Debatte über Palästina: Tsunami oder Chance für Israel?

Eine Gruppe junger israelischer Strategen halten die Unterstützung für einen palästinensischen Staat für sinnvoll. Sie wendet sich damit gegen die politische Agenda der Regierung.

Bald ein eigener Staat? Ein palästinensischer Junge bei einer Demonstration in Bilin, Westjordanland Bild: dapd

JERUSALEM taz | Ähnlich wie im Westjordanland, wo sich die Politiker noch immer unschlüssig sind über den Plan, die UN-Mitgliedsstaaten um Anerkennung des palästinensischen Staates zu bitten, streiten sich auch in Israel die Experten. Von einem "Tsunami", der Mitte September auf Israel zukomme, wenn die UN-Generalversammlung zusammentrifft, sprach jüngst der sonst so unerschütterliche Verteidigungsminister Ehud Barak. "Alles Quatsch", kontert eine Gruppe junger Strategen aus Tel Aviv. "Palästina ist gut für uns."

Der 36-jährige Jurist Roy Keidar stieß Anfang des Jahres zum "Reut-Institut", einem der führenden Strategiezentren im Land. Israel solle sich den palästinensischen Schritt zunutze machen, rät er. "Es ist nur von Vorteil, Verhandlungen zwischen zwei Staaten zu führen." Mit der Gründung des Staates Palästina werde dem Narrativ vom besetzten Volk der Stachel gezogen, letztendlich wäre "die Selbstbestimmung der Palästinenser damit erreicht". Übrig blieben Konfliktpunkte, die nach und nach gelöst werden könnten, wie der Grenzverlauf, die Siedlungen, Jerusalem und die Zukunft der palästinensischen Flüchtlinge.

Die politischen Strategen aus Tel Aviv plädieren nicht zuletzt aufgrund der Einsicht, dass ein Friedensabkommen unter den gegebenen Umständen nicht möglich ist, für "vereinbarte, unilaterale Maßnahmen". Dazu gehöre die Räumung von Straßenblockaden und Teilrückzüge israelischer Truppen genauso wie die Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die Sicherheitskooperation und die Institutionenbildung im Westjordanland. "Das sind Dinge, die jetzt schon passieren", sagt Keidar. "Es funktioniert, ohne dass jedes Mal vorher ein offizielles Abkommen unterzeichnet wird, weil beide Seiten ein Interesse daran haben."

Spätestens seit dem Abzug aus dem Gazastreifen sind weitere einseitige Maßnahmen in Israel stark umstritten. Keidar gehörte selbst zum Nationalen Sicherheitsrat unter dem damaligen Ministerpräsidenten Ariel Scharon, der den Abzug vorantrieb. Der Stratege räumt ein, dass Fehler gemacht worden sind. "Man hätte in Absprache mit den Regierungen in Kairo und den USA vorab sicherstellen müssen, dass der Gazastreifen überlebensfähig sein wird.

Sorge vor der Reaktion der Bevölkerung

Keidar hält es nicht für ausgeschlossen, dass Israel noch vor der UN-Generalversammlung von dem vehementen Widerstand gegen den Staat Palästina ablassen wird. "Es wäre im Interesse beider Seiten, Israels und der Palästinenser, wenn sie sich bei der Anerkennung des Staates Palästina, über dessen Grenzen noch verhandelt werden muss, einig wären", meint er.

"Die internationale Anerkennung ihres Staates kann den Palästinensern das Gefühl geben, eine Zukunft zu haben", sagt Keidar weiter. Die Sorge in Jerusalem und Ramallah gilt jedoch gerade der möglichen Reaktion der Bevölkerung. Umfragen zeigen, dass die Palästinenser große Erwartungen an die Staatsausrufung knüpfen. Wenn sich unmittelbar für sie nichts verändern würde, könnte sich ihre Enttäuschung erneut in Gewalt entladen, möglicherweise sogar gegen die eigene Führung. Im Internet wird zu Demonstrationen und zum Marsch der Flüchtlinge Richtung Jerusalem aufgerufen.

Nur vereinzelte Stimmen rechnen mit einer Rückkehr zu Terror und Selbstmordanschlägen. Doch auch mit gewaltlosen Massendemonstrationen tut sich der israelische Sicherheitsapparat schwer. "Israel will nicht Seite an Seite mit denen in die Geschichtsbücher eingehen, die friedliche Demonstrationen mit Gewalt unterdrücken", sagt Keidar. Um Gewalt zu verhindern, müsse noch vor September eine grundsätzliche Einigung mit der palästinensischen Führung erzielt werden.

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