Rugby-WM-Halbfinale: In Neuseeland flattern die Nerven

Spannung vor dem WM-Halbfinale der All Blacks gegen die Australier: Die Rugby-Welt blickt auf David Pocock – Superstar, Chefstratege und Gutmensch der Aussies.

Die ewigen Rugbyrivalen: Neuseeland (in schwarz) gegen Australien. Bild: dpa

AUCKLAND taz | Der kleine gegen den großen Cousin, leidenschaftliche Titelträume gegen Turnierpragmatismus, All Blacks gegen Wallabies – zwischen Auckland im Norden und Queenstown im Süden Neuseelands gibt es an diesem Wochenende wohl lediglich ein paar Millionen Schafe, die dem bevorstehenden Halbfinale der Rugby-WM gegen Australien nicht entgegenfiebern.

Dabei geht es neben dem Finaleinzug auch um die Klärung zweier Grundfragen: Welche Nation stellt den derzeit besten Spieler der Welt? Ist Neuseelands Rugbytempel Eden Park für die Australier tatsächlich eine uneinnehmbare Festung?

Als hätten die Kiwis mit Erdbeben und Tankerunglück nicht schon genug Sorgen am Hals, bestimmte auch noch die körperliche Misere dreier All-Black-Legenden die Titelblätter der neuseeländischen Zeitungen in den vergangenen Tagen. Da war zunächst die Klinikeinweisung von Jonah Lomu. Der erste globale Superstar des Rugbys ist nierenkrank.

Frankreich gegen Wales (Sport1, Samstag, 9.45 Uhr): "Schuljungen-Verhalten" hatte Frankreichs Coach Marc Lievremont seinen Spielern nach zwei Vorrundenpleiten vorgeworfen. Der Mannschaft fehle es an "Gruppendynamik", außerdem seien die Spieler "vielleicht nicht so talentiert, wie ich gedacht hatte", sagte Lievremont, der nach der WM seinen Posten aufgibt. Trotzdem haben sie es in die Vorschlussrunde geschafft. Der Gegenentwurf zu den krisengeplagten Franzosen ist Halbfinalgegner Wales, der den größten Erfolg schon jetzt erreicht hat. Denn der WM-Dritte von 1987 wurde von der britischen Presse zum leuchtenden Vorbild für das mit Pauken und Trompeten im Viertelfinale an Frankreich gescheiterte englische Team erhoben. In Cardiff steht unter anderem das Millennium-Stadium (50.000 Zuschauer) zum Public Viewing bereit. (taz)

Lomu hat das Central Hospital von Auckland in der vergangenen Woche wieder verlassen. So viel Glück hatte Dan Carter, der smarte Posterboy der All Blacks nicht. Seine Leistenverletzung nach der Gruppenphase bedeutete das endgültige Turnieraus. Und dann war da ja noch der lädierte Fuß von Richie McCaw. Nach Coach Graham Henry ist der Einfluss des 29-jährigen Führungsspielers auf das Team "massiv".

Er sei der erfahrenste Kapitän dieser Weltmeisterschaft und vielleicht der einflussreichste in der Geschichte der All Blacks. "Und jetzt, wo uns Dan Carter fehlt", so der Trainer "ist seine Wichtigkeit noch einmal immens gewachsen."

Weil Richie McCaw nun trotz aller Unkenrufe am Sonntag gegen die Wallabies aufläuft, wird das Aufeinandertreffen mit seinem Gegenüber David Pocock von ehemaligen Rugbylegenden, Journalisten und Fachleuten zu einem historischen Moment hochgejazzt.

Alternder König und junger Rivale

Die Auseinandersetzung des alternden Königs mit seinem deutlich jüngeren Rivalen hätte, schreibt der britische Guardian, alle "Ingredienzien einer großen individuellen Sportkonfrontation": das Treffen eines Meisters, den viele für den besten Rugbyspieler der Gegenwart halten, mit einem aufsteigenden Talent, das wohl bald seinen Umhang tragen wird.

