Low-Budgetfilm "Putty Hill": Darstellung einer Welt

Matt Porterfields Film "Putty Hill" erzählt von dem, was von einem toten 24-Jährigen aus Balimore übrig bleibt - und was nicht.

"Ist es okay, wenn man bei einem Begräbnis nicht weint?" Elemente von offenen Beziehungen in "Putty Hill". Bild: arsenal

Cory ist tot, sein Zimmer ist leer. Es müsste dringend einmal aufgeräumt werden, aber niemand wird das mehr tun. Seine Sachen werden wohl weggeworfen, was bleibt also aus dem Leben eines jungen Mannes, der mit 24 Jahren in Baltimore an Drogen gestorben ist? Was bleibt, ist der Film "Putty Hill" von Matt Porterfield. Er setzt mit dem Bild des leeren Zimmers ein, und er endet damit, dass zwei Mädchen spätnachts in dieses Zimmer einsteigen und sich im Dunkeln darin umsehen. Sie rauchen, reden ein wenig, nehmen ein paar Kleinigkeiten an sich und gehen wieder. Zwischen diesen beiden Szenen zeigt Porterfield Corys Welt. Er zeigt sie im Zeichen einer Trauer, die manche seiner Freunde und Verwandten gar nicht richtig zu verspüren scheinen. "Ist es okay, wenn man bei einem Begräbnis nicht weint?", fragt ein Mädchen, und bringt so indirekt seine eigene Distanz zu diesem Leben auf einen Punkt.

Putty Hill ist ein Viertel in Baltimore, das an den Rändern in die Natur übergeht. Der Film beginnt im Wald, wo eine Gruppe junger Leute Paintball spielt, ein paramilitärisches Spiel mit Gummigeschossen. Später spazieren vier Mädchen in einer langen Szene durch den Wald, bis sie auf einer Straße zwischen den Bäumen auf Männer treffen, die einen Bankräuber jagen. Diese Einstellung ist typisch für den Realismus von Matt Porterfield, denn sie lässt eine Menge implizit, sowohl topografisch (wo in Bezug auf das urbane Zentrum von Baltimore sind wir?) wie auch politisch (sollte nicht eigentlich die Polizei den Bankräuber jagen?), sie ist aber zugleich Teil eines filmischen Zusammenhangs, der tatsächlich auf die Darstellung einer Welt zielt.

Dieser Totalbegriff ist im Grunde mit jeder Einstellung spezifisch schon eingeholt, aber Porterfield radikalisiert diesen Zusammenhang, denn bei ihm ist, was in jedem Bild als Welt da ist, häufig als Information abwesend. Er setzt einerseits eine gründliche Kenntnis der lokalen Gegebenheiten voraus, er macht sich aber nicht die Mühe, diese so zu vermitteln, dass daraus identifizierbare Plotelemente werden, zumal für Menschen, die noch nie in Baltimore waren und denen die TV-Serie "The Wire" hier nicht weiterhilft. Seine Filme, auch schon das Debüt "Hamilton", verlassen sich auf eine faszinierende Weise auf die vorfilmische Wirklichkeit.

Sie heben sich davon gerade nur so viel ab, dass das Fragment einer Fiktion daraus entsteht. Zugleich aber gibt Porterfield sich in "Putty Hill" als Instanz innerhalb der Erzählung preis. Er stellt Fragen, in einer Szene tut er dies in einem Pool, in dem die Mädchen, von denen er etwas wissen will, vor Kälte zu zittern beginnen. Durch diesen schon nicht mehr forschenden, sondern latent aggressiven Akt setzt Porterfield den registrierenden Gestus von "Putty Hill" in eine Ambivalenz, die Reste von Verantwortung erkennen lässt. Cory ist tot, wer hätte ihn aufhalten können? Die Frage lässt sich nicht beantworten, es sollte aber mindestens der Schmerz spürbar werden.

Im Abspann von Porterfields Debüt "Hamilton" erschien völlig überraschend ein Insert mit einem Zitat von Rilke (in Deutsch). Ein Satz daraus lässt sich als Motiv über Porterfields Arbeit insgesamt setzen: "Raum greift aus uns und übersetzt die Dinge". Das könnte man so verstehen, dass es in diesen Filmen nicht zuerst um die Übersetzung der Dinge in Elemente einer Erzählung geht, sondern dass diese das bleiben, was sie vor dem Einschalten der Kamera sind: Elemente von offenen Beziehungen.

Eine Festlegung des zuerst unausdrücklichen, allmählich sich klärenden Weltverhältnisses ist der jeweils konkrete Film, der mit dieser Klärung aber nicht zu weit gehen möchte. "Hamilton" hält jede Festlegung so offen, wie nur irgendwie möglich, in "Putty Hill" schließt sich die Form schon ein wenig, manche Indie-Konventionen schleichen sich ein: eine lange Szene bei einem Tätowierer mit einer tollen R&B-Nummer im Hintergrund wirkt ostentativ, gerade hier aber folgt einer der dramatischen Höhepunkte dieser undramatischen Geschichte. Mit zwei Filmen ist Matt Porterfield - der gerade in Baltimore seinen dritten dreht - ins Weltkino eingetreten. Wer "Putty Hill" im Kino sieht, sollte danach Ausschau halten nach "Hamilton".

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