die taz vor 19 jahren über die kriminelle vereinigung am rhein
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Am Abend nach der Katastrophe von Sandoz brachte die „Tagesschau“ einen Bericht über die „extrem sichere“ deutsche Chemie-Industrie: Diesem Bericht zufolge bestanden die deutschen Firmen im wesentlichen aus Auffangbecken und sonstigen Sicherheitseinrichtungen mit einer kleinen Restproduktion.

Am 12. 11. entleerte die Hoechst-AG Chlorbenzol in den Main;

am 21. 11. floß aus der BASF 2,4 Dichlorphenoxy-Essigsäure – Bestandteil von „agent orange“ – in den Rhein;

und am 26. 11. schickte Bayer Leverkusen 800 Kilogramm Methanol und noch ein bißchen 6,2,4 Chlormetakresol in denselben Strom. Eine Serie, bei der weder Klein-Fritzchen noch Wallmann an Zufall mehr zu glauben wagt.

Aber der Seriencharakter dieser Chemieverbrechen und ihre Größenordnung stehen merkwürdigerweise in umgekehrter Proportion zur öffentlichen Reaktion. Je mehr die Serie den Verdacht strafwürdigen Verhaltens bestärkt, desto weniger mag man verdächtigen. Das Geschehen bekommt etwas Naturgesetzliches. Die jüngsten Vergifter schließen sich zu einer unheiligen Dreieinigkeit zusammen, die einst IG-Farben hieß. Hoechst, BASF, Bayer Leverkusen sind bekanntlich die Erben jenes Konzerns, dessen Produktionspalette vom Aspirin bis zum Massenmord reichte. Der Konzern wurde von den Alliierten zerschlagen, doch ideell und praktisch regiert die IG-Gift ungebrochen weiter. Sie wuchern mit dem Nazi-Erbe, mit der Einheit von Marktmacht und Menschenverachtung.

Jenseits der Nachweisbarkeit: Die Chemieverbrechen der IG-Gift, arbeitsteilig begangen, zerstören nicht nur das sogenannte Öko-System Rhein. Sie zerstören auch die Sprache und mithin die Hoffnung auf eine empörte Öffentlichkeit. Persönliche Verantwortung verschwindet in den unergründlichen Tiefen der Konzerne, und die stumme Wut kann sich selbst auffressen.

Angesichts dieser Serie fragt es sich, an welche Toleranzgrenze diese IG-Gift hinarbeitet und wie die Ohnmacht, die dieser Chemieterrorismus auslöst, umschlagen wird. Oder anders gefragt: Wieviel ovjektive Gründe für den Terrorismus kann sich eine Gesellschaft leisten?

Klaus Hartung, 28. 11. 1986