Dabei sind viele der Meinung, dass sich die Wachablösung längst vollzogen habe. Josh Kronfeld, einer der besten All Blacks der 1990er, gehört zu dieser Fraktion. Er sieht in der Dominanz David Pococks einen immensen Vorteil für die Australier. "Das Halbfinale", so Kronfeld zur Londoner Times, "wird sich in diesem Duell entscheiden."

Sowohl Pocock, als auch McCaw spielen auf der Position des Openside Flankers (Flügelstürmer) und tragen die dafür vorgesehene Rückennummer 7. Openside Flanker sind jene Spieler, die am flexibelsten auf veränderte Spielsituationen reagieren können.

Sie müssen Tackling und Passspiel beherrschen und sind deshalb die größten Allrounder auf dem Spielfeld. Auch Dank eines Richie McCaw ist ihre Rolle in der vergangenen Dekade immer wichtiger geworden. Mittlerweile spielen oftmals die Kapitäne der Mannschaften auf dieser Position.

Beste Einzelleistung im Turnier

Richie McCaw, der bei dieser WM als erster Spieler überhaupt sein 100. Länderspiele für die All Blacks bestritten hat, war über die vergangenen Jahre zweifellos die beste Nummer 7. Dreimal wurde er zum Welt-Rugbyspieler des Jahres gewählt.

Doch David Pocock stiehlt dem Altmeister spätestens seit dieser WM mehr und mehr die Show. Seine Performance beim 11:9-Sieg der Wallabies über die Springboks im Viertelfinale wird gemeinhin als beste Einzelleistung eines Spielers in diesem Turnier gesehen. 27-mal tackelte Pocock seine Gegner und verfehlte sie kein einziges Mal.

Dabei ist der erst 23-jährige Pocock, der die Statur eines Mittelgewichtsboxers hat und deshalb nach dem Jungen von Barnie Geröllheimer "Bam Bam" genannt wird, auch außerhalb des Rugbyfelds eine Ausnahmeerscheinung. Geboren und aufgewachsen in Simbabwe schlief der Teenager in den Zeiten der illegalen Landnahme Robert Mugabes stets mit geladenem Gewehr unterm Bett.

Rugby als Traumatherapie

Im Jahr 2000 verlor die Familie ihre riesige Farm und wanderte mittellos nach Brisbane/Australien aus. Vater Andy Pocock hatte danach versucht, als Gärtner und Fabrikarbeiter die Familie über Wasser zu halten. "Einer meiner beiden jüngeren Brüder leidet noch heute an einem posttraumatischen Stresssymptom", so Pocock. "Ich selbst wählte Rugby, um über diese Jahre hinwegzukommen."

"Bam Bam" Pocock ging in seinen ersten Länderspielen so an seine physischen und emotionalen Grenzen, dass er nach Niederlagen schon mal in Tränen ausbrach. Ähnlich ernst ist es Pocock auch mit ethischen Werten.

Er trägt keine Markenkleidung, isst nur Fairtrade-Schokolade und hat kürzlich verkündet, er werde seine Freundin solange nicht heiraten, wie das den Homosexuellen in Australien verboten ist. Nach der WM will der "weiße Afrikaner" für ein paar Wochen zurück in seine Heimat Simbabwe, "um im Busch ein wenig Ruhe zu finden."

David Pocock, da ist man sich nicht nur in Australien sicher, wird den Rugbysport in den kommenden Jahren entscheidend mitprägen. Am Sonntag kann er diesbezüglich ein erstes Ausrufezeichen setzen.

Leicht wird das nicht, denn der Eden Park in Auckland, wo das Halbfinale ausgetragen wird, gilt für die Wallabies als kaum einnehmbare Festung. Der letzte und bisher einzige Sieg datiert aus dem Jahr 1986. Da waren David Pocock und die meisten seiner Kollegen noch nicht mal geboren.

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