Besetzer kommen in die Jahre: Das "Wir gegen den Rest der Welt"-Gefühl

Die Hausbesetzerbewegung wird 30 Jahre alt. In der Reihe "Geschichte wird gemacht!" setzen sich AktivistInnen mit ihrer Vergangenheit und Gegenwart auseinander. Eine erste Erkenntnis: Besetzer- und AnwohnerInnen müssen am selben Strang ziehen.

Die Hausbesetzerbewegung - hier eine Szene aus Berlin-Mitte aus dem Jahr 2008 - feiert ihren 30. Geburtstag. Bild: AP

"Die einzige Tür, die zu war, war bei den meisten Häusern die Außentür", erzählt Anna*. "Die war oft sogar verbarrikadiert, damit die Polizei mehr Zeit brauchte, um reinzukommen." Anna schildert ihre Erinnerungen an die frühe Westberliner Hausbesetzerzeit in einem Erzählcafé. Es findet im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Geschichte wird gemacht!" zu 30 Jahren Hausbesetzerbewegung im Jugendwiderstandsmuseum Rigaer Straße statt. 1981, da war sie 20 Jahre alt, besetzte Anna mit anderen ein Haus in der Luckauer Straße nahe dem Kreuzberger Oranienplatz. Die Räumung dieses Hauses im Jahr 1984 markierte in der Wahrnehmung vieler das Ende der Besetzungsära.

Ebenfalls im Rahmen der Reihe, die die VeranstalterInnen auch als "Woche der Widerspenstigen" bezeichnen, zeigt das Widerstandsmuseum eine Plakatausstellung über "30 Jahre Häuserkampf". Denn die Besetzungsgeschichte ist ja nicht zu Ende: Neben den Plakaten aus den 80ern und 90ern, die etwa gegen die Räumung des inzwischen als Wohnkollektiv etablierten Tommy-Weisbecker-Haus protestierten, hängen aktuelle Pressemitteilungen zur Besetzung der Schlesischen Straße 25.

Seit Jahresbeginn hat eine Arbeitsgruppe unentgeltlich am Programm von "Geschichte wird gemacht!" gefeilt. Ihr Ziel: den Austausch zwischen jenen zu fördern, die seit drei Jahrzehnten ihrer Unzufriedenheit mit der Berliner Wohnraumpolitik Luft machen. Noch bis zum Sonntag geschieht das an unterschiedlichen Orten, die auf unterschiedliche Art und Weise mit der Geschichte der Widerspenstigen verwoben sind - in Form von Filmvorführungen, Erzählcafés, Diskussionen und Führungen durch ehemals besetzte Häuser.

Massive Räumungswelle

In diesem September ist es 30 Jahre her, dass der Senat eine massive Räumungswelle der Häuser ankündigte, die als Reaktion auf Immobilienspekulation und Leerstand besetzt worden waren. "Diese Ereignisse liegen drei Jahrzehnte zurück. Aber was dazu geführt hat, ist auch heute aktuell, wie man zuletzt an der Mietenstopp-Demo gesehen hat", sagt einer der Organisatoren bei der Eröffnung der Reihe. Um die Aktualität der Forderung nach bezahlbarem und selbst verwaltetem Wohnraum hervorzuheben, wurden Ausstellungsstücke aus dem Lager des 2005 besetzten Bethanien-Hauses und dem "Papiertiger Archiv und Bibliothek der der sozialen Bewegung" zusammengetragen, Zeitzeugen kontaktiert, in Vergessenheit geratene Hausprojekte angeschrieben. In deren liebevoll gestalteten Höfen werden nun Erfahrungen von einer Hausbesetzergeneration an die nächste weitergegeben.

"Wir Besetzer haben mit Mieterinitiativen und Kiezläden zusammengearbeitet. Der Kontakt mit den Anwohnern war uns wichtig, weil wir uns unter anderem für billige Mieten als Grundrecht einsetzten", erklärt Anna den damaligen Slogan "Wohnraum für Alle!" "Wesentlicher Grund für die Hausbesetzungen war auch, in Gemeinschaften leben zu wollen", ergänzt Ulrich, der in den 80ern an mehreren Besetzungen beteiligt war. "Große Wohnflächen standen uns ja nirgends zur Verfügung."

Ulrich sagt, die Hausbesetzer hätten einen Prozess verlangsamt, der Stadtteile wie Kreuzberg zerstörte: Altbauten wurden aufgekauft, um abgerissen oder entkernt zu werden. Meist standen sie lange Zeit leer, während drum herum die Mieten stiegen. Dabei wehrten sich die Hausbesetzer der 80er, so gut sie konnten, gegen ihre Kriminalisierung. "Angesichts der Dauerhetzkampagne der Springerpresse war das nicht leicht", berichtet Ulrich. "Wir hatten phasenweise nur Schuhe an, mit denen man schnell rennen konnte", sagt Anna. "Die Bedrohung verstärkte das ,Wir gegen den Rest der Welt'-Gefühl."

Ein anderer Exbesetzer, Arthur, erklärt, dass es inzwischen unmöglich ist, ein leer stehendes Gebäude länger als ein paar Stunden zu halten. "Dafür ist die "Berliner Linie" von 1981 verantwortlich, die besagt, dass eine Räumung innerhalb von 24 Stunden erfolgen soll. Dennoch machen die Besetzer jedes Mal Pläne, wie man das Gebäude nutzen kann: als autonomes Kulturzentrum, als Beratungsstelle, als Umsonstladen. Sie wollen Freiräume schaffen, in denen Selbstorganisation und -verwaltung möglich ist, und "kapitalistische Besitzverhältnisse infrage stellen", wie Arthur sagt. Er glaubt, dass in Berlin auch weiter Häuser besetzt werden, denn "die Hausbesetzung ist eine gute Möglichkeit, um Forderungen und Utopievorstellungen plastisch zu kommunizieren".

Ulrich glaubt, dass die Mietsituation heute noch drastischer ist als zu seiner Zeit als Hausbesetzer. "Der Häuserbewegung von heute fehlt der Kontakt zu den Mieterinitiativen", sagt er. Aber vielleicht ist dieser Kontakt wieder im Entstehen: Auf einem Straßenfest in der Reichenberger Straße werden von den Kiezbewohnern "Angriffe auf die Mietstruktur" auf einem Stadtplan zusammengetragen. Gemeint sind nicht etwa Besetzungen, sondern Mieterhöhungen durch Modernisierung oder Umwandlung in Ferienwohnungen.

*alle Namen geändert

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.