Neue Alben von Grace Jones und Kid Creole: Die hipste Katze der Stadt

Kid Creole laden mit "I Wake Up Screaming" in den besten Club der Welt, die Dub-Fassung von Grace Jones' "Hurricane" ist ein Schlummertrunk mit vielen Umdrehungen.

Frau mit Becken: Grace Jones. Bild: Lawrence Watson

Der Popdiskurs fährt mal wieder Karussell: Die nächste Runde geht rückwärts. Seit "Retromania", dem aktuellen Buch des britischen Journalisten Simon Reynolds, wird allerorten eine Monsterwelle in Popvergangenheitsbewältigung heraufbeschworen. War erst der Diskurs auf den Prüfstand gehoben worden, attestieren nun viele Beobachter dem Pop künstlerischen Stillstand mangels Progression.

Am Interessantesten ist in diesem Zusammenhang der Blick auf Musiker, die es verstehen, sich rar zu machen, um von Zeit zu Zeit wieder aufzutauchen, und dann einen Scheiß auf angesagte Stile und Moden geben. Wie weggeblasen war man etwa von Grace Jones fulminantem Dubrockalbum "Hurricane", erschienen 2008.

Jones bewies mit jenem Songmaterial auch auf der Bühne eindrucksvoll, dass man in Raum und Zeit behaupten kann, was man will, solange man auf der Stilklaviatur zu spielen weiß und die nötigen Skills besitzt. Und schon war sie wieder die hipste Katze der Stadt. Wenn, wie bei Jones, auch noch die Garderobe so extravagant daherkommt, würde man ihr glatt einen Staubsauger als Raumschiff aus der Zukunft abkaufen.

Nun liegen mit "Hurricane Dub" mit drei Jahren Verspätung gedubbte Versionen ihres kompletten "Hurricane"-Albums vor. Der britische Produzent Ivor Guest hat die Bässe des Originalmaterials tiefergelegt, die Snare Drum wie eine Peitsche durch den Raum schnalzen lassen und flechtet Grace Jones Gesang als Erinnerungsschnipsel aus der Ferne ein.

Von der Machart her erinnert "Hurricane Dub" an das von Mad Professor entkernte "Protection"-Album der britischen TripHop-Band Massive Attack, 1995 unter dem Titel "No Protection" erschienen. "Hurricane Dub" ist in seiner Gesamtheit ähnlich stimmig, ein Schlummertrunk mit vielen Umdrehungen.

Überhaupt kann man die Dubtechnik, also das Bearbeiten alter Tracks mithilfe von Mischpulten und Echogeräten, mit gutem Gewissen als schlagendes Argument gegen die Übermacht der nicht mehr enden wollenden Retrowelle von Pop ins Feld führen. Nicht umsonst misst man gerade den Dubkünstlern der dritten Generation zwischen Chillwave und Dubstep den höchsten Innovationsgrad bei.

Mann mit Hut: Kid Creole. Bild: Rick Burger

"Hören heißt immer auch Wiederhören", formulierte Diedrich Diederichsen, bevor er den Pop essayistisch bis auf Weiteres krankschrieb. Aber darauf lässt sich formidabel pfeifen! Denn was wären das Popgeschäft und die Debatten zum Thema ohne die unzähligen, wundervollen Songs aus der DNA unserer Kultur(en).

Vom Himmel gefallene Partymusik

Zur selben Zeit, als Grace Jones mit Coverversionen, etwa dem The-Normal-Cover "Warm Letherette", ihre Karriere anschob, veröffentlichte das Popgenie August Darnell, besser bekannt als Kopf von Kid Creole and the Coconuts, gerade seine ersten Alben auf dem New Yorker Avantgarde-Poplabel Ze Records. Schon vorher schuf Darnell mit Dr. Buzzards Original Savannah Band die ausgeklügeltste Discomusik der siebziger Jahre. Kommerziell erfolgreich wurde er aber 1982 als Kid Creole and the Coconuts mit dem dritten Album, "Tropical Gangsters", und Songs wie "Annie, Im Not Your Daddy".

Von Kid Creole und seinen Kokusnüssen liegt nach neunjähriger Funkstille ein neues Album vor. Was seinen aus allen Nähten platzenden Eklektizismus zwischen Soul, Funk, Disco, karibischer Musik und Broadway-Musical auf "I Wake Up Screaming" angeht, fällt einem höchstens noch Prince ein, der mit so viel Talent und Leichtfüßigkeit gesegnet ist.

Dass Andrew Butler vom Discohouse-Projekt Hercules & Love Affair hier als Produzent Pate stand, ist vor allem deshalb erfreulich, weil er als Fan aus Darnell ohne Weiteres neue Kid-Creole-Songs herausholte. Bis auf die – im Vergleich zu den früheren Alben – optimierte Klangqualität knüpft "I Wake Up Screaming" an die Errungenschaften der achtziger Jahre an.

Es ist vom Himmel gefallene Partymusik, an der etwa auch P-Funk-Kapitän George Clinton seine Freude haben dürfte: die Gitarren, nervös wie ein Insektenschwarm, die Gesangslinien, charmant und queer, und die Basslinien, rumpelnd und trottend wie eine Elefantenherde durch die Steppe. Kid Creoles neue Musik nimmt die Hörer mit in den besten Club der Welt. Und dieser ist mit den richtigen Leuten immer noch im Hier und Jetzt zu finden.

Bleibt zu hoffen, dass auch andere als nur wohlinformierte Mittelstandspopper an dieser Musik Gefallen finden.

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