Schatzkiste der Erfindungen: Paten der Pioniere

In einem Bürohochhaus in Hannovers Zentrum entscheiden Ingenieure darüber, ob eine Erfindung auf den Markt kommt oder nicht. Ein Besuch in der Welt der rückholbaren Angelköder und Pinselablagevorrichtungen.

1999 erfindet Professor Günther Scherer, Gartenbauwissenschaftler an der Leibniz-Uni Hannover, die Apfelbeschriftung mit künstlicher Belichtung. Sein erster Lizenznehmer ist der Herzapfelhof Lührs im Alten Land. Bild: EZB

HANNOVER taz | Das Erfinderzentrum Norddeutschland ist in einem Bürohochhaus in Hannover untergebracht. Nachkriegsbau zwischen Sandsteinfassaden mit Balustraden. Waschbeton außen. Viel weiß und grau innen.

Der schmale Fahrstuhl fährt hinauf in die dritte Etage, dicker Nadelfilz dämmt unsere Schritte. Ein Konferenzraum mit sehr weichen Polsterstühlen in grau-meliert. Auch die Schiebegardinen sind rational-praktisch.

Die beiden Geschäftsführer des Erfinderzentrums heißen Christian Eckardt und Andreas Deutsch, und je mehr sie am großzügig gemaserten, leeren Konferenztisch von den Erfindungen erzählen, wagt sich ihre Begeisterung nach vorn. Der Buchdruck: "Den hat erst mal keiner gebraucht", das Telefon: "Das hat zunächst kaum einer benutzt."

Weltbekannt ist der Speicherchip der EC-Karte - genau genommen ist es ein Kryptographie-Prozessor zur Verschlüsselung von Daten. Die Ingenieure des Erfinderzentrums standen ihm von Anfang an beratend zur Seite.

Zwölf Jahre hat es von 1986 an gedauert, bis der Chip des Studenten Holger Sedlak auf den Markt kam. "Nach dem deutschen Patent mussten noch die internationalen Standardisierungen erfolgen, damit der Chip auch in den Geldautomaten in Dubai funktionierte", sagt Deutsch. Der große Mann im dunklen Anzug lächelt zart.

Begrünbare Lärmschutzwand: Auf Basis der begrünbaren Dächer entwickelte Wolfgang Behrens 1982 mit Landschaftsarchitekt Krupka die begrünbare Lärmschutzwand. Die Pflanzen wuchsen von alleine. Die aufwändige Pflege der Straßenseite entfiel.

Heizung für Weichen: Als Fortsetzung des Schienentemperatursensors wird 2001 ein intelligentes Weichenheizsystem von Matthias Müller patentiert, das vorausschauend und energiesparend Weichen beheizen lässt, damit sie im Winter nicht einfrieren.

Retter der Angelköder: Die Maschinen- & Formenbau Leinetal MFL GmbH entwickelte schon einen Eieröffner. Noch in diesem Jahr soll der Angelköderretter auf den Markt kommen, der festsitzende, teure Kunstköder bergen und so vor dem Verschwinden auf dem Grund bewahren soll.

In das Förderprogramm des Erfinderzentrums können kleinere Unternehmen und Privatpersonen aufgenommen werden, wenn sie Inhaber der Rechte an einer Erfindung sind oder das Patent angemeldet haben. Laut Statuten müssen die Geförderten aus Niedersachsen kommen und "beabsichtigen, die Erfindung im Bundesland wirtschaftlich zu verwerten".

Gegründet wurde das Zentrum 1981 als "Erfinderzentrum Niedersachsen". 1983 wurde in "Erfinderzentrum Norddeutschland", kurz EZN umbenannt, weil die Ingenieure zunehmend auch Erfindungen aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen betreuten.

Seit 1986 ist das Erfinderzentrum eine GmbH, deren Ingenieure eine Rohidee zu einem maschinell produzierbaren Produkt entwickeln.

