„Sonst überrollt uns die Welle einfach“

STADT Der Bezirk Pankow will den Ernst-Thälmann-Park entwickeln. Markus Seng hat eine Anwohnerinitiative gegründet, damit die Interessen der AnwohnerInnen nicht untergehen

■ 48, ist im IT-Bereich selbstständig und lebt seit zwei Jahren im Ernst-Thälmann-Park.

taz: Herr Seng, Sie kommen aus Süddeutschland. Dem Klischee nach gehören Sie in eine Altbauwohnung am Kollwitzplatz. Sie wohnen aber im Thälmann-Park, einer einstigen Vorzeige-Plattensiedlung. Wie das?

Markus Seng: Bis vor zwei Jahren wohnten meine Freundin und ich in der Greifswalder Straße, dann brauchten wir mehr Platz, und in der Gegend gab es nichts Bezahlbares. Dann hatten wir das Angebot hier in der Platte, und siehe da: Die Wohnung ist hell, und interessanten geschnitten, mit tollem Ausblick. Es ist ruhig und trotzdem zentral. Die Schwimmhalle ist vor der Tür und der Park. Die Leute sind entspannt hier. Mir hat das von Anfang an sehr gut gefallen.

So gut, dass Sie nun mit einem Freund eine Anwohnerinitiative gegründet haben. Warum?

Wenn ich hier lebe, möchte ich mich auch für die Umgebung engagieren. Ich bin bei der Tucholsky-Bibliothek im Bötzowviertel aktiv, die geschlossen werden sollte und nun ehrenamtlich betrieben wird. Das zeigt, dass auch wenige Leute etwas durchsetzen können. Als 2012 die Kultureinrichtungen am Park abgewickelt werden sollten, wurde klar, dass diese Gegend unter einem enormen Bau-Druck steht. An die Ella-Kay-Straße kommt ein neuer Wohnblock, auf den alten Güterbahnhof Greifswalder Straße ein ganzes Viertel. Wenn die Politik dem Investitionskapital freien Lauf lässt, wird hier alles verdichtet. Wir wollen, dass auch der Bürgerwille berücksichtigt wird.

Und wie sieht der aus?

Das finden wir gerade heraus. Ein wichtiges Thema sind die steigenden Mieten, die Nutzung des Parks und sein Erhalt. Schon jetzt ist es im Sommer relativ voll. Daher muss man gucken: Was ist städtebaulich sinnvoll, wie viele Leute kann man ansiedeln, was fehlt, etwa an Ärzten oder Einkaufsmöglichkeiten? Wir wollen Ziele formulieren und mit einem Modell, wie wir hier leben wollen, auf Politik und Wirtschaft zugehen.

Wer ist „wir“?

Derzeit eine bunte Truppe von etwa 40 Leuten jeden Alters, zugezogen und Altbewohner.

Mit Ihrem Engagement machen Sie ja den Park attraktiver. Setzt das nicht die gefürchtete Aufwertungsspirale in Gang?

Wenn wir uns nicht engagieren, überrollt uns die Welle einfach. Die Welt ist ein Ort permanenter Veränderung, und da ist es besser, diese mitzugestalten.

Vertrauen Sie nicht der Politik?

Die Politik ist doch handlungsunfähig. Bei über 90 Prozent des Pankower Haushalts steht fest, wofür das Geld ausgegeben werden muss. Und der Senat sorgt dafür, dass die Bezirke im Wettbewerb stehen, wer am meisten spart. Aber ich will die Politik nicht aus der Verantwortung entlassen: Ich zahle genug Steuern und finde schon okay, wenn davon unten was ankommt.

Klingt, als ob das Problem weit über den Thälmann-Park hinausginge.

■ Heute um 18.30 Uhr lädt das Bezirksamt Pankow in den BVV-Saal (Fröbelstr. 17). Mit Bewohnern, Gewerbetreibenden, Eigentümern, Nutzern und Interessierten sollen die Stärken, Probleme und Potenziale des Thälmann-Parks erfasst werden. Ziel ist die Erarbeitung eines städtebaulichen Entwicklungskonzepts.

Berlin ist marode, leistet sich aber teure Infrastrukturprojekte. Wir können das nicht lösen. Aber wir können uns mit anderen vernetzen und Forderungen an die Politik formulieren.

Wie geht es jetzt erst mal konkret bei Ihnen weiter?

Am 13. März gibt es das erste Anwohnertreffen. Und wir tun konkrete Dinge: Nach Silvester haben wir den Park geputzt, im Sommer gibt es ein Fest. Wir wollen ja jetzt schon schön leben.

INTERVIEW: JULIANE WIEDEMEIER