Adresse anzugeben pflegte: Wien I., Café Central.

Natürlich gibt es auch in Wien Laptops auf den Marmortischen. Ging vor wenigen Jahren noch ein Aufschrei durch die Branche, weil Starbucks - wie könnte es anders sein - versuchte, mit Gratis-WLAN zu locken, sind heute auch Traditionshäuser auf diesen Zug aufgesprungen.

Ja, Starbucks hat seine Spuren hinterlassen. "Die Qualität des Kaffees ist besser geworden", lobt der Experte Lux. Aufgrund der neuen Konkurrenz hätten sich die Sieder mehr anstrengen müssen. Dazu kommt der allgemeine Trend zu Qualitätskaffee aus der Kapsel.

Doch man könnte glauben, die einstige Avantgarde Wiens war damals so progressiv, dass man sich noch heute lieber auf erprobte Geschäftsmodelle besinnt, als sich von Trends von außen leiten zu lassen. Das Nachtcafé ist ein solches Beispiel. In den Nächten des Fin de Siècle von jungen Dichtern und Damen frequentiert, fristete es lange eher ein Schattendasein.

Nun haben einige Betreiber das "Nacht" durch "Szene" ersetzt und locken zu später Stunde mit Clubatmosphäre. So manche Partynacht führt etwa ins Café Drechsler am Naschmarkt, das nach einer Rundumerneuerung durch den britische Designstar James Conran glänzt. Wo nachmittags die bourgeoise Boheme mit MacBook und iPhone sinniert, herrscht auch um drei Uhr früh reges Leben. Auch das Café Leopold, eigentlich ein Museumscafé, ist mit seinen Clubnächten zum Szenetreffpunkt geworden.

Die Wiener haben offenbar ein Rezept gegen das Kaffeehaussterben gefunden: Traditionen hegen und doch nicht zum Stillstand kommen. Vielleicht wird es ja eine Erfolgsmischung - wie die Wiener Melange.

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