Jeder Erfinder erhält im dritten Stock des Bürohochhauses in Hannover ein kostenloses Vorgespräch. Dabei stellen die Ingenieure fest, ob es ähnliche Erfindungen schon gibt, und ob es sich lohnen würde, die Erfindung zur Marktreife zu führen.

Das Zentrum erledigt die Schutzrechteanmeldungen und kümmert sich, wenn gewünscht, auch um Zeit- und Kostenplan. Aus den in 30 Jahren eingereichten 50.000 Ideen haben die Ingenieure des Zentrums 15.000 konkrete Erfindungen herausgefiltert. 2.500 haben es zum Patent geschafft.

Mindestens drei Jahre dauere es, bis mit einer Erfindung Geld verdient werden kann, sagt Geschäftsführer Deutsch. Zunächst werden 4.000 Euro für Gebühren, Anträge und Patentanwalt fällig.

1.000 Euro trägt der Erfinder selbst, 3.000 gewährt das Zentrum als Darlehen - rückzahlbar, sobald die Erfindung Einnahmen bringt. Kleiner Trost: Sollte sich die Erfindung als erfolglos erweisen, entfällt diese Pflicht.

Bei internationalen Schutzrechteanmeldungen können leicht zehnfach höhere Kosten anfallen. "Dies macht aber nur Sinn, wenn gleichzeitig die Vermarktung im Ausland gesichert ist", sagt Deutsch, ganz kostenbewusster Berater.

Das Erfinderzentrum ist die offizielle Patentstelle für die niedersächsischen Hochschulen, trotzdem kommen zwei Drittel der eingereichten Erfindungen aus dem nicht-akademischen Bereich. Gerade in kleinen Betrieben sei das "Problemlösungsdenken verstärkt verankert", sagt Mitgeschäftsführer Christian Eckhardt.

"Die kommen einfach bei ihrer täglichen Arbeit darauf, und der Arbeitgeber meldet die Erfindungen dann zum Patent an." Eckhardt trägt Hemd und eine klassische, hellbraune Weste. Die Jacke fehlt, was an dem gut beheizten Raum liegen könnte - oder an seiner spürbaren Tatkraft.

Gerade in Produktion hat Eckhardt einen Angelköder-Retter, der teure Kunstköder wieder an Land holt. Bereits im Vorfeld wurde er von seinen Angel-Kollegen lange getestet. "So wusste ich, er funktioniert", sagt Eckhardt.

Einzig die Frage des Materials blieb noch zu klären - das zum Testen verwendete Eisen konnte aufgrund der Rostgefahr auf keinen Fall in Produktion gehen. Die Ingenieure des Erfinderzentrums machten sich auf die Suche nach einem neuartigen Material. "Dafür konnten wir schließlich sogar Bundesmittel beantragen", sagt Eckhardt. Schließlich werde ein schwerer Kunststoff in vielen Bereichen gebraucht.

Bei der Noppen-Fußmatte zum Reinigen von Stollenschuhen lag das Problem bei der Form und der Massenproduktionstauglichkeit. Einerseits sollte die Matte für alle Stollenarten nutzbar sein, andererseits musste sie günstig produziert werden können. "Noch gibt es keinen Markt dafür", bedauert Eckhardt.

Andreas Deutsch, der kurzfristig aus dem Konferenzraum verschwunden war, kehrt mit einem Karton zurück. Da ist er endlich: ein Prototyp. Deutsch stellt eine Weißblechdose und Lackpinsel auf den Konferenztisch.

Fingert an der Dosenseite, zieht einen Blechstreifen hervor, hakt ihn nach einigen Versuchen ein und legt den Pinsel mit Kopf über der Dose ab. "Jetzt haben Heimwerker immer eine Pinselablage zur Hand. Eine Farbdose könnte, für wenige Cent mehr, gleich mit produziert werden. An der Handhabung müssen wir aber noch feilen."

Deutsch hebt das Einzelstück hoch. "Das hat 7,23 Euro gekostet." Nur wenig mehr verdiente EC-Karten-Chip-Erfinder Holger Sedlak im ersten Jahr, sagt Deutsch. "Ganze 9,97 Euro." Dann wurden es Millionen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.