Die Wandlung der Welt

Der britische Choreograph Akram Khan und seine Compagnie, derzeit zu Gast auf Kampnagel, verweben in „ma“ blitzschnell Raum und Zeit

von Marga Wolff

Aus der Tiefe des dunklen Bühnenraums erklingt ein Lied. Die Gestalt des Sängers ist kaum auszumachen. Doch schon zerreißt grelles Licht die entrückte Dämmerung. Wie ein Signal zum Aufwachen scheint es den Zuschauern direkt in die Augen. Und dann sieht man, dass die Stimme einem Mann gehört, der kopfüber an einem Seil baumelt. Auch die beiden Tänzerinnen, die sich aus dem Lotussitz nach oben schrauben, bleiben mit den Händen am Boden kleben und erzählen mit herabhängendem Kopf eine Geschichte von Samen, aus denen zwar keine Kinder, aber üppige Bäume sprießen.

In dem Tanzstück ma, das zurzeit auf Kampnagel gastiert, erzählt der britische Choreograph Akram Khan von Wachstum und Wandlung der Welt. Und die steht bei Khan mitunter kopf, wenn er und die Tänzer in irrwitzigem Tempo über den Boden gleiten. „ma“ bedeutet auf Hindi „Erde“ und auch „Mutter“. Die Geschichte hat der Autor Hanif Kureishi beigesteuert, wie Khan ein Londoner Kosmopolit mit pakistanischen Wurzeln.

Ursprünglich hat Khan den traditionellen indischen Tanz Kathak studiert, als Teenager trat er bereits in Peter Brooks „Mahabharata“ auf. Doch seit er vor einigen Jahren begann, die diamantscharfen Kanten im strengen Gestenkanon des indischen Tanzes mit Hilfe der freieren Bewegungen eines westlichen Vokabulars abzuschleifen, gilt der 31-jährige Choreograph und Tänzer als einer der aufregendsten Newcomer im internationalen zeitgenössischen Tanz. Die Mitglieder seiner Compagnie kommen aus allen Teilen der Welt. Trotzdem schafft es Khan, die außergewöhnlichen Tänzerpersönlichkeiten auf hohem Niveau zu einer Einheit zu verschmelzen.

Faszinierend ist zudem die Musik: Deutlicher noch als im Tanz begegnen sich in der Komposition von Riccardo Nova Orient und Okzident. Die Musiker, eine Cellistin und ein indischer Perkussionist und Sänger, sitzen sich an den Seiten der Bühne gegenüber, spannen in einem fein abgestimmten Dialog den musikalischen Raum nicht nur klanglich sondern auch optisch auf. Laut zählen die Tänzer den Takt mit, klopfen zwischendurch schnelle Rhythmen in den Boden. Die Eroberung des Raumes wird zu einem Spiel mit der Zeit. Musikalische Strukturen werden plastisch. In sie hat Khan seine Bewegungsattacken als reißfestes Gespinst hineingewoben.

nächste Vorstellungen: 30.11. sowie 1.–3.12., 20 Uhr, Kampnagel