Freitod nach Mord-Gerüchten: In einer kleinen Stadt

Der Freitod von Thomas Bögerl löst nicht das Rätsel um den Mord an seiner Ehefrau im vergangenen Jahr. Klar ist nur: Vor Gerüchten kann man sich nicht verstecken.

Haus der Familie Bögerl in Heidenheim: Solarzelle, Fitnessraum (nicht im Bild), Gerüchte. Bild: dpa

BERLIN taz | "Tuschel-Gerüchte" - das ist so ein echter Bild-Begriff, aus dem man sich durchaus einen Strick drehen kann. Aber nicht Bild oder andere hochspekulativ über den Fall berichtende Medien sind schuld am Suizid des Vorstandsvorsitzenden der Kreissparkasse Heidenheim, Thomas Bögerl, des Ehemannes der am 12. Mai 2010 entführten und 3. Juni desselben Jahres erstochen aufgefundenen Maria Bögerl. So wie es in der Kriminalität Großstadtfälle gibt - Berlin-Neukölln! Duisburg-Marxloh! -, so ist der Fall Bögerl einer der Provinz.

Denn was auch immer Thomas Bögerl (56) getan hat - sein größter Fehler war es, seinen Wohnort Heidenheim (48.503 Einwohner) nicht schleunigst und dauerhaft zu verlassen, nachdem der Mord an Maria Bögerl in der Schwebe der Unaufgeklärtheit hängen blieb.

Der Mord des Mannes an seiner Ehefrau - wegen der Lebensversicherung oder der jüngeren Geliebten - ist ein Genre-Klassiker, dessen Abgeschmacktheit schon der Schriftsteller Charles Willeford beklagte, als zeitweiliger Redakteur von Alfred Hitchcocks Mystery Magazine: "Dont kill your wife, please!", stoßseufzte er angesichts aberhunderter Einsendungen von Hobbyschreibern aus der US- Provinz zum Thema. Willeford war klar, dass eine solche Häufung einiges aussagte über das amerikanische Eheleben in den 1960ern.

Wir leben gewiss in aufgeklärteren Zeiten. Doch noch immer lässt sich hinter Aufkommen und Verbreitung von "Tuschel-Gerüchten" in einer Großen Kreisstadt wie Heidenheim die unerfüllte Sehnsucht spüren, auch einmal und ein für alle Mal den selbstgewählten Zwängen zwischen Dachsolaranlage und Fitnessraum - wo Thomas Bögerl sich erhängte - zu entkommen. Aber ordentlich: Bögerl war keineswegs - wie es am Dienstag morgen in Presseberichten noch hieß - betrunken, in seinem Abschiedsbrief wandte er sich an seine Kinder, die Zugehfrau fand ihn dort, wo ein Erhängter sich sauber, still und personalfreundlich entfernen läßt.

98 Prozent der Tötungsdelikte werden in Baden-Württemberg aufgeklärt. Man kann davon ausgehen, dass das im weitesten Sinn begriffene familiäre Umfeld der Bögerls von den Ermittlern genau durchleuchtet worden ist. Gerüchte über eine angebliche Beteiligung Bögerls an der Entführung und Ermordung seiner Ehefrau haben sich dann auch, nach Polizeiangaben, nie erhärtet, Bögerl wehrte sich mit Presseerklärungen. Die nach der Entführung von Maria Bögerl geschaffene Sonderkomission "Flagge" ermittelt derweil weiter in alle Richtungen.

Thomas Bögerl begab sich nach dem Tod seiner Frau wiederholt in Kur und war in ärztlicher Behandlung. Nach seiner Rückkehr in die "Villa" blieben die Rollos unten, die "Tuschel-Gerüchte" hielten sie aber nicht fern; im Gegenteil. Auch die Teilnahme an Feuerwehrfesten und Frühschoppen oder der öffentlich zelebrierte Sonntagsbrunch helfen in dieser Lage nicht weiter. Man muss gehen - dahin, wo so viel los ist, dass Gerüchte ganz schnell das Geschwätz von gestern sind. Dass die Menschen dort, in den großstädtischen "Problembezirken" (Bild u. a.) auch ihre Sorgen haben, darüber erfährt man in deutschen Medien mehr als genug.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.